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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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ö Heidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 116.

Sonntag, den 27. September

1868.

Zwei Abende in einem ungariſchen
Edelhofe.

Von Robert Schild.

I.
„Fahren Sie mit nach Ramhaz? Es iſt heute
der Namenstag des Herrn von Mikony,“ fragte

mich eines Tages im Herbſte 1854 ein Landsmann,

der ſchon ſeit einigen Jahren in Ungarn lebte.
„Ich bin dem Herrn von Mikony völlig unbe-
kannt,“ wendete ich ein. ö
Man merkt,“ entgegnete mein Freund lächelnd,
„daß Ihnen auch die Landesſitten noch fremd ſind,
ſonſt wüßten Sie, daß es hier keiner näheren Be-
kanntſchaft, noch weniger einer beſonderen Einla-
dung bedarf, um zu jeder Zeit, und namentlich
wenn ein Namenstag, die Ernte oder Weinleſe ge-
feiert, oder auch nur ein kleiner „Sautanz“ be-
gangen wird, bei einem Edelmann einzuſprechen.
Auf meine Verantwortung! Fahren Sie mit.“—
Ich ließ mich alſo bereden, und wir fuhren auf
einem Ding von ziemlich bedenklichem Ausſehen,
das man nur mit übertriebener Höflichkeit einen
Wagen nennen konnte, und mit Pferden, deren
Stammbaum zu erforſchen nicht der Mühe lohnte,
ohne Radſchuh oder Sperrkette, über Stock und
Stein, über ſteile Berge von beinahe tauſend Fuß
Höhe, gegen Ramhaz. Das vordere Ende der Deich-
ſelſtange berührte im Bergabfahren zuweilen die
Erde; das Geſchirr, aus nur fingerdicken Seilen
beſtehend, riß einige Male; aber der Bauer, der
uns führte, ſchien dies als ein gewöhnliches Vor-
kommniß zu betrachten, knüpfte gelaſſen den Strick
wieder zuſammen, und mein Begleiter verſicherte,
wir hätten nichts zu beſorgen; es ereigne ſich faſt
nie, daß ein Unfall geſchehe; auf ſolchen Wegen
ſeien eben nur ſolche Fuhrwerke anwendbar, und
der Kutſcher und ſeine Gäule verſtänden einander
ſo gut, daß beide genau wüßten, wie viel. ſie ſich
gegenſeitig zutrauen dürften. Nicht ſonderlich be-
ruhigt entſchloß ich mich doch, mich mit Ergeben-
heit in das Unabwendbare zu fügen, hüllte mich in
meinen Regenmantel, empfahl Gott meine Seele,
und nach zwei Stunden langten wir, und unbegreif-

licher Weiſe mit graden Gliedern, obgleich derb durch-
rüttelt, an uuſerem Ziele an.

Das „Caſtell“ des Herrn von Mikony ſtand

mitten in einem armſeligen Dorfe, und nur dieſe

Umgebung ließ es in gewiſſem Grade herrſchaftlich
erſcheinen: ein einſtöckiges Haus mit einer Front
von nur ſieben Fenſtern, mit einem hohen Giebel-
dach von geſchwärzten, ſchadhaften Schindeln; über
dem Hausthor ein kaum ſechs Schuh hohes, von
zwei hölzernen Säulen getragenes, baldachinartiges
Vordach — rechts und links an den Hausflügeln
niedrige Wirthſchaftsgebäude von Holz und Lehm,
mit Stroh gedeckt, und das Ganze von einer vier-
eckigen Hofeinplankung umgeben. Im Hof, der
wegen der bereits einbrechenden Abenddämmerung
mit zwei Fackeln ſpärlich beleuchtet war, ſtand eine
ganze Wagenburg — Fuhrwerke jeder Art, vom

kurzen Karren aus rohem Materiale angefangen

bis zur eleganten Caleſche. Lärmende Kutſcher füt-
terten die eingeſpannten Pferde ab oder zogen die
abgefütterten in den Stall. Zahlreiche Dorfbewoh-
ner umlagerten neugierig ſtumm den Eingang. Ein
kleines mageres Männlein in abgetragener Reve-
renda, ein junger Candidat der Theologie, empfing

uns am Hofthor, half uns aus dem Wagen ſteigen,

und geleitete uns unter lateiniſchen Complimenten
in den Saal. Dieſer befand ſich im erſten Stock-
werke. Die hinaufführende Holztreppe war eben-
falls durch eine Fackel erhellt, die mittels der ein-
fachſten Vorrichtung von der Welt, durch einen
Strick und einen Nagel, in der Wand feſt gehalten
wurde. Der Saal wimmelte bereits von Gäſten,
die, in einzelne Gruppen vertheilt, um einen langen
Tiſch ſtanden und ſich laut genug unterhielten. An
der Thür empfing uns der Herr vom Hauſe, und

der kleine Candidat verſchwand. ö

Herr von Mikony war ein ſtattlicher Jungge-
ſelle von etwa vierzig Jahren. Das kurz geſchnit-
tene dunkelbraune Haar und der“ lange Vollbart
zeigten noch wenige Spuren von „grauer Theorie;“,
eine hohe Stirn, etwas kleine, aber lebhafte ſchwarze

Augen, kräftige Backenknochen, eine energiſche Naſe

und volle Lippen verliehen dem Geſichte ein freies,
munteres, männliches Ausſehen. Bekleidet war er
mit einem ſchwarzen Attila, ſonſt verrieth ſein An-
zug nichts Nationelles.
„Isten megaldja! (Gott ſegne Sie)“ rief er
und ſtreckte meinem deutſchen Freunde beide Hände
zum Willkomm entgegen.
Mit zwei Worten ſtellte mein Landsmann mich
 
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