Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M88.
Breitag, den 24. Juli
1868.
Eine polniſche Kloſtergeſchichte.
Aus den Papieren eines polniſchen Emiſſärs.
Schluß.)
Von den verſchiedenſten Seiten verſuchte die
adelige Verwandtſchaft ſeinen Entſchluß wankend zu
machen. Er könnte ja in Gottesnamen Henrika zu
ſeiner Frau und Dorwana in Teufelsnamen zu ſei-
ner Maitreſſe machen.
Alles vergebens. So lange mein Freund Dor-
wana liebte und ſie dieſe Liebe erwiederte, blieb er
feſt und gefeit. Es galt alſo einen andern Weg
einzuſchlagen — die Liebenden mußten getrennt
werden. Koſte es was es wolle! war die Loſung
der Gräfin K., deren zähe, katzenhafte Natur ſich
raſch erholt hatte und ihre alte Sprungkraft äußerte.
Sie unterhandelte alſo im Geheimen mit der
Oberin des Kloſters, in welchem ſich Dorwana
noch befand. Ihre Intereſſen waren ſo gemeinſam,
daß die beiden würdigen Frauen ſich leicht verſtän-
digen und einen gemeinſamen Plan faſſen konnten.
Durch die Vermählung des ſchönen genialen Mäd-
chens mit dem Grafen K. waren die Hoffnungen
des Kloſters auf Dorwana's nationale Propaganda
ebenſo getäuſcht wie jene der Gräfin K. auf Hen-
rika's coloſſales Vermögen. Außerdem war die
Gräfin K. eine der angeſehenſten Damen der pol-
niſchen Ariſtokratie, eine der beſten Stützen ihrer
Partei; es galt alſo in zweiter Linie, ſich dem mäch-
tigen Adel gefällig zu zeigen und ihn noch feſter
an das Kloſter, die Partei und die polniſche Sache
zu feſſeln. ö
Zuerſt machte die Oberin noch einen Verſuch,
Dorwana zu gewinnen. Polen müſſe ihr erſter
Gedanke ſein, der Geliebte ihr zweiter. Beides
könne ſie ja ſo leicht vereinen, als die reiche vor-
nehme Geliebte eines angeſehenen Ariſtokraten ihrem
Vaterlande außerordentliche Dienſte leiſten und wenn
ſie dieſen Ariſtokraten liebe, zugleich ihrem Herzen
genug thun und doch ihre Freiheit nie aufgeben,
was ſie immer im Auge behalten müſſe.
Henrira ſei ja endlich nicht unſterblich, ſie werde
vielleicht noch zeitig genug die Gräfin K. werden
und dann über das größte Vermögen unumſchränkt
gebieten.
Dorwana blieb feſt dabei, keinen Schritt zu thun,
welchen der Geliebte nicht billige. Wünſche er Hen-
rika zu ſeiner Gemahlin zu nehmen, es ſei ſeine
Sache, dann offen zu ihr zu ſprechen.
Das Kloſter hatte ſie gut erzogen, ſie war eben
ſo feſt im Beharren, als ſchlangenhaft gewandt im
Entſchlüpfen. ö
Da war auf geradem Wege nichts zu machen.
Als Dorwana an dem nächſten Sonntag zu ihrer
Mutter gehen wollte, wurde ſie durch die Oberin
unter einem nichtigen Vorwande abgehalten.
Das arme verliebte Mädchen war außer ſich
vor Schmerz und Enttäuſchung, aber ſie beherrſchte
ſich und blieb ruhig. Mit Seelenangſt zählte ſie
die Tage der nächſten Woche. Es kam wieder Sonn-
tag. Daſſelbe Manöver wiederholte ſich. Diesmal
widerſetzte ſich Dorwana, ſie nahm Hut und Mantel
und wollte durchaus fort.
Jetzt befahl ihr die Oberin zu bleiben. Sie
machte von der Gewalt, welche das Kloſter über
ſeine Schülerinnen hatte, rückſichtsloſen Gebrauch.
Weil Dorwana ſich der Weiſung ihrer Oberin
widerſetzt habe, werde ſie zur Strafe das Kloſter
durch volle vier Wochen nicht verlaſſen. ö
Dorwana war klug genug, ſich zu fügen. Alles,
was man von ihr verlangte, beſchloß ſie zu thun,
um nur wieder ihre Freiheit zu erlangen.
Bei dem erſten Ausgange, den man ihr geſtat-
tete, wollte ſie das Kloſter für immer verlaſſen.
Aber Dorwana hielt ſich für ſtärker als ſie war.
Noch eine Woche ertrug ſie die Trennung von
dem Geliebten mit Faſſung, dann überfiel ſie von
Zeit zu Zeit ein heftiges Weinen, Unruhe, Angſt,
Herzklopfen.
Nachts warf ſie ſich auf ihrem Lager und ſchlief
nicht mehr. Allmälig entwickelte ſich aus den Höllen-
qualen einer geängſtigten einſamen Menſchenſeele
ein wirkliches körperliches Leiden. ö
Dorwana verfiel in ein hitziges Fieber.
Jetzt war ihre Kraft zu Ende. Wilde Phan-
taſien ängſtigten das arme Geſchöpf, ſie rang die
Hände, ſchrie nach ihrer Mutter, nach dem Ge-
liebten. —
Eine Wärterin wachte in der Nacht bei Dor-
wana, dieſe war von der Gräfin zur Ausführung
einer Schandthat gedungen. Als das Fieber den
Höhepunkt erreicht hatte, beſtrich dieſelbe das Geſich
der Kranken wiederholt mit einer Salbe.
Dorwana kam momentan zum Bewußtſein und
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M88.
Breitag, den 24. Juli
1868.
Eine polniſche Kloſtergeſchichte.
Aus den Papieren eines polniſchen Emiſſärs.
Schluß.)
Von den verſchiedenſten Seiten verſuchte die
adelige Verwandtſchaft ſeinen Entſchluß wankend zu
machen. Er könnte ja in Gottesnamen Henrika zu
ſeiner Frau und Dorwana in Teufelsnamen zu ſei-
ner Maitreſſe machen.
Alles vergebens. So lange mein Freund Dor-
wana liebte und ſie dieſe Liebe erwiederte, blieb er
feſt und gefeit. Es galt alſo einen andern Weg
einzuſchlagen — die Liebenden mußten getrennt
werden. Koſte es was es wolle! war die Loſung
der Gräfin K., deren zähe, katzenhafte Natur ſich
raſch erholt hatte und ihre alte Sprungkraft äußerte.
Sie unterhandelte alſo im Geheimen mit der
Oberin des Kloſters, in welchem ſich Dorwana
noch befand. Ihre Intereſſen waren ſo gemeinſam,
daß die beiden würdigen Frauen ſich leicht verſtän-
digen und einen gemeinſamen Plan faſſen konnten.
Durch die Vermählung des ſchönen genialen Mäd-
chens mit dem Grafen K. waren die Hoffnungen
des Kloſters auf Dorwana's nationale Propaganda
ebenſo getäuſcht wie jene der Gräfin K. auf Hen-
rika's coloſſales Vermögen. Außerdem war die
Gräfin K. eine der angeſehenſten Damen der pol-
niſchen Ariſtokratie, eine der beſten Stützen ihrer
Partei; es galt alſo in zweiter Linie, ſich dem mäch-
tigen Adel gefällig zu zeigen und ihn noch feſter
an das Kloſter, die Partei und die polniſche Sache
zu feſſeln. ö
Zuerſt machte die Oberin noch einen Verſuch,
Dorwana zu gewinnen. Polen müſſe ihr erſter
Gedanke ſein, der Geliebte ihr zweiter. Beides
könne ſie ja ſo leicht vereinen, als die reiche vor-
nehme Geliebte eines angeſehenen Ariſtokraten ihrem
Vaterlande außerordentliche Dienſte leiſten und wenn
ſie dieſen Ariſtokraten liebe, zugleich ihrem Herzen
genug thun und doch ihre Freiheit nie aufgeben,
was ſie immer im Auge behalten müſſe.
Henrira ſei ja endlich nicht unſterblich, ſie werde
vielleicht noch zeitig genug die Gräfin K. werden
und dann über das größte Vermögen unumſchränkt
gebieten.
Dorwana blieb feſt dabei, keinen Schritt zu thun,
welchen der Geliebte nicht billige. Wünſche er Hen-
rika zu ſeiner Gemahlin zu nehmen, es ſei ſeine
Sache, dann offen zu ihr zu ſprechen.
Das Kloſter hatte ſie gut erzogen, ſie war eben
ſo feſt im Beharren, als ſchlangenhaft gewandt im
Entſchlüpfen. ö
Da war auf geradem Wege nichts zu machen.
Als Dorwana an dem nächſten Sonntag zu ihrer
Mutter gehen wollte, wurde ſie durch die Oberin
unter einem nichtigen Vorwande abgehalten.
Das arme verliebte Mädchen war außer ſich
vor Schmerz und Enttäuſchung, aber ſie beherrſchte
ſich und blieb ruhig. Mit Seelenangſt zählte ſie
die Tage der nächſten Woche. Es kam wieder Sonn-
tag. Daſſelbe Manöver wiederholte ſich. Diesmal
widerſetzte ſich Dorwana, ſie nahm Hut und Mantel
und wollte durchaus fort.
Jetzt befahl ihr die Oberin zu bleiben. Sie
machte von der Gewalt, welche das Kloſter über
ſeine Schülerinnen hatte, rückſichtsloſen Gebrauch.
Weil Dorwana ſich der Weiſung ihrer Oberin
widerſetzt habe, werde ſie zur Strafe das Kloſter
durch volle vier Wochen nicht verlaſſen. ö
Dorwana war klug genug, ſich zu fügen. Alles,
was man von ihr verlangte, beſchloß ſie zu thun,
um nur wieder ihre Freiheit zu erlangen.
Bei dem erſten Ausgange, den man ihr geſtat-
tete, wollte ſie das Kloſter für immer verlaſſen.
Aber Dorwana hielt ſich für ſtärker als ſie war.
Noch eine Woche ertrug ſie die Trennung von
dem Geliebten mit Faſſung, dann überfiel ſie von
Zeit zu Zeit ein heftiges Weinen, Unruhe, Angſt,
Herzklopfen.
Nachts warf ſie ſich auf ihrem Lager und ſchlief
nicht mehr. Allmälig entwickelte ſich aus den Höllen-
qualen einer geängſtigten einſamen Menſchenſeele
ein wirkliches körperliches Leiden. ö
Dorwana verfiel in ein hitziges Fieber.
Jetzt war ihre Kraft zu Ende. Wilde Phan-
taſien ängſtigten das arme Geſchöpf, ſie rang die
Hände, ſchrie nach ihrer Mutter, nach dem Ge-
liebten. —
Eine Wärterin wachte in der Nacht bei Dor-
wana, dieſe war von der Gräfin zur Ausführung
einer Schandthat gedungen. Als das Fieber den
Höhepunkt erreicht hatte, beſtrich dieſelbe das Geſich
der Kranken wiederholt mit einer Salbe.
Dorwana kam momentan zum Bewußtſein und