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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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geidelberger Familienblätter.

Belletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

147.

Mittwoch, den 9. December

1868.

In Feindesland.

Novelle von Adolph Müller.

(Foriſetzung.)
Magdalena war bei dieſer Erzählung ganz tief-
ſinnig geworden.
„dieſelbe Antwort, wie Fräulein Giſela weiland
meinem Freund, giebt, wenn dieſer Fall alſo die
Regel iſt, ſo fühle ich deutlicher als je, daß ich eine
Ausnahme bin bei meinem Geſchlecht und daß mein
Inneres abnorm beſaitet iſt — ja, und ich bin
zum erſten Mal in meinem Leben ſtolz darauf, zu
ſehen, daß ich das Herz am rechten Flecke habe.“.
Ich enthielt mich, über dieſen delikaten Punkt
mit ihr näher zu reden. Denn dieſer birgt in ſei-
ner Tiefe ein qualvolles Problem, und ich geſtehe,
es gebrach mir an Muth, ihr gegenüber zu behaup-
ten, daß ein plötzlich verſtümmelter und dadurch
vom praktiſchen Leben für immer ausgeſchloſſener
Menſch kein Recht habe, von ſeiner früheren Ver-
lobten die Ehe zu verlangen.

V.

Ich begleitete den Brief des Offiziers an ſeine
Elſe mit einigen Privatzeilen, worin ich dringend
bat, ſie möchte mir für ihren armen Bräutigam
doch recht bald einige tröſtliche Worte zukommen
laſſen. ‚
Dieſem Wunſche wurde freilich nur zu bald,
aber ganz anders, als ich erwartet hatte, entſprochen,
und zwar erhielt ich ein Schreiben von Elſens Mut-
ter, worin mir weitläufig mit allerhand hausbacke-
nen Gründen beigebracht wurde, daß nach reiflicher
Ueberlegung die Tochter beſchloſſen habe, das Ver-
haͤltniß mit dem Offizier zu brechen, da ſeine Zu-
kunft doch mehr als zweifelhaft ſei und überdieß
ſich ſeit ſeiner Abweſenheit ein anderer Freier ein-
geſtellt habe, der ihrer Tochter gefalle und dem an
den Altar zu folgen ſie nach den zuletzt von dem
— eingegangenen Nachrichten ſich entſchloſſen
e.

Als ich den erſten quälenden Eindruck dieſes
trockenen, gefühlloſen Briefes überwunden hatte,
ſagte ich mir: „Es iſt gut ſo — an dieſer verliert
mein junger Freund nichts, ja, ſollte er wieder her-
geſtellt werden, ſo iſt es ein Giück für ihn, daß er
durch dieſe Feuerprobe rechtzeitig den Charakter ſei-

„Wenn ſie“, rief ſie plötzlich,

ſind.

Klippe einer Amputation zu vermeiden.

ner⸗Braut und ihrer Umgebung hat kennen lernen,
und er läßt von ſeiner Verbindung ab, der bald
doch eine traurige Enttäuſchung hätte folgen müſſen.“
Von Stunde an ergriff mich eine wahre Wuth,
alles Mögliche zu thun, den Offizier zu erhalten
und beſonders die Amputation zu vermeiden. Ich
fand dabei die treueſte Bundesgenoſſin in Magda-
lena, die meinen Eifer immer von Neuem anfeuerte.
Als ich ihr den Brief von Elſens Mutter gab, warf
ſie ihn zu Boden und trat ihn mit Füßen.
„Wahrlich“, rief ſie, „dieſe Elſe iſt noch ſchlim-
mer als weiland Fräulein Giſela; denn ſie hat vor-

her für den Fall, daß ihr Bräutigam nicht mit

heiler Haut zurückkomme, ſich vorgeſehen und Er-
ſatz in Rückhalt genommen. Damit breche ich für
meine Perſon den Stab über ſie — ſie iſt damit

todt für mich, denn ich mag meine Gedanken nicht

an ſolch' armſelige Geſchöpfe heften, die ſelbſt nicht
einmal auf geiſtreiche, ſchonende Weiſe ein ſolches
Verhältniß zu löſen wiſſen und die, wenn ſchon ſo
ſchwach an Herz, auch noch ſo ſchwach an Kopf
ſind, einen tröſtlicheren Weg einzuſchlagen, anſtatt
ſo plump zur Schau zu tragen, daß ſie für ſolch'
ſchlimmen Fall ſchon hinlänglich vorbereitet geweſen
Damit genug über ſie für immer! — Na-
türlich darf unſer Freund vorläufig kein Wort von
dem Brief erfahren. Laſſen Sie ihn lieber befürch-
ten, ſein Brief ſei nicht angekommen, und ſchreiben
Sie ihm einen zweiten, wenn er ungeduldig wird.“
Mein Freund, der Arzt, hatte ſich indeſſen in
Gemeinſchaft mit einer andern Autorität in ſeinem
Fache an die Operation des Fußes gemacht, und
wir prieſen es als ein unerhörtes Glück, als es ge-
lang, die Kugel, die den Knochen nicht verletzt
hatte, herauszuſchneiden und damit die gefährliche
Auch die
Schulterwunde machte ſich über Erwarten gut, und
abgerechnet ſeiner großen Schwäche, befand ſich der
Patient bald ſo wohl, daß er in einem Rollſtuhl
im Garten ſpazieren geführt wurde.
Hier war es, wo ihn Magdalena zum erſten
Mal ſah, und das mußte ſie recht lebhaft an den
teplitzer Offizier erinnern, den ſie beim erſten An-
blick in der nämlichen Lage getroffen hatte.
Als ich ſie meinem Gaſt vorſtellte und zum
erſten Mal ſeinen Namen nannte, las ich auf ihrem
Geſichte die größte Ueberraſchung und ſie vermochte

kaum die Worte hervorzubringen: „Mein Gott,
 
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