Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 126.
Mittwoch, den 21. October
1868.
Von Dreien Eine.
Eine Erzählung.
(Fortſetzung.)
Man plauderte ganz gemüthlich, der Lieutenant
abwechſelnd mit dem Baron und ſeiner Tochter
über Pferde, mit der Baronin über die ſchönen
Gartenanlagen, mit Mathilde über die neueſten
Dichtungen und mit Nina über die hohen Futter-
preiſe; man war allerſeits befriedigt und fand ihn
allerliebſt, wie immer. ö *
„Seit Sie zum letzten Male hier waren, Herr
von Rohrbach“, meinte Thekla mit ihrer gewöhn-
lichen Lebhaftigkeit, — „hat ſich viel in unſerem
Hauſe verändert. Sehen Sie z. B. den Garten; mit
jedem Tage blühen jetzt neue Blumen auf. Ich
mache mir zwar nicht viel aus Blumen, aber ich
will Sie doch einmal umherführen.“
Das Fräulein ſprang auf, und Rohrbach war
entzückt über die Gelegenheit, mit ihr eine Weile
allein ſein zu können; es entging ihm zwar nicht,
daß es über Fräulein von Sanftenbach's Antlitz
wie ein leichter Vorwurf flog und daß Nina Hey-
mann ein wenig die Naſe rümpfte und ſich zu
ärgern ſchien, aber wenn auch bei der erſteren Be-
merkung ein Blutstropfen über ſein Herz lief, ſo
dachte er an Spindelmeyers Mütze und den Fa-
talismus. ö
„Die beiden jungen Damen begleiten Herrn
von Rohrbach und Dich gewiß, liebe Thekla,“ erin-
nerte Mama mit einem ſtrafenden Blick.
Nina erhob ſich ſogleich, und Mathilde mußte,
wohl oder übel, ihrem Beiſpiele folgen. Thekla
meinte etwas kleinlauter, ſie habe natürlich auf die
Begleitung ihrer Freundinnen gerechnet.
„Vergiß auch nicht, Tekelchen“, rief der alte
Herr gutgelaunt, — „Herrn von Rohrbach nach-
her in den Stall zu führen und ihm das neue
Fohlen von der Adalgiſa zu zeigen. Ich ſage Ih-
nen, Herr von Rohrbach, da iſt Blut d'rin, Thekla
kann Ihnen das nachher erklären, ich will die jun-
gen Herrſchaften nicht länger von ihrer Promenade
abhalten.“ ö ö
Der. Baron hatte wieder verdorben, was ſeine
Gemahlin gut gemacht hatte, denn es ließ ſich wohl
nicht denken, daß Mathilde und Nina auch Luſt
haben würden, die Ställe zu beſuchen.
frohlockte. —
Die vier jungen Leute wanderten im Garten
umher; der Lieutenant und Thekla gingen vor-
aus, Mathilde und Nina folgten ihnen auf dem
Fuße. Man ſprach über allgemeine Dinge, zu
einer Liebeserklärung wollte ſich keine Gelegenheit
finden, denn eine bange Ahnung mochte Mathilde
und Nina an Theklaͤ's Ferſe heften. Rohrbach
mußte ſeine Worte bald an die eine, bald an die
andere Dame richten. ö ö
Mathilde blieb vor einer Staude weißer Lilien
Rohrbach
ſtehen.
„Das iſt meine Liéblingsblume,“ ſagte ſie ſanft,
— „ſo edel und erhaben, ſo rein und zart, wie
— wie —“ ö
Dem Fräulein fehlte das richtige Wort.
„Wie Sie, gnädiges Fräulein“, ergänzte der
Lieutenant galant.
Mathilde wurde abermals bis unter den Schei-
tel roth, und Nina ließ ihren Arm los, Thekla
warf dem Lieutenant einen keineswegs freundlichen
Blick zu. ö ö
„Laſſen Sie uns jetzt in die Ställer gehen,“
ſagte ſie ziemlich mürriſch. „Ich will Ihnen das
neue Fohlen zeigen.“ — ——
Der Lieutenant folgte ihr gehorſam, aber die
Gefahr, die ihnen beiden drohte, verſöhnte Nina
ſchnell wieder mit Mathilde und deren Arm von
Neuem nehmend, ſagte ſie ſo unbefangen als
möglich: ö
„Ach ja, laß uns mit Thekla nach den Ställen
gehen, Mathilde, das kleine Füllen anzuſehen.“
Dagegen war nichts einzuwenden, Thekla und
der Lieutenant biſſen ſich verſtohlen auf die Lippen.
Thekla war jedenfalls entſchloſſen, ihren Freun-
dinnen die läſtige Begleitung zu verleiden, denn
ſie führte ſie erſt durch die Ställe der Kühe und
Zugochſen, dann der Acker⸗ und aller übrigen Reit-
pferde, ehe ſie zu der Mutterſtute mit ihrem Foh-
len gelangte, und für andere Weſen, als die eines
Kavalleriſten und einer Amazone iſt eine ſolche
Stallwanderung gerade kein ſehr annehmliches Ding.
Aber Nina und Mathilde verfolgten höhere Inter-
eſſen. Sie hoben ſich die zarten Sommerklei-
der ein wenig auf, hielten die Spitzentaſchentücher
vor die Naſen und wichen mit edler Selbſtverläug-
nung nicht von der Stelle. ö
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 126.
Mittwoch, den 21. October
1868.
Von Dreien Eine.
Eine Erzählung.
(Fortſetzung.)
Man plauderte ganz gemüthlich, der Lieutenant
abwechſelnd mit dem Baron und ſeiner Tochter
über Pferde, mit der Baronin über die ſchönen
Gartenanlagen, mit Mathilde über die neueſten
Dichtungen und mit Nina über die hohen Futter-
preiſe; man war allerſeits befriedigt und fand ihn
allerliebſt, wie immer. ö *
„Seit Sie zum letzten Male hier waren, Herr
von Rohrbach“, meinte Thekla mit ihrer gewöhn-
lichen Lebhaftigkeit, — „hat ſich viel in unſerem
Hauſe verändert. Sehen Sie z. B. den Garten; mit
jedem Tage blühen jetzt neue Blumen auf. Ich
mache mir zwar nicht viel aus Blumen, aber ich
will Sie doch einmal umherführen.“
Das Fräulein ſprang auf, und Rohrbach war
entzückt über die Gelegenheit, mit ihr eine Weile
allein ſein zu können; es entging ihm zwar nicht,
daß es über Fräulein von Sanftenbach's Antlitz
wie ein leichter Vorwurf flog und daß Nina Hey-
mann ein wenig die Naſe rümpfte und ſich zu
ärgern ſchien, aber wenn auch bei der erſteren Be-
merkung ein Blutstropfen über ſein Herz lief, ſo
dachte er an Spindelmeyers Mütze und den Fa-
talismus. ö
„Die beiden jungen Damen begleiten Herrn
von Rohrbach und Dich gewiß, liebe Thekla,“ erin-
nerte Mama mit einem ſtrafenden Blick.
Nina erhob ſich ſogleich, und Mathilde mußte,
wohl oder übel, ihrem Beiſpiele folgen. Thekla
meinte etwas kleinlauter, ſie habe natürlich auf die
Begleitung ihrer Freundinnen gerechnet.
„Vergiß auch nicht, Tekelchen“, rief der alte
Herr gutgelaunt, — „Herrn von Rohrbach nach-
her in den Stall zu führen und ihm das neue
Fohlen von der Adalgiſa zu zeigen. Ich ſage Ih-
nen, Herr von Rohrbach, da iſt Blut d'rin, Thekla
kann Ihnen das nachher erklären, ich will die jun-
gen Herrſchaften nicht länger von ihrer Promenade
abhalten.“ ö ö
Der. Baron hatte wieder verdorben, was ſeine
Gemahlin gut gemacht hatte, denn es ließ ſich wohl
nicht denken, daß Mathilde und Nina auch Luſt
haben würden, die Ställe zu beſuchen.
frohlockte. —
Die vier jungen Leute wanderten im Garten
umher; der Lieutenant und Thekla gingen vor-
aus, Mathilde und Nina folgten ihnen auf dem
Fuße. Man ſprach über allgemeine Dinge, zu
einer Liebeserklärung wollte ſich keine Gelegenheit
finden, denn eine bange Ahnung mochte Mathilde
und Nina an Theklaͤ's Ferſe heften. Rohrbach
mußte ſeine Worte bald an die eine, bald an die
andere Dame richten. ö ö
Mathilde blieb vor einer Staude weißer Lilien
Rohrbach
ſtehen.
„Das iſt meine Liéblingsblume,“ ſagte ſie ſanft,
— „ſo edel und erhaben, ſo rein und zart, wie
— wie —“ ö
Dem Fräulein fehlte das richtige Wort.
„Wie Sie, gnädiges Fräulein“, ergänzte der
Lieutenant galant.
Mathilde wurde abermals bis unter den Schei-
tel roth, und Nina ließ ihren Arm los, Thekla
warf dem Lieutenant einen keineswegs freundlichen
Blick zu. ö ö
„Laſſen Sie uns jetzt in die Ställer gehen,“
ſagte ſie ziemlich mürriſch. „Ich will Ihnen das
neue Fohlen zeigen.“ — ——
Der Lieutenant folgte ihr gehorſam, aber die
Gefahr, die ihnen beiden drohte, verſöhnte Nina
ſchnell wieder mit Mathilde und deren Arm von
Neuem nehmend, ſagte ſie ſo unbefangen als
möglich: ö
„Ach ja, laß uns mit Thekla nach den Ställen
gehen, Mathilde, das kleine Füllen anzuſehen.“
Dagegen war nichts einzuwenden, Thekla und
der Lieutenant biſſen ſich verſtohlen auf die Lippen.
Thekla war jedenfalls entſchloſſen, ihren Freun-
dinnen die läſtige Begleitung zu verleiden, denn
ſie führte ſie erſt durch die Ställe der Kühe und
Zugochſen, dann der Acker⸗ und aller übrigen Reit-
pferde, ehe ſie zu der Mutterſtute mit ihrem Foh-
len gelangte, und für andere Weſen, als die eines
Kavalleriſten und einer Amazone iſt eine ſolche
Stallwanderung gerade kein ſehr annehmliches Ding.
Aber Nina und Mathilde verfolgten höhere Inter-
eſſen. Sie hoben ſich die zarten Sommerklei-
der ein wenig auf, hielten die Spitzentaſchentücher
vor die Naſen und wichen mit edler Selbſtverläug-
nung nicht von der Stelle. ö