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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

* 133.

Freitag, den 6. Rovember

1868.

Post Festun.)

Humoreske aus dem bürgerlichen Leben von Ernſt Cloß.

Es iſt für das mit göttlichen und menſchlichen
Privilegien wohl ausgeſtattete Inſtitut der Ehe ge-
wiß nicht ſchmeichelhaft, daß die meiſten Schriftſtel-
ler ihre wahrhaftigen und anmuthigen, oder, wie
es neuerdings immer heißt „ſpannenden“ Erzäh⸗—
lungen ſchließen, wenn „Er ſie“ oder „Sie ihn“
bekommen hat. Daher wage ich es einmal da an-
zuknüpfen, wo gewöhnlich der ungeduldige Leſer das
Buch zuklappt und befriedigt ausruft: „Sie bekom-
men einander!“ Boz läßt in ſeinen Pickwickiern
den älteren Herrn Weller zu ſeinem Sohne Sa-
muel ſagen: „Wenn Du einmal ein verheiratheter
Mann biſt, Sam, ſo wirſt Du eine Menge Dinge
verſtehen lernen, die Du jetzt nicht verſtehſt; ob es
aber der Muͤhe werth iſt, ſo viel durchzumachen,
um ſo wenig zu lernen, wie jener Waiſenknabe
ſagte, als er mit dem Alphabet zu Ende war, das
iſt Geſchmacksſache. Ich bin der Meinung, daß es
nicht der Mühe werth iſt!“ So ſprach der ehren-
werthe Gentlemann, deſſen weiſen Ausſprüchen ich
immer mit Andacht lauſche. Aber dieſe Andacht
hindert mich nicht, nur mit dem erſten Theile ſei-
ner hier angeführten Behauptung einverſtanden zu
ſein, dagegen den zweiten ausdrücklich zu beſtreiten.
Ja, es iſt wahr, Samuel, daß jeder neue Ehemann
eine Menge Dinge verſtehen lernen wird, die er
vorher nicht verſtand, aber ſo ganz ohne Intereſſe
iſt dieſe neue und eigenthümliche Schule doch nicht,
und dies meinen noch im ledigen Stande ahnungs-
los dahinwandelnden, Mitbrüdern auseinander zu
ſetzen, dazu habe ich die Feder ergriffen.
Nachdem ich in dieſer Vorrede bewieſen habe,
daß meine Abhandlung „Post festum“ ihre Berech-
tigung hat, wird mir erlaubt ſein, ohne weitere
Umſchweife zu beginnen.
Wenn Leander unter den ſchrecklichſten Gefah-
ren und Hinderniſſen, welche alle natürlich ſeine
Gluth nur vermehrten und ſeine Ausdauer nur
ſtählten, einige Jahre hindurch tagtäglich und bei
jedem Wetter zu Hero geſchwommen und wider Er-
warten nicht ertrunken iſt, ſo erſcheint endlich ein
Tag, an welchem in der Stadt Hero's große Be-

*) Aus der „Bad. Landesztg.“

Altar.

wegung herrſcht. Die Hirten und Hirtinnen, theure
Freunde der beiden Liebenden, legen die Feierkleider
an, ſchmücken ihre kleinen Hüte und Hirtenſtäbe
mit farbigen Bändern und warten, was wenigſtens
die Hirtinnen betrifft, ziemlich aufgeregt und är-
gerlich der Wagen, welche ſie zum Tempel der Gott-
heit bringen ſollen. Die Chaiſen fahren zu dem
angegebenen Zweck wie toll in den Straßen umher
und haben auf dem Bock und Kutſchenbrett in ziem-
lich ſchäbiges Schwarz gekleidete, mit weißen Kra-
vatten und weißen baumwollenen Handſchuhen ver-
ſehene Individuen, deren zu Trauer und Freude
eingerichteten Kautſchukköpfe geſtern noch bei den
Leichenfeierlichkeiten des Herrn Reich maier von un-

ſäglicher Trauer verdüſtert waren, heute aber bei

Leander's Hochzeit die hellſte Freude ausſtrahlen.
Nachdem im Tempel alle erbetenen Zeugen
längſt verſammelt ſind und ſich lebhaft begrüßt-
haben, wobei keine der Damen unterläßt, die Toi-
lette ihrer liebſten und theuerſten Freundin Phyllis
oder Chloe oder Daphne einer kurzen, aber ſchar-
fen Kritik zu unterwerfen, und die Hirten ziemlich
gelangweilt umherſtehen, weil ſie weder trinken, noch
rauchen, noch ſchlechte Witze machen dürfen: tritt
endlich das treue vielgeprüfte Paar ein, um den
heiß erſehnten Lohn für die ausgeſtandene Qual
und die muthig durchſtrittenen Kämpfe zu empfan-
gen. Voraus eilen die beiden furchtbar aufgedon-
nerten Schwiegermütter, welche jetzt den geeigneten
Zeitpunkt gekommen glauben, ſich in der Mitte der

Verſammlung krampfhaft zu umarmen und in einen

toſenden Strom von Thränen der Rührung und
Freude auszubrechen. Die beiden Schwiegerväter
drücken ſich würdig und ſtumm, aber tiefbewegt die
Hände. Nun erſcheint, ſobald der die Feier einlei-
tende Geſang verhallt iſt, der Prieſter vor dem
Er legt am Schluſſe einer Rede voll Ver-
trauen in die Götter, Biederſinn, Würde und poeti-
ſchem Schwung die Hände Hero's und Leander's
zuſammen, fleht den Segen des Himmels auf das

neuvermählte Paar herab und entfernt ſich darauf

mit der Miene eines Mannes, der eine ſchöne, fol-
genſchwere, menſchenfreundliche That, ohne jeglichen
Anſpruch auf Belohnung oder Ankrkennung, rein
um ihrer ſelbſt willen vollbracht hat. Hierauf er-
neuter Geſang, dann fahren wieder die Wagen vor,
und nach und nach entleert ſich der Tempel. Spa-
ter findet ſich die ganze Geſellſchaft wieder im Hauſe
 
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