Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M 110.
Sonntag, den 13. September
1868.
Eine Pfandhausſcene:
Nach Charles Deslys.
(Schluß.)
VI. ö
„Ja,“ fuhr der Greis fort, aber plötzlich ſeine
Erzählung unterbrechend, deutete er auf den Auk-
tionator, der in dieſem Augenblicke die Uhr von
ihrem Platze nahm und zum Verkaufe ausbot.
„Ja, ja!“ rief er in unbeſchreiblicher Erregung,
wobei er Wabhias am Arme ergrf „ia, ſie iſt es,
ſie iſt es! .. . Nun gilts!.
Babylas ſah in der That die alterthümliche,
große, dickbauchige, goldene Repetiruhr, die der
Ausrufer an der Kette hielt und dem kaufluſtigen
Publikum, zeigte, indem er rief:
„Fünfundvierzig Francs! ...
Taſchenuhr,
repetirtl.
mand Luſt 2.
„Sechonndvierzig,“ ſtammelte der alte Greis,
dem der Schweiß in dicken Perlen auf der Stirne
ſtand.
Es vergingen einige Sekunden.
„Sechsundvierzig? .. . Niemand mehr?“ rief
der Auktionator. „Sechsundvierzig zum erſten
Mal ... . ſechsundvierzig zum zweiten Mal!“ Und
ſchon wollte der Notar mit dem Hammer zuſchla-
ſan ſchon öffnete der Ausrufer die Lippen, um
ſein „Zum dritten Mal“ hinzuzufü gen, als ein
alter, ſchmutziger Schacherjude, eine jener abſcheu-
lichen, übelriechenden, ekelerregenden Harpyen mit
den markirten Geſichtszügen, in denen ſich Gewinn-
und Habf ucht, Liſt und Trug ausſprechen, die Uhr
mit gierigem Kennerauge betrachtete und mit ſeiner
näſelnden, ſingenden Knoblauchſtimme, gleich einer
Zauberformel, womit der Greis vernichtet wurde,
„ſiebenundvierzig“ aueſbn e. ö
Eine goldene
die die halben und ganzen Stunden
„Fanfundvierzis Francs. Hat Nie-
„Achtundvierzig. **
VNeunundvierzig .. 2 fügte der Schächer
hinzu.
„Fünfzig ſtöhnte der arme Gatte Ger-
trudens, indem er die Hand nach ſeiner Uhr aus-
ſtreckte.
Es trat wieder eine kleine Pauſe ein.
„Verdammter Eigenſinn!“ murmelte der Jude
undfünfzig Francs.
zwiſchen den gelben, hervorſtehenden Zähnen. „dah,
ich gehe hinauf Einundfünfzig!
Das Geſicht des Greiſes war in dieſem Augen-
blicke unbeſchreiblich. Bleich, verſtört, zweifelhaft
und kaum athmend ſchien er gleichzeitig ſein Leben
und ſeine Vernunft zu verlieren.
„Aber ich habe nur fünfzig Franes!“ mur-
melte er mit einem matten Seufzer, als ſei es der
letzte, den er aushauchte.
„Einundfünfzig Franes! .. .. Einundfünfzig
Francs!“ wiederholte der Ausrufer.
„Nun, was warten Sie noch, Herr Notar?
Schlagen Sie zu, Herr Notar,“ fagte der Jude.
„Die Uhr iſt mein, ich habe ſie erſtanden um ein-
Die goldene Uhr. 0
Nun fuhr der Greis, wie von einer Schlange
gebiſſen, auf, und mit wahrer Wuth, die ſich ſeiner
bemächtigt hatte, rief er:
„Zweiundfünfzig!.
„Dreiundfünfzig!“
Hebräer.
„Vierundfünfzig!“ erklärte der Greis mit einer
gewiſſen Sicherheit, wobei er aber, ſich an Wt
wendend, leiſe hinzufügte: „Ich habe ſie nicht.
Nach einer neuen Pauſe, die für den armen
Greis eine wahre Höllenpein enthalten mußte, ließ
ſein hartnäckiger Gegner abermals ſeine Stimme
vernehmen.
„Fünfundfünfzig!“ rief er.
„Nun ſo leb wohl, meine arme, arme Uhr!
murmelte der Alte in einem Tone, der ein unnenn-
bares Herzeleid ausdrückte, „adieu, adieu!“
Und ohne Zweifel wollte er dieſen unſeligen
Schauplatz ſeiner jammervollen Niederlage fliehen
als ſich eine neue Stimme erhob.
Es war Babylas.
„Sechzig!“ ſchrie er im entſchiedenen Tone
eines Mannes, der ein Opfer zu bringen entſchloſ-
ſen iſt.
Der Greis blieb erſchrocken ſtehen. Der Jude
aber riß ſeinen breiten, bis zu den Ohren reichen-
den Mund mit den dicken, wulſtigen Lippen wie
ein Scheunenthor auf, und rief, obwohl verblüfft,
über den neuen Coneurrenten:
„Fünfundſechzig!.
„Siebenzig!“ ſetzte ſogleih der junge Künſtler
entgegen. ö
„Fünfundſiebenzig!“ ſtotterte der Ifraelite.
Reigerte der rückſichtsloſe
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M 110.
Sonntag, den 13. September
1868.
Eine Pfandhausſcene:
Nach Charles Deslys.
(Schluß.)
VI. ö
„Ja,“ fuhr der Greis fort, aber plötzlich ſeine
Erzählung unterbrechend, deutete er auf den Auk-
tionator, der in dieſem Augenblicke die Uhr von
ihrem Platze nahm und zum Verkaufe ausbot.
„Ja, ja!“ rief er in unbeſchreiblicher Erregung,
wobei er Wabhias am Arme ergrf „ia, ſie iſt es,
ſie iſt es! .. . Nun gilts!.
Babylas ſah in der That die alterthümliche,
große, dickbauchige, goldene Repetiruhr, die der
Ausrufer an der Kette hielt und dem kaufluſtigen
Publikum, zeigte, indem er rief:
„Fünfundvierzig Francs! ...
Taſchenuhr,
repetirtl.
mand Luſt 2.
„Sechonndvierzig,“ ſtammelte der alte Greis,
dem der Schweiß in dicken Perlen auf der Stirne
ſtand.
Es vergingen einige Sekunden.
„Sechsundvierzig? .. . Niemand mehr?“ rief
der Auktionator. „Sechsundvierzig zum erſten
Mal ... . ſechsundvierzig zum zweiten Mal!“ Und
ſchon wollte der Notar mit dem Hammer zuſchla-
ſan ſchon öffnete der Ausrufer die Lippen, um
ſein „Zum dritten Mal“ hinzuzufü gen, als ein
alter, ſchmutziger Schacherjude, eine jener abſcheu-
lichen, übelriechenden, ekelerregenden Harpyen mit
den markirten Geſichtszügen, in denen ſich Gewinn-
und Habf ucht, Liſt und Trug ausſprechen, die Uhr
mit gierigem Kennerauge betrachtete und mit ſeiner
näſelnden, ſingenden Knoblauchſtimme, gleich einer
Zauberformel, womit der Greis vernichtet wurde,
„ſiebenundvierzig“ aueſbn e. ö
Eine goldene
die die halben und ganzen Stunden
„Fanfundvierzis Francs. Hat Nie-
„Achtundvierzig. **
VNeunundvierzig .. 2 fügte der Schächer
hinzu.
„Fünfzig ſtöhnte der arme Gatte Ger-
trudens, indem er die Hand nach ſeiner Uhr aus-
ſtreckte.
Es trat wieder eine kleine Pauſe ein.
„Verdammter Eigenſinn!“ murmelte der Jude
undfünfzig Francs.
zwiſchen den gelben, hervorſtehenden Zähnen. „dah,
ich gehe hinauf Einundfünfzig!
Das Geſicht des Greiſes war in dieſem Augen-
blicke unbeſchreiblich. Bleich, verſtört, zweifelhaft
und kaum athmend ſchien er gleichzeitig ſein Leben
und ſeine Vernunft zu verlieren.
„Aber ich habe nur fünfzig Franes!“ mur-
melte er mit einem matten Seufzer, als ſei es der
letzte, den er aushauchte.
„Einundfünfzig Franes! .. .. Einundfünfzig
Francs!“ wiederholte der Ausrufer.
„Nun, was warten Sie noch, Herr Notar?
Schlagen Sie zu, Herr Notar,“ fagte der Jude.
„Die Uhr iſt mein, ich habe ſie erſtanden um ein-
Die goldene Uhr. 0
Nun fuhr der Greis, wie von einer Schlange
gebiſſen, auf, und mit wahrer Wuth, die ſich ſeiner
bemächtigt hatte, rief er:
„Zweiundfünfzig!.
„Dreiundfünfzig!“
Hebräer.
„Vierundfünfzig!“ erklärte der Greis mit einer
gewiſſen Sicherheit, wobei er aber, ſich an Wt
wendend, leiſe hinzufügte: „Ich habe ſie nicht.
Nach einer neuen Pauſe, die für den armen
Greis eine wahre Höllenpein enthalten mußte, ließ
ſein hartnäckiger Gegner abermals ſeine Stimme
vernehmen.
„Fünfundfünfzig!“ rief er.
„Nun ſo leb wohl, meine arme, arme Uhr!
murmelte der Alte in einem Tone, der ein unnenn-
bares Herzeleid ausdrückte, „adieu, adieu!“
Und ohne Zweifel wollte er dieſen unſeligen
Schauplatz ſeiner jammervollen Niederlage fliehen
als ſich eine neue Stimme erhob.
Es war Babylas.
„Sechzig!“ ſchrie er im entſchiedenen Tone
eines Mannes, der ein Opfer zu bringen entſchloſ-
ſen iſt.
Der Greis blieb erſchrocken ſtehen. Der Jude
aber riß ſeinen breiten, bis zu den Ohren reichen-
den Mund mit den dicken, wulſtigen Lippen wie
ein Scheunenthor auf, und rief, obwohl verblüfft,
über den neuen Coneurrenten:
„Fünfundſechzig!.
„Siebenzig!“ ſetzte ſogleih der junge Künſtler
entgegen. ö
„Fünfundſiebenzig!“ ſtotterte der Ifraelite.
Reigerte der rückſichtsloſe