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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M98.

Franz Alzeyer.

Eine Geſchichte aus den Beſreiungskriegen von Paul Heyſe

(Fortſetzung.)
Als er das geſprochen, wollte er kurzweg Kehrt
machen und den Rückzug antreten; aber da er die
hundert entgeiſterten Augen auf ſich gerichtet ſah,
ſchien es ihm ſelbſt nicht ganz geheuer zu ſein und
er blieb wieder ſtehen und ſah jetzt zu ſeinem Sohn
hinüber, der wie eingewurzelt am Kirchenſtuhl lehnte
und nur mit einem furchtbaren Auge den Mund
anſtarrte, aus dem dieſe vernichtenden Worte er-
ſchollen waren. Und jetzt faßte ſich der Bürger-
meiſter zuerſt und begann dem Franz Alzeyer kräf-
tig in's Gewiſſen zu reden, daß er freilich wohl
das Recht habe, zu handein, wie er geſagt, daß
aber dieſes Recht in dieſer Zeit auszuüben das
ſchwerſte und ein dreifaches Unrecht ſei, nämlich
gegen das Vaterland, gegen den Sohn und gegen
ihn, den Franz Alzeyer, ſelbſt. Denn er werde
hinfort mitten unter ſeinen Mitbürgern wie ein
Geächteter und Ausſätziger leben, wenn er dieſes
Vorhaben ausgeführt, das keine Reue je wieder gut
machen könne, und ſo vernichte er mit der Zukunft
und Hoffnung ſeines Sohnes die eigene, und weder
wan noch Menſchen würden es ihm je verzeihen
nnen.

eine Miene zu verziehen. Nur die Narbe überm
Schädel wurde immer dunkler und unwillkürlich
hob er zuweilen den Stock und ſtieß ihn gegen den
Eſtrich der Kirche, daß es ſchallte. ö
Herr Bürgermeiſter, ſagte er jetzt, Sie reden,
wie Sie's verſtehen, und nun laſſen Sie mich
auch reden, wie ich es verſtehe. Wiſſen Sie
ſo accurat, was der liebe Gott verzeihen wird
und was nicht? Haben Sie einen aparten
dentſchen lieben Gott, der jetzt auf einmal mit
den Franzoſen und ihrem großen Kaiſer brouil-
lirt iſt, nachdem er ihnen lange Zeit beigeſtanden,
die Welt zu überwinden? Ich meine, es ſei noch
derſelbe, der Seine Majeſtät Kaiſer Napoleon den
»Großen in die Welt geſchickt hat, um zu zeigen,
was ein einziger großer Mann ausrichten könne,
woenn die übrige Menſchheit die Schlafmütze über

die Ohren gezogen hat. Warum ſoll es jetzt auf

3—

Sonntag, den 16. Auguſt

Der ſtarre Mann hörte dem Allen zu, ohne

1868.

einmal gottlos ſein, zu Hauſe zu bleiben, wenn die
Haſen ſich aufmachen, um den Löwen zu jagen?
Sie reden ſo viel von einer heiligen Sache, für die
das junge Volk ins Feld ziehen ſolle. Aber ich
habe auch eine heilige Sache, und ich müßte mir
das Band von der Bruſt reißen, das mir mein
Kaiſer ſelbſt darauf geheftet hat, wenn ich leiden
wollte, daß mein eigenes Blut mitzöge, um gegen
den großen Mann einen Bubenſtreich auszuführen,
jetzt da Unglück über ihn gekommen und Waſſer
und Feuer ihm ein großes Heer hingerafft haben.
Als ihm noch nichts Menſchliches widerfahren war,
da war hier Alles ſtill von der heiligen Sache, da
bettelten wir um ſeine Gnade und Freundſchaft,
und der deutſche liebe Gott wurde nicht mit Pre-
digen und Liederſingen incommodirt. Da war Alles
froh, daß es in der alten ledernen Langeweile und
Duckmäuſerei ſo fortging, und wenn euch jetzt —
und er erhob den Blick über die ganze Gemeinde,
die in den Kirchenſtühlen ſtand — wenn euch jetzt
der Kamm ſchwillt, daß ihr mit dem großen Kaiſer
anbinden wollt, als wäret ihr ſeinesgleichen, ſo iſt
es nur, damit ihr hernach wieder die Bärenhäuter
werden könntet, die ihr vorher geweſen ſeid, und
nicht über eure Naſe hinaus in die Welt zu ſehen
braucht, wenn Andere ſich rühren. Ja wohl, ſagte
er mit ſtarker Stimme, da ſich ein verhaltenes
Murren hören ließ, die heilige Sache, um die es
euch zu thun iſt, das iſt das Ofenhocken und Schop-
penſtechen, und die großen Männer, von denen ihr
regiert ſein wollt, ſind die Polizei⸗Sergeanten und
der Nachtwächter, und die großen Dinge, von denen
ihr ſchwatzen mögt, ſind Hochzeiten und Kindtaufen,
und was darüber iſt, das iſt vom Uebel. Ihr
hattet wohl einmal die Witterung, daß es noch et-
was Anderes gebe, was über eure Köpfe hinaus-
gehe, und als der erſte Conſul ſeine erſten Schlach-
ten ſchlug, da war er euch ein Wunderthier, das
ihr gern für Geld geſehen hättet. Nun iſt es euch
auf die Länge unbequem geworden, daß ihr euch
die Hälſe verdrehen ſollt, um zu ihm hinaufzuſehen,
und nun rottet ihr euch zuſammen und ſchreit:
Nieder mit ihm! und ruft euren lieben Gott zu
Hilfe, weil ihr wohl merkt, daß ihr ſelbſt nicht zu
ihm hinauflangen könnt. Thut meinetwegen, was
ihr nicht laſſen könnt. Ich hab' euch auch bisher
nicht daran gehindert, vielmehr ſchon lange wie ein
„Geächteter und Ausſätziger“ unter euch gelebt.
 
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