Heidelberger gamilienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M45.
Sonntag, den 12. April
1868.
Zur Geſchichte der Annexion Hannovers.
Fortſetzung.)
Ich hatte den Grafen Bismarck, den ich per-
ſönlich kannte, um eine Unterredung gebeten, die
auch am 7. Auguſt ſtattfand.
Berlin, den 9. Auguſt.
Graf Bismarck ließ mich um 1 Uhr zu ſich
beſcheiden. Ich eröffnete unſer Geſpräch damit,
daß ich dem Grafen erklärte, wie ich durchaus
nicht im Auftrage des Köͤnigs komme, durchaus
keine politiſche Miſſion habe und nur nach Berlin
gekommen ſei, um mir über die Zukunft Hanno-
vers Gewißheit zu verſchaffen und ihn, den Gra-
fen Bismarck, über die richtige Stimmung und
namentlich über die Stimmung im Adel aufzuklä-
ren und für die Erhaltung einer der älteſten Dy-
naſtien zu wirken.
Graf Bismarck ſagte mir darauf, er bedauere
ſehr, mir nicht viel Angenehmes ſagen zu können,
es gehe ihm ſelbſt jetzt Manches zu raſch; er könne
verſichern, daß er die Annexion nicht beabſichtigt
habe, daß er von vornherein die Selbſtſtändigkeit
Hannovers habe achten wollen. Anfangs Mai habe
er Hannover noch ein Neutralitäts-Bündniß ange-
boten ohne Reformprojekt und mit Garantie des
ganzen Territorialbeſtandes; er habe immer gehofft,
Hannover würde, wie im ſiebenjährigen Kriege, zu
Preußen halten, und hätte nie glauben können, daß
es ſolches vortheilhafte Anerbieten hätte ausſchlagen
können. Während über dieſe Anerbieten in Berlin
verhandelt wäre, ſeien gleichzeitig in Wien ſehr
lebhafte Verhandlungen wegen eines Bündniſſes mit
Oeſterreich und der Anſchließung der hannoverſchen
Armee an die Brigade Kalik geführt; Prinz Karl
Solms ſei dann nach Hannover gekommen und die
feindſelige Haltung des Königs und ſeiner Regie-
rung ſei offen hervorgetreten. Der König habe
keine Gelegenheit verſäumt, ſeinem Haſſe gegen
Preußen Luft zu machen und habe jede Verhand-
lung unmöglich gemacht. Ich unterbrach den Gra-
fen mit der Bemerkung, er möge von der Perſon
des Königs abſehen, es handle ſich hier um das
Schickſal einer der älteſten Dynaſtien in Europa;
er möge die Abdication verlangen und erklären, er
wolle nur mit dem Kronprinzen verhandeln. Graf
Bismarck erwiederte: Er habe dieſe Idee auch ge-
habt, habe auch den König darum in Wien ſondi-
ren laſſen, habe aber wie immer die Antwort er-
halten: „Ein Welf könne ſich unter einen Hohen-
zoller nicht beugen.“ Ich müſſe ihm doch Recht
geben, daß es ſchwer ſei, mit mir hier die Erhal⸗—
tung der Dynaſtie zu beſprechen, während deren
Träger in Wien fortwährend gegen Preußen auf-
hetze und Intriguen anſpinne. Darauf kam ich
noch einmal auf die Abdication des Königs zurück,
ſtellte dem Grafen Bismarck vor, daß es doch auch
im Intereſſe Preußens liege, einen 2,000,000 ſtar-
ken Stamm ſich durch ein Bündniß zum Freunde
zu machen, ſtatt ihn durch dieſen plötzlichen Ueber-
gang ſich zu verfeinden; daß die Stimmung von
jeher antipreußiſch geweſen ſei und daß dieſelbe
Stimmung auch noch jetzt exiſtire, koͤnne ich ver⸗—
ſichern. Für einen Anſchluß an Preußen ſeien, da
die Bundesverhältniſſe nicht mehr zu halten, auch
diejenigen, die es früher nicht geweſen wären, jetzt
entſchieden; für die Annexion Niemand, und wollte
man die neue franzöſiſche Staatslehre, die ich im
Allgemeinen nicht billige, das suffrage universel,
in Hannover anwenden, ſo würde man ſich über .
das Reſultat verwundern. Graf Bismarck bemerkte
darauf, daß er mir ſchon am Anfange der Unter-
redung die Gründe angegeben hade, aus denen man
keine Rückſicht auf die Anſicht der Völker nehmen
könne und die Preußen zwängen, die Annexion,
die, er könne es mir feſt verſichern, vom Kö-
nige beſchloſſen ſei, möglichſt bald anzuführen. Ich
fragte den Grafen Bismarck, ob der Koͤnig mich
empfangen würde, wenn ich mich bei ihm meldete.
Graf Bismarck ſagte, er würde mich ſelbſt bei ihm
melden, wenn ich es wünſche, da er jetzt wiſſe, daß
ich keine offizielle Miſſion habe; er zweifle auch
nicht daran, daß Se. Majeſtät mich empfangen
würde, es könne aber längere Zeit dauern, da er
jetzt ſehr beſchäftigt ſei, übrigens würde es dem
Könige nur ſchmerzlich und unangenehm ſein, und
er bäte mich, davon abzuſtehen. Auf meine An-
frage, ob Se. Majeſtät und das Miniſterium die
Annexion ſchon beſtimmt und formell beſchloſſen
haben, ſagte er: ja. Es ſtehe auch die Publikation
der Annerion mit den Friedensverhandlungen durch-
aus in keinem Zuſammenhange und ſie werde ge-
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M45.
Sonntag, den 12. April
1868.
Zur Geſchichte der Annexion Hannovers.
Fortſetzung.)
Ich hatte den Grafen Bismarck, den ich per-
ſönlich kannte, um eine Unterredung gebeten, die
auch am 7. Auguſt ſtattfand.
Berlin, den 9. Auguſt.
Graf Bismarck ließ mich um 1 Uhr zu ſich
beſcheiden. Ich eröffnete unſer Geſpräch damit,
daß ich dem Grafen erklärte, wie ich durchaus
nicht im Auftrage des Köͤnigs komme, durchaus
keine politiſche Miſſion habe und nur nach Berlin
gekommen ſei, um mir über die Zukunft Hanno-
vers Gewißheit zu verſchaffen und ihn, den Gra-
fen Bismarck, über die richtige Stimmung und
namentlich über die Stimmung im Adel aufzuklä-
ren und für die Erhaltung einer der älteſten Dy-
naſtien zu wirken.
Graf Bismarck ſagte mir darauf, er bedauere
ſehr, mir nicht viel Angenehmes ſagen zu können,
es gehe ihm ſelbſt jetzt Manches zu raſch; er könne
verſichern, daß er die Annexion nicht beabſichtigt
habe, daß er von vornherein die Selbſtſtändigkeit
Hannovers habe achten wollen. Anfangs Mai habe
er Hannover noch ein Neutralitäts-Bündniß ange-
boten ohne Reformprojekt und mit Garantie des
ganzen Territorialbeſtandes; er habe immer gehofft,
Hannover würde, wie im ſiebenjährigen Kriege, zu
Preußen halten, und hätte nie glauben können, daß
es ſolches vortheilhafte Anerbieten hätte ausſchlagen
können. Während über dieſe Anerbieten in Berlin
verhandelt wäre, ſeien gleichzeitig in Wien ſehr
lebhafte Verhandlungen wegen eines Bündniſſes mit
Oeſterreich und der Anſchließung der hannoverſchen
Armee an die Brigade Kalik geführt; Prinz Karl
Solms ſei dann nach Hannover gekommen und die
feindſelige Haltung des Königs und ſeiner Regie-
rung ſei offen hervorgetreten. Der König habe
keine Gelegenheit verſäumt, ſeinem Haſſe gegen
Preußen Luft zu machen und habe jede Verhand-
lung unmöglich gemacht. Ich unterbrach den Gra-
fen mit der Bemerkung, er möge von der Perſon
des Königs abſehen, es handle ſich hier um das
Schickſal einer der älteſten Dynaſtien in Europa;
er möge die Abdication verlangen und erklären, er
wolle nur mit dem Kronprinzen verhandeln. Graf
Bismarck erwiederte: Er habe dieſe Idee auch ge-
habt, habe auch den König darum in Wien ſondi-
ren laſſen, habe aber wie immer die Antwort er-
halten: „Ein Welf könne ſich unter einen Hohen-
zoller nicht beugen.“ Ich müſſe ihm doch Recht
geben, daß es ſchwer ſei, mit mir hier die Erhal⸗—
tung der Dynaſtie zu beſprechen, während deren
Träger in Wien fortwährend gegen Preußen auf-
hetze und Intriguen anſpinne. Darauf kam ich
noch einmal auf die Abdication des Königs zurück,
ſtellte dem Grafen Bismarck vor, daß es doch auch
im Intereſſe Preußens liege, einen 2,000,000 ſtar-
ken Stamm ſich durch ein Bündniß zum Freunde
zu machen, ſtatt ihn durch dieſen plötzlichen Ueber-
gang ſich zu verfeinden; daß die Stimmung von
jeher antipreußiſch geweſen ſei und daß dieſelbe
Stimmung auch noch jetzt exiſtire, koͤnne ich ver⸗—
ſichern. Für einen Anſchluß an Preußen ſeien, da
die Bundesverhältniſſe nicht mehr zu halten, auch
diejenigen, die es früher nicht geweſen wären, jetzt
entſchieden; für die Annexion Niemand, und wollte
man die neue franzöſiſche Staatslehre, die ich im
Allgemeinen nicht billige, das suffrage universel,
in Hannover anwenden, ſo würde man ſich über .
das Reſultat verwundern. Graf Bismarck bemerkte
darauf, daß er mir ſchon am Anfange der Unter-
redung die Gründe angegeben hade, aus denen man
keine Rückſicht auf die Anſicht der Völker nehmen
könne und die Preußen zwängen, die Annexion,
die, er könne es mir feſt verſichern, vom Kö-
nige beſchloſſen ſei, möglichſt bald anzuführen. Ich
fragte den Grafen Bismarck, ob der Koͤnig mich
empfangen würde, wenn ich mich bei ihm meldete.
Graf Bismarck ſagte, er würde mich ſelbſt bei ihm
melden, wenn ich es wünſche, da er jetzt wiſſe, daß
ich keine offizielle Miſſion habe; er zweifle auch
nicht daran, daß Se. Majeſtät mich empfangen
würde, es könne aber längere Zeit dauern, da er
jetzt ſehr beſchäftigt ſei, übrigens würde es dem
Könige nur ſchmerzlich und unangenehm ſein, und
er bäte mich, davon abzuſtehen. Auf meine An-
frage, ob Se. Majeſtät und das Miniſterium die
Annexion ſchon beſtimmt und formell beſchloſſen
haben, ſagte er: ja. Es ſtehe auch die Publikation
der Annerion mit den Friedensverhandlungen durch-
aus in keinem Zuſammenhange und ſie werde ge-