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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

136.

Freitag, den 13. November

1868.

Die letzte Montanini.
Eine italieniſche Geſchichte, nach alten Papieren erzählt
von
Berthold Rödiger.

Das Haus, in welchem zu Siena die heilige
Katharina das Licht der Welt erblickte, wird noch
heute von zahlreichen Gläubigen und Neugierigen
aus allen Ländern beſucht. Die Stube, die ſie in
Niedrigkeit bewohnte, iſt in eine Kapelle verwan-
delt, in welcher alltäglich Meſſe geleſen wird. So
iſt es heute, ſo war's ſchon vor zweihundert Jah-
ren. Damals wohnte in einem gegenüberliegenden,
noch weit dürftiger ausſehenden Hauſe Borſo Mon-
tanini, der letzte Sprößling jener Familie dei Mon-
tanini, welche in alten Zeiten die Republik Siena
mit Hülfe der patriziſchen Partei beherrſchte. Von
dieſem ehemaligen Glanze war im ſiebenzehnten Jahr-
hundert keine Spur mehr vorhanden und Borſo
Montanini lebte in jenem alten, ärmlichen, ganz
verfallenen Hauſe mit ſeiner Schweſter, wie ſo viele
alte Nobili der ehemaligen Republik Siena, man
wußte nicht wie und wovon.
unſere Geſchichte beginnt, war die Noth im Hauſe
geringer, als ſie ſchon früher zu wiederholten Malen
geweſen. Borſo Montanini hatte den Erzbiſchof
von Piſa als Edelmann ſeines Gefolges begleitet,
als dieſer nach Rom ging, um dem Papſte für den
Kardinalshut zu danken. Nach der Reiſe beſchenkte
der Erzbiſchof ſämmtliche junge Edelleute ſeines
Gefolges, als er ſie entließ, mit goldenen Ketten.
Die Kette Borſo Montanini's hatte zweiunddreißig
Ringe oder Glieder. Allmonatlich brach Borſo ein
ſolches Glied von der Kette und ſeine Schweſter
Pia trug es zum Goldſchmied, um dafür eine kleine
Summe in Empfang zu nehmen. Von dieſem
Erlös nährten ſich nun die Geſchwiſter, ſo gut es
ging mit Brod, Artiſchoken, Orangen, Zwiebeln,
und dergleichen. Schon hing am Fenſter des Gold-
ſchmieds ſtattlich breit beinahe die ganze Kette, die
er wieder aus ihren Theilen zuſammengeſetzt hatte,
während im Kaſten Borſo's nur noch wenige Glie-
der lagen. Es waren alſo ſeit ſeiner Rückkehr aus
Rom und ſeiner Entlaſſung aus dem Gefolge des
Kardinals ſchon viele Monate, ja mehr als zwei
Jahre vergangen; daher waren auch die Kleider,
mit denen Borſo damals ausgeſtattet worden, ſchon

Um die Zeit, da

ſo gealtert, daß er ſich in dieſem ſeinem einzigen

Anzuge auf der Straße zu zeigen ſchämte. Mit
ſeiner Schweſter verbrachte er die ganzen Tage in
ſeiner Wohnung, und da er nichts anderes zu thun.
hatte, betrachtete er durch eine noch klare Stelle
ſeines erblindeten Fenſters die fremden Neugierigen,
welche das Haus der heiligen Katharina von Siena
beſuchten, und die Gläubigen, die in ihrer Stube
die Meſſe zu hören kamen. —
Eines Tages, da Borſo Montanini wieder am
Fenſter ſaß und die Gläubigen, die in das Haus
der heiligen Katharina zur Meſſe gingen, beobach-
tete, fielen ihm unter dieſen zwei Fremde auf: ein

alter Herr mit einem Federhut auf dem Koͤpfe,

einem ſchwarzen Sammimantel auf der Schulter
und einem Degen an der Seite, und neben dieſem
ein junges Fräulein von ſiebzehn oder höchſtens
achtzehn Jahren. Nach den Erfahrungen, die er
in Rom gemacht, wo er Männer und Frauen vie-
ler Nationen geſehen, glauhte er ſchließen zu dür-
fen, daß die beiden Fremden der franzöſiſchen Nation
angehörten. Er blieb auf ſeinem Platze, bis die
Beiden nach der Meſſe wieder aus dem Hauſe tra-
ten und er ihnen in's Geſicht ſehen konnte. Gegen
ſeine Gewohnheit, da er ſonſt viele Stunden lang.
ganz ſchweigſam dazuſitzen pflegte, ſprang er auf
und rief: Ein ſo ſchönes Mädchen habe ich weder
in Siena, noch in Piſa, noch in Rom geſehen! —
Am andern Morgen ſah er ſie an der Seite des
alten Mannes wieder in das Haus treten und am
dritten Morgen, nachdem die kunſtverſtändige Hand
der Schweſter Pia ſeinen Anzug in Ordnung ge-
bracht und manche ſchadhafte Stelle glücklich ver-
hüllt hatte, machte er ſich auf, um ebenfalls im

Hauſe der heiligen Katharina eine Meſſe zu hören.

So that er nunmehr durch mehrere Tage. Die
Fremden kehrten regelmäßig wieder und es war
ausgemacht, daß ſie nicht als Reiſende durch Siena
gekommen, ſondern daß ſie ſich in dieſer Stadt
wohnhaft niedergelaſſen. Borſo ſchickte vor der Zeit
ſeine Schweſter zum Goldſchmied und zwar mit
drei Gliedern der goldenen Kette auf einmal. Für
den Erlös kaufte er ſich einen neuen Hut und einen
neuen Mantel, ſchnallte ſeinen Degen um und ging
aus dem Hauſe, um mehrere Tage nach einander
erſt ſpät am Abende wieder heimzukehren. ö
Endlich eines Morgens ließ er Mantel, Hut
und Degen am Nagel hängen, ging ſelbſt nicht hin-
 
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