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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 85.

Freitag, den 17. Juli

1868.

Eine polniſche Klostergeſchichte

Aus den Papieren eines polniſchen Emiſſärs.

Im Jahre 1845, und zwar im Herbſte, erhielt
ich unerwartet in Paris, wo ich mich damals eben
in der Militärſchule befand, welche von der polni-
ſchen Centraliſation für ihre Zwecke eingerichtet
war, den Auftrag ſofort nach Galizien abzureiſen.
Der Befehl war von einem Paſſe auf den Namen
Hipolyte Destournelles, Uhrmacher, einer Inſtruec-

tion in Chiffern, einer Ordre: die Weichſelgegend

gegenüber von Krakau in militäriſcher Beziehung
zu ſtudiren, einer Karte von Polen und einer Spe-
cialkarte jener Gegend, endlich — von einer Blouſe
begleitet.
Dieſe Blouſe, von einem ſchlichten, blaugrauen
Stoffe, ein Kleidungsſtück ganz von jener Gattung,
welche zu Paris von Arbeitern, Handwerkern, und
in eleganterem Style von Studenten und jungen
Künſtlern getragen wurde, war nächſt dem von
der franzöſiſchen Regierung unverfänglich ausge-
Fahrt. Paſſe, das wichtigſte Inſtrument für meine
ahrt.
So viel Knöpfe nämlich dieſe Blouſe zierten,
ebenſoviel Sendſchreiben in Chiffern, Weiſungen,
Inſtructionen führte ich mit mir, um ſie in Gali-
zien einzuſchmuggeln. ö
Die mir gegebene Inſtruction in Chiffern ent-
hielt Weiſungen, welche auf die in den Knöpfen der
hatten eingewirkten verborgenen Schriftſtücke Bezug
atten.
„Die Inſtruction war in dem Schirm meiner
kleinen Tuchmütze verborgen und in einer Weiſe
abgefaßt, daß ſie nur mir verſtändlich war. Wenn
ich der Polizei in die Hände fallen ſollte, war erſt
das Papier im Mützenſchirme überhaupt zu ent-
decken, dann zu dechiffriren — was ſich in meh-
reren Fällen zur Beruhigung der polniſchen Re-
gierung, bereits als ganz unmöglich erwieſen hatte.
Dann galt es noch, die Papiere in den Knöpfen
der Blouſe zu finden, gleichfalls zu dechiffriren, und
mit meiner Inſtruction in Beziehung zu bringen.
Wenn alſo irgend etwas auf dieſer Erde unmöglich
iſt, ſo war eine Entdeckung unmöglich. Nur mein
Geſtändniß, mein Verrath konnte die Regierung
über meine. Miſſion in's Klare ſetzen und ich war
entſchloſſen, eher zu ſterben als die Sache Polens


*

an den Grafen K. in L. adreſſirt.

zu verrathen. Alſo es war wenig Ausſicht vor-
handen, mein wichtiges Geheimniß zu enthüllen
und ich reiſte getroſt von Paris ab, ging über
Deutſchland, traf Anfangs October in Krakau ein,
wo ich ſofort einige meiner Knöpfe an Mann brachte
und paſſicte bei Podgorze anſtandslos die Weichſel-
brücke und die öͤſterreichiſche Grenze.

Es war dies die Einleitung zu der intereſſan-

teſten und bedeutungsvollſten Periode meines Lebens.
Eine Reihe der merkwürdigſten Erlebniſſe, der eigen-
thümlichſten Charaktere, edler bewunderungswürdi-
ger und häßlicher haſſenswerther wie elender, ver-
ächtlicher Menſchen; pikante Abenteuer, ſchöne reiz-
volle Frauen, die komiſchſten Lagen des Lebens wie
Stunden der tiefſten Trauer, des Kummers, des

Schmerzes, Seligkeit und Verzweiflung reihten ſich

wie ſchwarze und weiße Perlen durcheinander ge-
miſcht, an den rothen Faden meiner Propaganda
in Galizien, dem Freiſtaat Krakau und Ruſſiſch-
Polen. ö
Mehrere derſelben möchte ich gerne dem Dunkel
des Geheimniſſes, der Verborgenheit und Vergeſſen-
heit entreißen und zu dieſem Zwecke ſchrieb ich
dieſes Tagebuch.

Eines meiner merkwürdigſten Erlebniſſe — ich
nenne es eine polniſche Kloſtergeſchichte — griff ſo
unerbittlich in mein Daſein, daß ich erſt nach Jah-
ren die Ruhe gewinne, es aufzuzeichnen.
Unter den Knöpfen meiner Blouſe war einer
Ich ſuchte den
jungen Edelmann, in einer Weiſe, welche nach keiner
Seite hin Verdacht erregen konnte, auf, übergab
ihm die Ordre unſerer Regierung in Paris und
trat mit ihm zuerſt in regen politiſchen Verkehr
und, nachdem derſelbe mehrere Monate gewährt
hatte, in ein freundſchaftliches Verhältniß, deſſen
Zartheit, Innigkeit und Glut durch die gemeinſame
Idee, Gefahr und Thätigkeit ſehr erhöht wurde.
Mein Freund K. — aber ich will ihn lieber
mit ſeinem Taufnamen Kaſimir nennen — alſo
mein Freund Kaſimir war ein junger Mann von
22 Jahren, ſchön wie ein Apollo. Sein langes,
gelocktes, ſchwarzes Haar rahmte ein blühendes,
beinahe knabenhaftes Geſicht ein, aber ſeine Naſe
war kräftig gebogen, das blaue Auge, wenigſtens
eben ſo energiſch, als ſeelenvoll und zärtlich. Kaſi-
mir war eine jener Ausnahm snaturen, welche nicht
 
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