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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 1 - No. 14 (1. Januar - 31. Januar)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 13.

1868.

Mittwoch, den 29. Januar

Poste restante.
Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

(Fortſetzung.)
9. Endlich ergriffen.

Am folgenden Vormittage erfüllte mich der leb-
hafte Wunſch zu erfahren, wie Burton's Leonore
ſich gegen James benehme und welchen Eindruck
der Aufenthalt in Argyllhouſe auf ſie mache. Da
ich bemerkte, daß Mr. Argyll ſich in ſeinem Zim—⸗
mer zu ebeuer Erde befand, ſo hielt ich es für
ſchicklich, ihn zuerſt zu begrüßen; er empfing mich
mit einem unbeſchreiblich argwöhniſchen, bekümmer-
ten, tadelnden Blicke, und ſein Gruß, womit er
den meinigen erwiederte, klang ſo auffallend, ſo“
verletzend möchte ich ſagen, daß ich ſofort von dem
Gedanken an eine neue Intrigue und Verdächtigung
durchzuckt ward. Wer anders konnte an dieſem
hölliſchen Werke arbeiten als James, der mich aus
irgend einem Grunde aus dem Wege haben wollte?
Und mit dem Bewußtſein, daß ich dieſem früher
oder ſpäter das Feld räumen müſſe, miſchte ſich
die Entrüſtung, daß ein ſo ernſter, überlegter Mann

wie mein Chef, der mich doch ſeit Jahren kannte,

auf Einflüſterungen hörte, ohne zu prüfen. Ich
hätte mich ausſprechen, hätte um eine Erklärung
bitten können, aber die Entrüſtung und das Ge-
fühl des erlittenen Unrechts erſtickte in mir jeden
Verſuch, Erörterungen herbeizuführen.
In's Empfangszimmer eintretend, ſah ich zu
meinem Erſtaunen die kleine Leonore im freund-
lichſten Verkehr mit James, der mir einen höhniſch
lächelnden, triumphirenden Blick zuwarf. Er flat-
tirte das Kind gleich einer erwachſenen Perſon, und
ſchien es ſich über Nacht zu einer ernſten, bedeut-
ſamen Aufgabe gemacht zu haben, Leonorens Zu-
neigung zu gewinnen. Eleanor's Geſinnung war
aus ihrem Aeußern ſchwer zu errathen, denn ſie
erſchien immer tiefernſt, in ſich gekehrt und in eine
ruhige Trauer verſunken; in Mary's Blicken aber
glaubte ich innige, tiefe Theilnahme leſen zu kön-
nen. Meine Stimmung war entſetzlich: Wuth und
Schmerz zerfleiſchten mir die Bruſt. Ich blieb, auf

beſondere Einladung, zum Mittageſſen, aber es war
eine ſchwere Aufgabe für mich, den lächelnden, ſpöt-
tiſchen Uebermuth des heuchleriſchen Neffen und
die mitleidige Duldung ſeines argwöhniſch gemach-
ten Onkels zu ertragen. Es ward mir in dieſen
Stunden klar, daß ich fortan in dem Hauſe, wel-
chem ich mein heiligſtes Streben geweiht und auf
welches ich meine beſte Hoffnung geſetzt hatte, nur
ein überflüſſiger, ungern gelittener Menſch war.
Mit dieſer Ueberzeugung zog ich mich zurück, und
als ich in meine Wohnung gelangte, ſchrieb ich
meiner Mutter, daß ich ſie in Kurzem beſuchen
werde. ö
Ich verbrachte zwei bittere Tage in tiefer Ein-
ſamkeit; dann ging ich nochmals in Argyll's Haus,
und als ich die Verſtimmung gegen mich wo mög-
lich noch mehr geſteigert fand, blieb ich weg und
würde ſofort abgereist ſein, wenn ich nicht die
Rückkehr des Detektive hätte erwarten wollen. In-
zwiſchen entwarf ich an Mr. Argyll einen Brief,
worin ich ihm meine Empfindungen und Wahrneh-
mungen auseinander ſetzte; ich kann allerdings
nicht verhehlen, daß ich daran noch die Hoffnung
knüpfte, Mr. Argyll werde, wenn er ihn leſe, ſich
beſinnen und mir die in Ausſicht geſtellte Theil-
haberſchaft, auf welche ich für meine bisherigen
Dienſte einen gewiſſen moraliſchen Anſpruch hatte,
anbieten. Noch ehe ich mit dem Entſchluſſe, den
Brief abzugeben, im Reinen war, erhielt ich von
Mr. Burton aus Argyll's Hauſe die Einladung zu
einem Beſuche. Es war gegen Abend, als ich dort
eintraf; Burton befand ſich im Geſellſchaftszimmer
mit der Familie beim Thee, und es entging mir
nicht, daß er mit eigenthümlicher Spannung das
vertrauliche Verhaltniß zwiſchen James und ſeinem
Kind beobachtete. James behandelte das Mädchen,
von welchem er Anfangs mit grober Spötterei ge-
ſprochen, in wahrhaft oſtenſibler Weiſe wie eine
Prinzeſſin; er war, wie er⸗- ſelbſt ſich ausdrückte,
ein vorſichtiger Mann, der es in ſeinem Intereſſe
für geboten erachtete, Vater und Tochter zugleich
zu gewinnen.
Nach einer halben Stunde erklärte Burton, daß
er genöthigt ſei, den Abend einer geſchäftlichen An-
gelegenheit zu widmen, und fragte mich, ob ich ihn
auf kurze Zeit begleiten wolle. Dieſe Frage war
für mich eine erwünſchte Aufforderung, der zu fol-
gen ich ſofort bereit war. Burton bot ſeiner Toch-
 
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