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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0563

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Heidelberger Familienblätter.

Vellerriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 139.

Freitag, den 20. November

1868.

Die letze Montanini.

Eine italieniſche Geſchichte, nach alten Papieren erzählt
von
Berthold Rödiger.

(Fortſetzung.) ö
An der Treppe fanden ihn, wir wiſſen nicht
nach wie langer Zeit, die Diener des Hauſes, die ein
großes Geſchrei erhoben, da ſie ihn für todt hielten.
Auf den Lärm kam Anna herbei und ließ Lorenzo
in ihre Gemächer bringen, um zu verſuchen, ob
nicht noch Leben in ihm ſei. Die gute Seele be-
mühte ſich aufrichtig und wandte alle moͤglichen
Mittel an, um wieder Lebenszeichen hervorzurufen.
In der That kam auch Lorenzo bald zum Bewußt-
ſein, aber alle ſeine Glieder waren ſo ſehr gelähmt
und ſtarr, daß er nicht der geringſten Bewegung
fähig war. Er hörte ſchon längſt die Stimme ſei-
ner Pflegerin und er konnte bereits beobachten, mit
welcher Barmherzigkeit ſie ſich um ihn bemühte,
während ſie ihn noch lange Zeit für todt hielt.
Endlich ſchlug er die Augen auf und erkannte, was
er ſchon in ſeinem Starrkrampf geahnt hatte, daß
die Barmherzige keine Andere war, als Anna, Sig-
nora Montanini. Bei dieſem Anblick ſchien das
ganze Leben und die ganze Kraft in ſeine Glieder
zurückzukehren; er ſprang mit einem Satze vom
Lager auf und ſah ſie mit Blicken an, aus denen
bei weitem mehr Angſt und Entſetzen als Dank-
barkeit leuchteten. Ihr, Signora Anna, rief er
zitternd aus, ihr ſeid es, die mir wieder das Leben
gibt? Wahrlich, ich habe das Gegentheil um Euch
verdient! Nach dieſen Worten warf er ſich ihr
zu Füßen und bedeckte den Saum ihres Kleides mit
Küſſen und Thränen. Endlich ſprang er auf und
ohne Anna nur noch anzuſehen und als ob er von
unſichtbaren Geiſtern fortgetrieben würde, eilte er
aus dem Gemache und aus dem Palaſte hinaus,
immer mit Armen und Händen hinter ſich ſchlaͤ⸗
gend, wie ein Menſch, der einen oder mehrere Ver-
folger von ſich abwehrt. Anna wußte nicht, wie
ſie ſich dieſes Benehmen Lorenzo's deuten ſolle und
wußte ferner nicht, warum ſie dieſes Benehmen
ohne irgend eine Urſache daran erinnerte, daß die
Kirche ſo lange ihrer Ehe mit Borſo den Segen
verſagt hatte.

dieſes Lorenzo zu Pia, welche in Folge ſeiner Ver-

Dann dachte ſie wieder an die Liebe

ſuche, zu ihr zu dringen, ſchon dem letzten Diener
im Hauſe bekannt war — und Alles das zuſam-
men machte ſie noch nachdenklicher, als ſie es ſeit
den Flitterwochen ſchon geweſen. ö
Dies war der letzte Beſuch Lorenzo's im Pa-
lazzo Montauini. Er kam nicht wieder und Pia
konnte ſich nun ganz ungeſtört ihren Studien hin-
geben, in die ſie ſich mehr und mehr vertiefte, ja
ſo ſehr vertiefte, daß ſie kaum mehr wußte, was
im Hauſe vorging. Viele Tage verſtrichen oft, ohne
daß ſie einer der Bewohner des Palaſtes zu Ge-
ſicht bekam, ſo ausdauernd hielt ſie ſich in ihrem
Laboratorium eingeſchloſſen. Sie wußte nicht, ob
die von ihr geſtiftete Ehe glücklich war oder unglück-
lich; ſie wußte nichts von den etwaigen Freuden
oder Sorgen des Hauſes. Sie bemerkte nicht, daß
die Gattin ihres Bruders immer trauriger wurde
und mit gebeugtem Haupte umherging, als ob ſie
nach der Löſung eines Räthſels ſuchte und daß dieſe
Trauer und Nachdenklichkeit ſeit dem Abenteuer mit
Lorenzo noch zugenommen. Die Scheu, welche
Anna vor ihr empfand, beachtete ſie eben ſo wenig,
als ſie für die umdüſterte Stirn ihres Bruders ein
Auge hatte. Daß das Haus, welches nach der
Hochzeit mit einem des alten Adels würdigen Glanze
ausgeſtattet wurde, dem Mangel und dem aberma-
ligen Verfalle entgegenging, erfuhr ſie erſt, als ſie
eines Tages, wie ſchon oft, von Borſo Gold ver-
langte, um Stoff für ihre Forſchungen zu haben
und als ſie dieſer mit Vorwürfen überhäufte, daß
ſie ſein Letztes in Rauch aufgehen laſſe. Das Ver-
mögen, das ſich nach dem Tode des Herrn Sa-
ligny vorfand, hatte dem armen ſieneſiſchen Nobile
ungeheuer geſchienen, er hatte nie ſo vielen Schmuck,
ſo viele Dublonen zuſammen geſehen. Er rechnete
nicht, als er den Palaſt fürſtlich einrichten ließ
und eine große Dienerſchaft in ſeinen Sold nahm
und er dachte nicht daran, daß dieſes angeerbte Ver-
mögen Anna's zu Ende gehen mußte. Solcher
Ketten, wie er eine vom Kardinal von Piſa erhal-
ten, hatten ſich in der Verlaſſenſchaft mehrere ge-
funden und Borſo erinnerte ſich, wie lange er von
der Einen gelebt hatte. Nunmehr erkannte er, wie
ſchlecht er gerechnet und es fiel ihm vorzugsweiſe
auf, wie viel Gold er ſeiner Schweſter ſchon ge-
liefert hatte; er verlor das Vertrauen in ihr Trei-
ben, wie ſehr er ihr auch ſonſt alles Mögliche zu-
getraut hatte. Er überhäufte ſie mit Vorwürfen
 
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