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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

32.

Freitag, den 10. Juli

1868.

Eſella

Novellette nach dem Engliſchen von A. K.
(Schluß.)

VIII.

O wie herrlich waren jene Tage, jene erſten
Tage meines Brautſtandes, ehe ich mich daran ge-
wöhnt hatte, glücklich zu ſein; als ich noch fort-
während vor Furcht zitterte, daß irgend etwas kom-
men, daß ich erwachen und finden werde, es ſei
Alles nur ein Traum!
Couſin Geoffrey blieb nicht in Gundringham,
ſondern in der Nachbarſchaft. Dennoch machte er
es möglich, mich jeden Tag zu ſehen, und wir gin-
gen und ritten zuſammen ſpazieren, wie wir früher
gethan. ö
Endlich kam meine Tante wieder zurück und

wir wurden in aller Stille in der kleinen Kapelle

vermählt.
Meine Tante war noch ganz dieſelbe, ausgenom-
men, daß ſie älter ausſah und ihr Auge jetzt einen
ängſtlichen, unruhigen Ausdruck hatte. Sie ſprach
noch weniger, als ſie ſonſt zu thun pflegte, und

verträumte ihre Tage mit gefalteten Händen in

ihrem Lehnſtuhl ſitzend. Eſtella erwähnte ſie nie,
und ich hatte auch keine Luſt, es zu thun.
Sie ſchien ſehr zu wünſchen, daß wir, Geof-
frey und ich, unſern Wohnſitz in Gundringham
nähmen; Geoffrey aber weigerte ſich, dies zu thun,
ſo lange das Beſitzthum nicht ſein gehörte, und ich
war damit einverſtanden, denn ich glaubte, es
würde mir hier beſſer gefallen, wenn erſt einige
der alten Erinnerungen in den Hintergrund ge-
treten wären. ö — ö ö
Wir, Geoffrey und ich, verließen England und
machten eine Reiſe durch das ſonnige Italien, ganz
wie unſer eigner Wille uns leitete, ſchwelgend im
Anſchauen der prachtvollen Natur, des wolkenloſen
Himmels und der marmornen Paläſte.
Es war mir zu Muthe, als hätte ich noch nie
zuvor wirklich gelebt. *
Die Rückreiſe machten wir über Paris. Wie
geblendet war ich von all den Schönheiten dieſer
bezaubernden Stadt. —
Wie herrlich war es, mit Geoffrey auf den
Boulevards zu wandeln oder zu reiten, die elegant

ſich in Bewegung.

gekleideten Leute zu ſehen und den ſpielenden Muſik-
chören zuzuhören!
Eines Tages, als Geoffrey und ich nach Hauſe
ritten, kamen wir an einem Nonnenkloſter vorbei
und dieſer Umſtand erinnerte mich an Eſtella.
Ich hielt mein Pferd an und flüſterte:
„Geoffrey, iſt die Zeit da?ꝰ
„Ja, kleine Mabel, ſie iſt da“, antwortete er.
„Morgen ſollſt Du Alles wiſſen.“
Den ganzen nächſtfolgenden Vormittag beobach-
tete ich das Geſicht meines Gatten, wollte ihn aber
nicht gern mit Fragen beläſtigen, denn ich war
überzeugt, daß er mich nicht vergeſſen hätte.
Am Nachmittag kam ein offener Wagen vorge-

fahren, Geoffrey geleitete mich in denſelben und
nahm an meiner Seite Platz. Nachdem er dem

Kutſcher einige Weiſungen ertheilt, ſetzte der Wagen
Es dauerte nicht lange, ſo hat-
ten wir die Stadt hinter uns und fuhren nun
mehrere Stunden lang zwiſchen grünen Wieſen und
wogenden, mit ſcharlachrothen Mohnblumen ge-
ſchmückten Getreidefeldern entlang.
„Wo führſt Du mich hin, Geoffrey?“ fragte
ich. ö ö ö
„Warte“, entgegnete er, „und Du wirſt es
ſehen.“ ö
Endlich machten wir Halt. Er half mir aus
dem Wagen ſteigen, nahm meinen Arm in den
ſeinigen und führte mich durch ein eiſernes Gitter-
thor.
Es war ein kleiner Kirchhof. In der Mitte
ſtand eine kleine Kapelle, in welcher ein Licht
brannte, und rings umher waren Gräber — Grä-
ber mit hölzernen und ſteinernen Kreuzen bezeich-

net, mit Inſchriften zum Andenken der Todten,

welche darunter ſchliefen. Auf einigen lagen künſt-
liche Immortellenkränze, auf anderen natürliche
Blumen, die von den Leidtragenden hierher gebracht
worden — Leidtragenden, von welchen mehrere eben
jetzt an verſchiedenen Stellen des kleinen Begräb⸗—
nißplatzes knieten und mit bitteren Thränen die
Theuren beweinten, die ſie in dieſem Leben niemals
wiederſehen ſollten. ö
Ich klammerte mich unwillkürlich feſter an den
Arm meines Gatten, aber er führte mich an allen
dieſen Trauernden vorüber, bis an die andere Seite
des Platzes; und hier blieben wir vor einem kleinen
Grabe ſtehen. Es war kein Kreuz da, welches den
 
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