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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 15 - No. 26 (2. Februar - 28. Februar)
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gheidelberger Familienblätter.

Velletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Sonntag, den 9. Februar

1868.

Poste restante.

Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

ö (Fortſetzung.)

Thorley kehrte nicht zurück, wie Ineſſa glaubte;
ſie erſchien darüber unruhig, aber keineswegs untröſt-
lich. Warum dies nicht geſchah, erfuhr ich noch
vor meiner Abreiſe. Ich mußte, weil der Dampfer
noch nicht nach dem Iſthmus abging, zwei Tage
in Acapulco bleiben, wohin mich Don Miguel be-
gleitet hatte, und dorthin ſandte er mir die ſchrift-
liche Nachricht, daß während unſeres gemeinſchaft-
lichen Rittes nach Acapulco Thorley, vulgo Doktor
Knov, nach der Hacienda zurückgekehrt und mit ſei-
ner Tochter unter Mitnahme aller Werthſachen das
Weite geſucht habe. So hatte denn die Leidenſchaft
und Vertrauensſeligkeit der jungen Frau ſie völlig
in ihr Verderben hineingetrieben.
Hiermit endete der Detektive ſeine Erzählung;
ich machte ihn darauf aufmerkſam, daß er mir Thor-
ley's ſchriftliches Bekenntniß noch nicht mitgetheilt
habe. „Aus einem beſonderen Grunde, Richard!“
verſetzte er. „Bis zu unſerer Heimkehr müſſen Sie
ſich gedulden; erſt dann werden Sie, mit dem wei-
teren Verlaufe der Verbrechensgeſchichte, auch das
Bekenntniß vernehmen.“ Ich war demnach genö-
thigt, die peinliche Unruhe, welche die Ungewißheit
in mir erzeugte, zu bekämpfen und zu ertragen.
Unſere Rückreiſe ward glücklicher Weiſe durch kein
Creigniß geſtört oder aufgehalten; wir landeten in
Newyork, und Burton genoß die Freude, ſein lange
entbehrtes Kind geſund wieder in ſeine Arme ſchlie-
ßen zu können. Aber noch an demſelben Tage ent-
riß er ſich dem ſüßen Genuſſe der Heimathsruhe

und des Vaterglückes; er ſagte mir, daß wir ohne
Aufenthalt nach Blankville fahren, unter allen Um-
ſtänden aber Leeſy Sullivan mitnehmen müßten,
falls ſie noch lebe. Wir fanden Leeſy ſehr hinfällig,

ſie war indeß bereit, uns zu begleiten und mußte

wegen ihrer Entkräftung in und aus dem Wagen
gehoben werden. Ihr Ausſehen war zum Erbara

men, und ich konnte mich des Gedankens nicht er-
wehren, daß die baldige Auflöſung dieſes hinſchwin-

denden Weſens als eine Wohlthat angeſehen wer-
den müſſe.
Es war am Spätnachmittage eines kalten De-
zembers, als wir auf der Station Blankville an-
langten. Gleichzeitig reiste mit uns eine Frauens-
perſon, welche einige Modiſtenſchachteln bei ſich hatte
und dieſe mit übertrieben ſcheinender Beſorgniß vor
jedem Stoße bewahrte. Erſt nach dem Ausſteigen,
als ſie einen Droſchkenführer erſuchte, ſie ſogleich
zu Esquire Argyll's zu fahren, ward ich und Bur-
ton aufmerkſam. „Ich glaube, in den Schachteln

iſt der Hochzeitsſtaat!“ warf ich lächelnd hin. —

Das Frauenzimmer, vermuthlich der Sendling eines
Modegeſchäfts, hatte die Bemerkung gehört. „Rich-
tig errathen!“ erwiederte ſie ſtolz; „ich bringe
Kranz, Hut, Schleier und Brautkleid für Miß Ar-
gyll, die übermorgen Hochzeit hält.“ — Burton
drückte mir krampfthaft feſt die Hand. „Gott ſei ge-
lobt, wir kommen noch zu rechter Zeit!“ murmelte
er. Ich und Leeſy mußten auf ſein Geheiß im Gaſt-
hofe neben dem Eiſenbahnhofe bleiben, bis er von
einem kurzen Gange zurückkehre, und er entfernte
ſich. Mein Herz war voll banger Erwartung; nach
langer Zeit ſollte ich zum erſten Male die Familie
wiederſehen, an welcher ich mit ganzer Seele ge-
hangen und die ich als ein des Mordes und Rau-
bes Verdächtiger hatte meiden müſſen, und noch
jetzt hatte ich, wegen Burton's Verſchloſſenheit, dar-
über keine Gewißheit, ob nun endlich der Zeitpunkt
der Genugthuung für mich gekommen ſei. Ich ahnte
jedoch, daß er nahe ſei, und Mr. Burton beſtärkte
mich in dieſer Ahnung, als er, nach etwa einer
halben Stunde, zurückkehrte, uns folgen hieß und
mit gewichtiger Betonung ſagte: „Die Stunde der
Gerechtigkeit iſt gekommen.“ —

15. Entlarvt.
Dicht an Argyll's Hauſe angelgngt, flüſterte

der Detektive mir zu, ich ſolle, ſobald wir in das

Bibliothekzimmer eingetreten ſeien, meinen Platz in

der Nähe der nach dem Garten führenden Glas-

thür einnehmen. Er mußte ſich bereits vorher von
der Anweſenheit der ganzen Familie überzeugt ha-

ben, denn als er, uns voranſchreitend, ohne anzu-

klopfen die Thür der Bibliothek öffnete, ſah ich ſo-

wohl Mr. Argyll nebſt ſeinen zwei Töchtern, als
auch James in dieſem Raume.

Die Helligkeit der
Beleuchtung blendete mich faſt; ich verſuchte ruhig
 
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