Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0219

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Familienblätter.“

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 53.

Freitag, den 1. Mai

1868.

Das Schloß an der Weſer.

Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.)

Etwas verſtimmt nahm die Pfarrerin ihr Kleinod
wieder in Empfang, um es einzuſchließen. Sie
bereute es jetzt, die Schuhe aus dem Schrank ge-
nommen zu haben. Auf Gertrud's Geſicht lag ein
Schatten, und auf der Stirn ihres Geliebten ſtand
eine düſtere Wolke. Elſe war aufgeſtanden und
hatte ſich auf den Fenſterſims geſetzt, um in den
mondhellen kleinen Garten hinabzuſehen und dar-
über hinaus auf das weiße Landhaus, wo damals
die Prinzeſſinnen wohnten. ö ö
In demſelben Augenblick ſagte Werner: „Willſt
Du mir nicht noch einen Abſchiedsſtrauß pflücken,
Gertrud? Neben der Laube ſtehen noch Roſen.“
Das Mädchen ſah ihn dankbar an und ſtand blaß
und zitternd auf. Er folgte ihr in den Garten.
Die Zurückbleibenden rückten näher zuſammen und

redeten leiſe; um die Beiden draußen kümmerte ſich

Niemand.
Elſe aber ſang in die Nacht hinaus:
„Ach Elslein, liebſtes Elslein fein,
Wie gern wär' ich bei Dir, x
Doch geh'n zwei tiefe Waſſer
Wohl zwiſchen Dir und mir.“
Gertrud pflückte Roſen — aber Thränen fielen
in die Kelche. Werner ſetzte ſich auf die Bank in
der Laube im tiefſten Schatten. Seine Augen hin-
gen wie feſtgebannt an der Mädchengeſtalt im offe-
nen Fenſter. Wie Loreleygeſang ſchwebte die Me-
lodie ihres Liedes zu ihm hin:
„Ach Elslein, liebſtes Elslein fein,
Wie gern wär' ich bei Dir,
Doch geh'n zwei tiefe Waſſer
Wohl zwiſchen Dir und mir.“
Leiſe legte ſich jetzt die Hand ſeiner Braut auf
ſeine Schulter und ihre Wange ſank auf ſein Haar.
Er fühlte ihre Thränen auf ſeiner Stirn, er hörte
ihr Schluchzen — aber um die Welt hätte er ſie
nicht an ſich zu ziehen vermocht — es war ja nir-
gends mehr ein Platz für Gertrud — Herz, Arme,
Gedanken, Alles fühlte er ausgefüllt von jener an-
dern Geſtalt da drüben.
„Weine nicht, Gertrud,“ ſagte er nach einer
Pauſe faſt hart. „Dieſe Trennung iſt eine noth-

wendige Prüfung. Wiſſen wir denn, ob Deine
Liebe Stand hält, ob wir uns ſo wiederfinden, wie
wir uns verlaſſen?“ ö
Sie legte ihre Arme um ſeinen Hals in keuſcher
Zärtlichkeit. „Meine Liebe?“ flüſterte ſie. „Weiß
ich doch nicht, wann ſie angefangen, wie ſollte ſie
alſo jemals aufhören? Schreibe Du mir fleißig
und denke oft an das alte Schloß, wenn Du da
draußen in der Fremde biſt und — ſchönere Frauen
ſiehſt.“
„„Schönere?!“ wiederholte er leidenſchaftlich und
warf einen Blick auf Elſe. „Ich werde an nichts
denken, als an das alte Schloß, das verſpreche ich
Dir. Aber Du, verſprich mir auch noch etwas!“
„Alles, was Du verlangſt!“
„Behüte Du die Elſe!“ murmelte er bebend.
„Wache über ſie, ſchütze ſie.“ ö
Das junge Mädchen ließ ihn frei. „Welch'
ſeltſame Bitte, Werner. Du weißt doch, wie ich
ſie liebe! Und wer könnte ihr etwas anthun, hier
in unſerer Einſamkeit!“
„Du haſt Recht! Gott Dank, daß ich Euch in
dieſer Stille ſicher weiß! Schreibe mir Alles, ich
werde Dir auch Alles, Alles ſagen. Gott ſegne
Dich Gertrud! Sei ruhig — und komm, wir
wollen zu den Andern gehen.“ ö
Flüchtig küßte er ihre Stirn. Dann traten ſie
in's Haus. Man brach bald auf. „Reiſe glücklich
und vergiß das Wiederkommen nicht,“ ſagte Elſe
und hielt ihm ihre Hand hin. Er faßte ſie haſtig
und ſah ihr noch einmal voll in das wunderbare
Geſicht. ö
„Vergiß mich nicht,“ murmelte er.
„Ich werde an Dich denken, wenn ich eben Zeit
habe!“ lachte ſie übermüthig. „Die Gertrud wird
mich ſchon an Dich erinnern. Und die Bücher!
Wer wird mir nun neue Geſchichten bringen. Du
biſt ſehr gut gegen mich geweſen, Werner!“ So
gingen ſie von einander.
O, wie lang ſie war, dieſe Nacht, für zwei
Wachende! Der eine ſaß am offenen Fenſter bis
in den hellen Morgen hinein. Aber ſeine Gedanken
ſuchten nicht die Geſtalt jenes blonden Mädchens,
das in die Kiſſen die ganze Nacht hindurch um ihn
weinte, ſie hingen voll brennenden Wehes, voll
glühendſter Leidenſchaft an jenem ſchlanken, dunkel-
lockigen Geſchöpf, das ſo feſt und ſüß ſchlummerte,
 
Annotationen