Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0207

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

N 50.

Freitag, den 24. April

1868.

Das Schloß an der Weſer.
Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.)

Später genügten freilich dieſe mündlichen Ueber-
lieferungen nicht mehr und gegen den Willen des
Amtmanns, der da meinte, ein Frauenzimmer ſolle
ihre Bibel und ihr Geſangbuch, die Kriegsnachrich-
ten und höchſtens die „Zeitung für Einſiedler“
leſen, trug er ſeiner jungen Herzenskönigin allerlei
Bücher zu, ohne ſonderliche Auswahl, wie ſie ihm
eben in die Hände fielen. Und als er die Unwer-

ſität B. bezog und nur in den großen Ferien heim

kam, ſchleppte er ganze Ballen der verbotenen Waare
in's alte Schloß. Eine glühende Phantaſie erhielt
nun die gefährlichſte Nahrung.
Entzücken ohne Gleichen: Jung Stilling's Wander-
jahre, Arnim's Gräfin Dolores, Wieland's Oberon,
des jungen Fouque's Sigura bunt durch einander,
und — „Des Knaben Wunderhorn“ lag Nachts
unter ihrem Kiſſen. Ihr Lieblingsbuch war und
blieb aber Arnim's „Schöne Iſabella von Aegypten,
Kaiſer Karl's erſte Jugendliebe.“ Die Geſchichte
der jungen Zigeunerin mit ihrer kleinen lebendigen
Alraunwurzel, die ſie wie ein Kind liebt und pflegt,
erklärte ſie für das Ideal aller Erzählungen und
ganz heimlich trug ſie in der Taſche ihrer kleinen
Schürze ſeitdem allezeit eine wunderlich geſtaltete
Wurzel, der ſie, wie es die ſchöne Iſabella auch
gethan, eine Hagebutte als Mund und zwei Wach-
holderbeeren als Augen eingedrückt. „Nun fehlt
nur noch der Kaiſer Karl,“ pflegte ſie zuweilen
halb ſcherzend, halb traurig zu ſagen, „den kannſt
Du mir aber leider nicht herbeiſchaffen.“ Die
Schiller'ſchen Dramen, die der angehende Student
ſpäter in der kleinen Capelle mit hochtönendem
Pathos verlas, riefen zwar eine lebhafte Begeiſte-
rung hervor, aber die „ſchöne Iſabella“ behielt doch
den Preis. Von Jean Paul wollte Elſe nichts
wiſſen, „der macht mir Kopfſchmerzen und heiße
Wangen,“ erklärte ſie, dagegen empfing ſie die Er-
zählungen von Clemens Brentano mit lebhafter
Neugier und „Das ſteinerne Bild der Mutter“ las

ſie, verſteckt in der Krone eines blühenden Flieder-

ſtrauchs, in einem Athem und vergaß, daß es Mit-
tagszeit war, und hörte nicht, wie man nach ihr
rief und ſuchte.

Elſe las mit einem

In Todesangſt irrte Gertrud im-

Garten umher — endlich fand ſie die Leſende. Aber
Vater und Mutter erfuhren nur, daß man die Ver-
lorene ſchlafend unter dem Fliederbaum gefunden,
wie das Kätchen von Heilbronn, und Elſe verſprach
der Schweſter, zum Dank für die kleine Lüge, acht
Tage lang kein Buch anzurühren. ö
Zuweilen, wenn Werner vorlas, kam die blonde
Gertrud mit irgend einer Hausarbeit dazu, an der
dann Elſe hin und wieder zum Schein Antheil
nahm, gewöhnlich aber ſah ſie träumeriſch auf die
fleißigen Finger der Schweſter, wie Aſchenbröoͤdel
wohl den Täubchen zuſah, wenn ſie pickten:
Die guten in's Töpfchen,
Die ſchlechten in's Kröpfchen.
Gertrud war es allein, die wohl einmal fragte:
„Biſt Du nicht müde, Werner? Du lieſt ſchon ſo
lange!“
Dann ſchüttelte er aber immer den Kopf, denn
Elſe's dunkle Augen ſtrahlten ihn an und die fri-
ſchen Lippen ſagten lächelnd: „Wie könnte er müde
ſein, bei ſolchen köſtlichen Dingen!“
Oft mußte Werner auch im Garten leſen, wäh-
rend das Mädchen in reizender Trägheit in der
Hängematte ſchaukelte, oder drüben im Pfarrhaus,
wo man dann zum Schluß regelmäßig die kleinen
weißen Schuhe im Glasſchrank bewunderte und
ſehnſüchtig nach dem Fenſter des weißen Landhauſes
hinüberſah, wo die ſchönen Prinzeſſinnen damals
geſeſſen. Der Liebling der Pfarrerin wurde aber
Elſe, trotz all' ihrer Lieblichkeit, nicht; lagen doch
die feinen Hände viel zu oft müßig im Schooß und
wußte die thätige Frau doch gar wohl, daß die flei-
ßige Gertrud faſt immer jene Arbeit der Schweſter

mitübernahm, die die Mutter gleichmäßig unter ihre

Töchter zu vertheilen pflegte, und Elſe ſich ſolches
auch ohne Widerſtand gefallen ließ. Sie entwickelte
eben nur Talent im Zuſchauen, aber Werner fand
ſie bezaubernd in dieſer „Beſchäftigung.“ Auch
konnte ſie es dem jungen Mädchen nie verzeihen,
daß Werner um ihretwillen den Fuß gebrochen.
Das leichte Hinken und eine große Schwäche des

Fußes machten den jungen Mann zu ſeinem großen

Kummer für den Militärdienſt untauglich. Drei
Mal hatte er ſich bei dem großen Aufruf des ge-
liebten Vaterlandes gemeldet, drei Mal war er zu-
rückgewieſen worden. Das war der einzige Schmerz
ſeines Lebens, den er aber ſorgfältig vor der Ur-
heberin verbarg. Aber Gertrud wußte darum und
 
Annotationen