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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

83.

Sonntag, den 12. Juli

1868.

Ein neuer Robinſon.

In der endloſen Waſſerfläche, die ſich ſüdlich
vom indiſchen Ocean zwiſchen dem Feſtlande von
Afrika und Auſtralien ausdehnt, liegt eine einſame
Felſeninſel, deren Boden nur ſelten von dem Fuße
eines kühnen Forſchers betreten wird. Die regel-
mäßigen Kauffahrteiſchiffe wagen ſich nie in die
Nähe ihrer brandenden ungaſtlichen Ufer und nur
der abenteuerluſtige Walfiſchfahrer, der keinen Winkel
der Erde undurchſpäht läßt, hat ſich erdreiſtet, in
ihre gefährlichen Häfen einzudringen oder ſich an
den drohenden Riffen zu verſuchen, welche dieſe
traurige Heimath der Seehunde und einer wilden
Vogelwelt ſchirmen.
Wenn der Leſer eine Karte der ͤſtlichen Erd-
halbkugel vor ſich nimmt und faſt in der Mitte
derſelben von 90. Längengrad des Aequators mit
dem Finger abwärts gegen Süden bis nicht ganz
zum 60. Breitengrade fährt, ſo trifft er auf einen
vielleicht kaum ſtecknadelkopfgroßen Flecken, der auf
den gewöhnlichen Schulkarten als Kerkuelens-Land,
auf den Seekarten aber gewöhnlich und nicht ganz
unpaſſend als Inſel der Verödung bezeichnet wird.
Dieſe Inſel, auf der es keinen Baum, über-
haupt faſt keine andere Vegetation gibt, als ver-
ſchiedene Moos- und Flechtenarten und den dem
Seefahrer als Mittel gegen den Scorbut bekannten
Meerkohl, war nahezu zwölf Jahre lang der Auf-
enthalt eines amerikaniſchen Matroſen Namens Pit-
man. Als er auf dieſer Inſel landete waren zwei
Leidensgefährten, ſeine Kameraden, bei ihm, von
denen aber der Eine kurz nach ihrer Ankunft durch
einen Sturz vom Felſen verunglückte, der Andere
ſieben Jahre ſpäter an einer Krankheit ſtarb, ſo
daß Pitman die noch übrigen fünf Jahre ganz ein-
ſam auf der öden Inſel zubrachte. ‚
Im Jahre 1842 ſchiffte ſich Henry Pitman aus
Maſſachuſetts, ein noch junger, aber ſchon erprob-
ter Seemann am Bord der Barke Penguin bei Ca-
äſtine ein, die auf eine Walfiſchfahrt in den Süden
des Stillen Weltmeers abſegelte.
Eines Morgens nach längerer Fahrt ward am
Maſtkorbe des Penguin der Ruf: „Land ho!“ ge-
hört und als man die Karte zu Rathe zog, fand
der Capitän, daß man die nordöſtliche Spitze der
Ouſel der Verödung vor ſich habe. Dies brachte

an's Land.

ihn auf einen Gedanken. Er hatte gehört, die
Inſel ſei der Aufenthaltsort zahlreicher Seehunde
und glaubte deshalb er könne von dieſer Gelegen-
heit Nutzen ziehen, für den Fall, daß die Walfiſch-
jagd nicht ergiebig werde, um ſo ſeine Fahrt wenig-
ſtens durch Seehundsthran und Seehundsfelle be-
zahlt zu machen. Zu dieſem Zwecke war es noth-
wendig, daß einige ſeiner Leute, welche mit dem

Seehundsfang vertraut waren, auf der Inſel zu-

rückblieben, während das Schiff ſich auf die Wal-
fiſchjagd weiter begebe.
Der Capitän wußte wohl, daß dies eine ge-
wagte Aufgabe war, indem Walfiſchjäger ſolche Ab-
theilungen ſchon an's Land geſetzt, aber keine Ge-
legenheit gefunden hatten, ſie wieder zu holen; denn

Heine Walfiſchbarke kann ſo gut untergehen, wie ein

anderes Schiff, und in einem ſolchen Falle mußte
das Schickſal der braven Leute, die abgeſchnitten
waren von der ganzen übrigen Menſchheit, in der
That hoffnungslos ſein. Gleichwohl berief er ſeine

Mannſchaft zuſammen, theilte ihr ſeinen Plan mit

und fragte, ob es unter ihr keine Freiwilligen gebe,
die ſich auf den Seehundsfang verſtänden und ein
paar Monate auf der Inſel zu verbleiben hätten,
als Lohn ſollten ſie die Hälfte von dem, was ſie
erzielten, für ſich behalten dürfen.
Sogleich trat Pitmann mit zwei anderen jungen
Männern hervor und erbot ſich zu bleiben. Einer
dieſer Volontäre, ein geborner Neufundländer, Na-
mens M'Carthy, hatte faſt ſein ganzes Leben am
Bord eines Seehundsfängers zugebracht; der An-
dere war ein alter Freund und Schiffskamerad von
Pitman. Dieſe drei Männer erfreuten ſich der
allgemeinen Achtung als verſtändige, kühne Ma-
troſen, und wenn der Capitän des Penguin die
Wahl gehabt hätte, ſo würde er ſich keine Anderen
für dieſen wichtigen Dienſt auserleſen haben.
Das Schiff lief auf' die Inſel zu und ſetzte die
drei waghalſigen Geſellen in einer kleinen Bucht
weſtlich von dem ſchärfſten Vorſprung der Inſel
Als ſie ſich der felſigen Küſte näher-
ten, fanden ſie dieſelbe mit ungeheuren Herden von
Seehunden bedeckt; auch verfinſterten Schwärme
von Seevögeln, welche über ihnen aufſtiegen oder
ſich niederließen, die Luft und betäubten ſie faſt mit
ihrem wilden Geſchrei. ö ö
Sie brauchten nur einen Tag, um ſich eine
rohe Hütte zu bauen und die erforderlichen Ein-
 
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