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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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geidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

143. Sonntag, den

1868.

Iu Feindesland.

Novelle von Adolph Müller.

I.
Wenige Tage nach der Schlacht bei Königsgrätz
erhielt ich in meiner bei Berlin gelegenen Sommer-
wohnung die Nachricht, daß eine benachbarte Garde-
kaſerne zu einem Lazareth eingerichtet worden und
daſelbſt bereits der erſte Transport Verwundeter,
meiſtens Oeſterreicher, eingetroffen ſei.
Ich ging ſogleich hinüber. Schon unten, in
dem weiten Caſernenhof, ſah ich einige Italiener,
auf ihren Mantel dahingeſtreckt, ruhig ſich ſonnen;
die Meiſten trugen den Arm in der Binde, den
Oberkörper nur mit einem groben, loſen Hemd be-
kleidet, und zeigten ſich alſo den zahlreich an den
Thoren verſammelten Neugierigen, worunter beſon-
ders viele Damen, in vollem Negligé6. Am Ein-
gang in den Hof traf ich einen böhmiſchen Jäger,
bleich und abgefallen, aber ziemlich heiter in ſeinen
Autworten. Als ich ihn nach ſeiner Verwundung
fragte, drehte er ſich herum und ich bemerkte einen
Riß in der grauen Jägerjacke. „Sehen Sie“,
ſagte er, „wo das Loch ſitzt, iſt die Kugel hinein-
gefahren und hier vornen“ — dabei ſchlug er das
Hemd zurück und wollte ein Pflaſter auf ſeiner
Bruſt wegziehen — „wurde ſie herausgeſchnitten.
Sie iſt faſt durch und durch gegangen.“ Ich bat

ihn, doch etwas vorſichtiger zu ſein, da ein Schul-

terſchuß immer höchſt bedenklich ſei; doch entgegnete
er lachend: „Alles nicht ſo ſchlimm, wie man denkt.
Nur den Augenblick werde ich nicht vergeſſen, da
ich getroffen zuſammenſtürzte und mir das Blut
zum Mund hervordrang. Ich dachte, es ſei mein
letzter.“
Welch' großer Unterſchied bei den Leuten in der
Fähigkeit beſtehe, Krankheit und Schmerzen zu er-
tragen, das wurde mir in der Folge klar, da ich
einen ſcheinbar viel leichter Verwundeten als Bild
des Leidens auf dem Lager hingeſtreckt ſah. — In-
deß kam, während ich noch mit dem Jäger ſprach,
ein Uhlan, Pole von Geburt, die breite Steintreppe
herunter, langſam, im ſchwerfälligen Reiterſchritt.
Er trug einen rieſigen Circumflex über die Naſe,
der durch ein großes Pflaſter markirt war, das

ſeinerſeits die durch den Hieb ſehr angeſchwollene

Nafe zum Relief eines kleinen Hügels erhob, ſo

29. Rovember

daß man trotz dem Exnſt der Situation eine auf-
ſteigende Lachluſt über den Beſitzer dieſer unſeligen
Gartenanlage nicht zu unterdrücken vermochte. Ich
redete ihn an; doch außerdem, daß er polniſch ſprach,
machte ihm ſeine Naſenwunde eine deutliche Aus-
ſprache ſo zur Unmöglichkeit, daß man ſein dum-
pfes Gemurmel eben ſo gut für Hebräiſch hätte
halten können.
Ich ging nun in einen der Säle hinauf. Hier
lagen vielleicht zwanzig Oeſterreicher, ſämmtlich auf
eiſernen Bettſtellen, in den verſchiedenartigſten Stel-
lungen. Charakteriſtiſch war den Umherliegenden
eine maleriſche Nacktheit, die bei den oft ſehr ſchwe-
ren Verwundungen eine große Sorgloſigkeit gegen
die Zugluft verrieth, die zu den geöffneten Fenſtern
hereindrang. Es war mir höchſt intereſſant, auf
den verſchiedenen Geſichtern der Umherliegenden zu
leſen — doch eine recht ausgeſprochene Lebens- oder
Leidensgeſchichte vermochte ich auf keinem zu ent-
decken. Indeß es ſollte ſchon noch kommen!
Ich wandte mich zunächſt an einen Unteroffi-
cier, der mit übereinandergeſchlagenen Beinen auf
ſeiner Matratze ſaß und Rauchwolken vor ſich hin-
blies. Er erzählte eben einem preußiſchen Land-
wehrmann die Geſchichte ſeiner Bleſſur und erman-
gelte nicht, zu bemerken, daß ſämmtliche Officiere
ſeiner Compagnie bei Chlum gefallen ſeien und
daß er dieſe dann geführt habe, wobei es an eini-
gen Heldenzügen ſeinerſeits bei ſeinem Bericht nicht
fehlte. An ſeinem Dialekt merkte ich ſofort, daß
ich den gebornen Wiener vor mir habe, und gerade
dieſer Dialekt gab ſeiner Erzählung, trotzdem ſie
an einigen augenfälligen Unwahrſcheinlichkeiten litt,
einen äußerſt wohlthuenden, gutmüthigen Anſtrich.
Als ich ihn näher in's Geſpräch zog, ergötzte ich
mich beſonders über die naive Art, mit der er Fol-
gendes vortrug: „Am Abend vor der Königsgrätzer
Schlacht ging ich mit meinem Freund in einem
Gärtchen ſpazieren, und was ſonſt nur virliebte
Mädel thun, fiel jetzt auch uns ein, — wir woll-
ten die Blumen befragen, wie's uns in der Schlacht
gehen werde. Wir zupften Beide die Blättchen
von den weißen Sternblumen auf die Variation:
todt, ſchwer verwundet, leicht, gar nicht. Dreimal
kam es bei uns Beiden auf leicht verwundet her-
aus, und was geſchah? — Als ich am Dritten nach
dem Verbandplatz kam, war mein Erſtes, daß ich
meinen Freund ſah, der, wie ich, wirklich auch eine
 
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