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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 27 - No. 39 (1. März - 29. März)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Freitag, den 20. März

1868.

Die Nachbarn.

(Fortſetzung.)

Baumbach ſah einen Augenblick ſchweigend vor
ſich nieder. „Der Ausdruck iſt dennoch nicht ganz
unrecht, Sir!“ ſagte er dann. „Mr. Quentin hat
in der Aufregung ſo wenig Controle über ſich,
daß ſelbſt Miß Loo ihm dann nicht entgegentreten
mag und viel weniger durch eine Handlung einen
ſolchen Zuſtand über ſich ſelbſt heraufbeſchwören
möchte.
auch ſelten ſind, an welchen ein heftiger Aerger,
zuſammen mit reichlich genoſſenem Brandy, einen
Schlagfluß für ihn hat befürchten laſſen, und ich
weiß, daß ihm Doktor Hadley dieſen Tod voraus-
geſagt, wofür Ihr Vetter aber den Propheten ei-
genhändig aus dem Hauſe geworfen hat, ſchon am
nächſten Tage indeſſen ihn bei einer neuen Altera-
tion hat wieder holen laſſen.“
Es kam eine leiſe Verwunderung über die ge-
naue Kenntniß, welche ſein Begleiter von Quen-
tin's häuslichem Leben hatte, über Heinrich; zugleich
aber tauchte in ihm eine Vorahnung des Gewitters
auf, das ſich zuſammenziehen würde, wenn der
Alte in ſeinem Verheirathungsprojekte, das er be-
reits als beiderſeitig genehmigt betrachtete, auf
unerwartete Hinderniſſe ſtoßen werde. Beide junge
Männer gingen eine Zeit lang ſchweigend neben
einander her. ö
„Sie hatten ſeit einiger Zeit ſchon die Wald-
wieſe überſchritten und, in die Fahrſtraße einbie-
gend, den Bach verlaſſen; jetzt traten ſie aus den
Gebüſchen in's Freie, und von dem Ende einer

ſanft anſteigenden, mit Zierbüſchen, Blumen⸗Ron-

dels und ſchattigen Ruheplätzen verſehenen umzäun-
ten Raſenfläche blickte unter dem Schutze geköpfter,
breitäſtiger Buchen den Ankommenden ein geräu-

miges Wohnhaus, nach allen Seiten von einer

weiten Veranda umgeben, entgegen. Ein breiter,
mit Flußſand bedeckter Weg führte im Bogen nach
dem Eingange und hier richtete ſich bei dem Knar-
ren der Gatterthüre der große zottige Hund, wel-
cher ſo deutlich in Heinrichs Erinnerung ſtand,
auf. Im gleichen Augenblicke aber drangen auch
zwei lachende Mädchenſtimmen zu ſeinem Ohre und

Es hat ſchon Tage gegeben, wenn dieſe

unwillkürlich hielt er ſeinen Schritt an; es war
ihm, als müſſe er dieſe zweifachen klingenden Töne
kennen.
Sein Begleiter hatte das Pferd an die Einzäu-
nung gebunden und war dann ſeiuem Gaſte raſch
vorausgeſchritten, ihm lächelnd einen Wink zum
Folgen gebend, und jetzt klang es deutſch: „Da iſt
Charles, aber allein!“ Zugleich trat hinter der an-
gelegten Gebüſchpartie eine leichte Mädchengeſtalt
hervor, zwanglos auf den vorangeſchrittenen jungen
Mann zueilend, und Heinrich erkannte mit einer
Ueberraſchung, die ihm ein blitzähnliches Licht über
manches bisher Räthſelhafte gab, ſeine Baſe Loo.
Kaum war indeſſen das Auge des Mädchens auf
ihn gefallen, als vor dem Ausdrucke ſeines Geſichts
ein helles Roth in ihre Wangen ſtieg; gleichzeitig

nahm ſie indeſſen lächelnd ihre Richtung nach ihm,

faßte mit einer eigenthümlichen Haſt ſeine Hand
und zog ihn mit einem: „Kommen Sie, Henry,
jetzt werden wir uns ſchnell noch beſſer verſtehen
lernen!“ nach dem Fliedergebüſch, welches ſie bis-
her verdeckt hatte. „Hier, Mary,“ fuhr ſie lachend,
aber hörbar erregt fort, als ſich von der Bank im
Schatten der Zweige eine zweite Mädchengeſtalt
erhob, „hier iſt mein prachtiger Vetter, Henry

Sommer, der die halbe Nacht vor der Erinnerung

an ſeine Waldnyͤmphe nicht hat ſchlafen können,
— und das, Henry, iſt meine liebe Freundin,
Mary Baumbach. So, nun komm', Charles,
und die Beiden mögen mit einander ſelbſt fertig

werden.“

Sie waren verſchwunden, ehe noch Heinrich
Zeit gewonnen, ſich den plötzlich auf ihn einſtür-
menden Gedanken zu entreißen. Er ſah mit einem
Schlage jetzt völlig klar, was ſeine Baſe ſo ent-
ſchieden gegen die Abſichten ihres Vaters eingenom-
men — ihre frühere Kinderfreundſchaft' mit Char-
les Baumbach war trotz Quentin's Haſſe zu einem
innigen, ernſten Verhältniſſe gereift, und Heinrich
mußte zu ihrem Bundesgenoſſen werden, wenn ſeine
Neigung ſich in gleicher Oppoſition gegen die Ge-
fühle des Alten befand. Und ſo hatte ſie ihn
mitten in die Sachlage geſtürzt, daß jeder Rückzug
für ihn abgeſchnitten war, hatte von ſeinen Em-
pfindungen, die er ſich kaum ſelbſt recht geſtanden,
den Schleier geriſſen, daß er faſt nicht wagte, in
das mit Purpur übergoſſene Geſicht, das jetzt vor
ihm ſtand, aufzublicken. ö
 
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