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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 118 - No. 130 (2. October - 30. October)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0499

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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 123.

Mittwoch, den 14. October

Von Dreien Eine.
Eine Erzählung.

Lieutenant von Rohrbach von den Dragonern
ſaß in ſeinem keineswegs luxuriös ausgeſtatteten
Zimmer, an das noch ein kleineres Schlafkabinet
mit ausgehobenen Thürflügeln und rothgeblümten
Kattungardinen ſtieß, am Schreibtiſche; er hatte
einen grauen, rothgefütterten Schlafrock an, den
eine Schnur mit mächtigen Wollenquaſten um die
ſchlanke Taille zuſammenhielt, geſtickte Morgen-
ſchuhe und die lange Pfeife im Munde.
„So iſt es!“ ſagte er mit großem Ernſte, nahm
die große Papierſcheere und ſchnitt von einem Bo-
gen gelben Conceptpapiers drei kleine viereckige
Zettel ab.
Dann nahm er die Feder und ſchrieb auf den
einen ſehr leſerlich: „Baroneſſe Thekla von Sturm-
feld“, auf den zweiten: „Mathilde von Sanften-
bach“ und auf den dritten: „Nina Heymann.“
Mit gerunzelter Stirn überlas er die drei Na-
men nochmals und murmelte vor ſich hin, waͤh⸗
rend er ſie in der eben angegebenen Reihenfolge
aufnahm:
„Sie iſt das friſche, fröhliche Leben und hat
viel Geld — ſie iſt der Engel der Sanftmuth und
hat etwas Geld — ſie iſt die Proſa des Lebens
und hat ungeheuer viel Geld.“
Darauf rollte er die drei Zettel zierlich zuſam-
men, ſo daß ſie ſich täuſchend ähnlich ſahen, und
rief: „Spindelmeyer!“ Die Thüre öffnete ſich und
ein Dragoner in ziemlich unſauberer Stalljacke
und Drillichhoſen erſchien. Er war ein kleiner
dünner Kerl mit ſchmalem, blaſſem Geſichte, ſpitzer
Naſe und ehrlichen Augen, in denen unerſchütter-
licher Ernſt zu liegen ſchien. In dienſtmäßiger
Haltung blieb er an der Thüre ſtehen.
„Spindelmeyer“, ſagte der Lieutenant, ohne
Oir en, — „Hhaſt Du Deine Feldmütze bei

„Zu befehlen, nein, Herr Lieutenant.“
„Dann hole ſie, beeile Dich aber.

Spindelmeyer verſchwand wieder, und der Liente-

nant erhob ſich, nachdem er die drei kleinen Pa-
pierrollen vorſichtig auf die Ecke des Schreibtiſches
gelegt hatte.

Er war ein Mann von etwa achtundzwanzig

mete etwas leichter.

Jahren, ſchlank und gut gebaut, ſicher und gefallig in

1868.

ſeinen Bewegungen, von jugendlichmännlichem Ge-

ſichte, kurz, ein hübſcher, wenn auch gerade nicht
ſchoͤner Mann. Sein dunkelbraunes Haar kräu-
ſelte ſich leicht um die edle Stirn, und wenn er

mit den Fingern der weißen Hand den Schnurr-

bart in die Höhe drehte und dazu einige Blitze
aus ſeinen Augen ſchoß, ſo konnte er den Frauen
unwiderſtehlich werden; man behauptete auch allge-
mein, er habe immer viel Glück bei ihnen gehabt.
Er war, anſcheinend in Gedanken vertieft, erſt
ein paar Mal in ſeinem Zimmer auf⸗ und nie-
dergeſchritten, als ſein Burſche Spindelmeyer wie-
der eintrat, dieſes Mal mit der hellblauen Mütze,
die ſchon ſtark ins Weißliche ſchimmerte, in der
Hand. Man konnte leicht eine gewiſſe Unruhe an
letzterem bemerken, denn es kam ihm doch verdäch-
tig vor, was der Lieutenant mit ſeiner Stallmütze
vorhaben könne, und er hatte ſie in aller Eile
erſt ſorgfältig abgebürſtet und zu dem unvertilg-

*

baren Fettflecken auf dem Deckel unbehaglich den

Kopf geſchüttelt.

„Hierher, Spindelmeyer,“ befahl der Lieutenant

und ließ ſich, mit der Pfeife im Munde, wieder
vor dem Schreibtiſche nieder. „Halte einmal Deine
Mütze mit beiden Händen auf.“ ö
Dem Dragoner wurde noch unheimlicher, wie
man an dem Zwinkern ſeiner Augen und der
Röthe, die ihm in das Geſicht ſtieg, wahrnehmen
konnte; er hielt die Mütze mit dem Deckel nach
oben, aber gewand mit einer kleinen Neigung nach

ſich ſelbſt zu, damit ſein Offizier den Fettflecken

nicht bemerken ſollte.
„Umgekehrt,“ ſagte der Lieutenant mit einer
ungeduldigen Handbewegung. —
Spindelmeyer that, wie ihm befohlen und ath-
Der Lieutenant warf die drei

Papierröllchen in die Mütze und kommandirte
weiter: ö
„Nun halte die Mütze oben am Rande zu und

ſchüttle ſie ordentlich. So iſt's recht.“
Der Burſche begriff vollkommen, denn er hatte

wohl ſchon eine Ahnung vom Lotterieſpiel und

Schickſalsgreifen.
„Jetzt werde ich mich umkehren“, fuhr der
Lieutenant fort, — „und rückwärts langen; Du
reichſt mir die Mütze ſo hin, daß ich eines von
den Papierchen herausnehmen kann.“
 
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