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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiche Beilage zur Heidelberger Zeitung. ö

M. 106.

Freitag, den 4. September

1868.

Ueber den Mont⸗Cenis.

Der „Kölniſchen Zeitung“ wird aus Suſa
von einer Fahrt mit der neuen Bahn über den
Mont⸗Cenis von einem Reiſenden eine Schilderung
gemacht, der wir Folgendes entnehmen:

„Ich ließ mich nach Modane bringen, wo ich

eben noch vor Ankunft des erſten Zuges eintraf.
Man kann hier, obgleich die Bahn ſeit dem 15. Juni
in Betrieb iſt, erſt ſeit dem 1. Auguſt einſteigen,
muß aber noch für die Strecke St. Michel mitbe-
zahlen. Erſt mit dem 5. Auguſt ſollten die Zwi-
ſchenſtationen förmlich eröffnet werden, und wird
die Bahn von da auch Eilgut befördern.

Der Zug hatte nur drei Wagen erſter Claſſe,
etwas niedriger wie auf den gewöhnlichen Bahnen,
jeder für 12 Paſſagiere. Sie ſind nach Art der
Omnibus in der Mitte getheilt, ſo daß die Rei-
ſenden ſeitwärts ſitzen. Man ſteigt hinten ein, doch
haben alle Wagen unier ſich Verbindung, wie die
württembergiſchen. Die Bahn ſelbſt iſt reichlich
einen Fuß weniger breit, als die gewoͤhnlichen,
unterſcheidet ſich aber im Uebrigen von denſelben
nur durch die Mittelſchiene Dieſe, etwa einen
Fuß höher als die Seitenſchien, ruht auf eiſernen
Böcken, welche auf einer ſoliden Längsſchwelle be-
feſtigt ſind. Sie iſt etwa ſo ſtark, wie die beiden
anderen Schienen zuſammen, und hat beinahe die
Form einer gewöhnlichen Schiene auf die Seite ge-
legt. Da, wo die Bahn horizontal läuft oder we-
nig ſteigt, was bis Lans le Bourg ſehr viel ein-
tritt, fehlt die Mittelſchiene ganz, während da, wo
Bahn und Chauſſee ſich kreuzen, was jeden Augen-
blick geſchieht, der Wärter ſie aushebt, ſobald der
Zug paſſirt iſt. Unter jedem Wagen, ſo wie un-
ter der Locomotive befinden ſich je zwei Paar ho-
rizontal geſtellte Räder in der Höhe der Mittel-
ſchiene, welche von den Bremſern von beiden Sei-
ten beliebig ſtark gegen dieſelbe gepreßt werden
köͤnnen. Sie geben dem Zuge den nöthigen Halt
gegen das Entgleiſen und Durchgehen und vermin-
dern auch das Schütteln bei den engſeen Curven
ganz bedeutend. So wie man ſich die Sache nur
anſieht, bekommt man ſofort ein Gefühl der Sicher-
heit. Auch ſpäter, als wir an der italieniſchen
Seite ziemlich raſch hinab ſauſten, zeigte keine der

im Zuge befindlichen Damen die mindeſte Furcht,‚

obgleich die beiden Bremſer (meines Erachtens müßte

jeder Wage einen haben) oft unruhig genug durch
die Wagen hin⸗ und herliefen, um ſich zu verſtän-
digen.
Von Lans le Bourg an, wo die Chauſſee eigent-
lich erſt anfängt, das Joch in Serpentinen zu er-
ſteigen, kann die Bahn derſelben nicht mehr ganz
folgen. Namentlich muß ſie meiſtens um die Ecken
herum einen größeren Bogen machen, wodurch nicht
ſelten ein Durchbruch durch den Felſen oder gar
ein kleiner Tunnel erforderlich wird. Noch höher
hinauf, wo im Winter die Lawinen zu fallen pfle-
gen, iſt die Bahn, erſt hier und dort, dann aber
fortlaufend und ohne Unterbrechung, von einer
Holzgallerie geſchützt, deren Dach aus gewölbtem
Eiſenblech beſteht. Dieß iſt für den Hochſommer

die einzigſte Unannehmlichkeit der ganzen Fahrt.

Da nämlich der Rauch der Maſchine nicht entwei-
chen kann, ſo müſſen die Wagen geſchloſſen werden,
damit er nicht zu ſehr eindringe. Nun prallte aber
die Sonne der Art gegen das Eiſendach, daß die
Hitze unerträglich wurde. Lieber Schwefel athmen,
als ein ruſſiſches Dammpfbad nehmen, meinten die

Damen; allein es ging nicht. Der Rauch war ſo

läſtig, daß namentlich die kleine niedliche Italiene-
rin von einem Krampfhuſten befallen wurde, der

nicht eher weichen wollte, als bis ſie mit vieler
Grazie ein gebratenes Hühnchen verzehrte.

Wir freuten uns aufrichtig, als wir endlich die
Höhe paſſirt hatten und an der italieniſchen Seite
dieſe Schwitztunnels bald los wurden. Glücklicher
Weiſe iſt gerade oben, wo die Gallerie jede Aus-
ſicht verſperrt, abgeſehen von dem kleinen See,
auch am wenigſten zu ſehen. Jetzt, wo die Chauſ-
ſee Anfangs mehrere kurze Serpentinen über ein-

ander beſchreibt, entfernte ſich die Bahn zum erſten

Male in einem großen Bogen erheblich von der-
ſelben, um ſie dann bis in den Bahnhof von Suſa
nicht wieder zu verlaſſen, immer freilich die Ecken
mit einem größeren Bogen umſchreibend.
Es iſt nicht meine Abſicht, die landwirthſchaft-
lichen Schönheiten zu beſchreiben; man hat eben
bei jeder Wendung eine neue Ausſicht, entweder
hoch oben auf die Schneeſpitzen und kleinen Glet-
ſcher, oder tief unten auf brauſende Waſſer und
maleriſche Dörfer. Nur das Fort Bramant d'Eſ-

ſillon, welches impoſant und drohend halbwegs

zwiſchen St. Michel und Lans le Bourg die Straße

ſperrt, will ich erwähnen, weil es ſpäter, wenn es
 
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