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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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hHeidelberger Familienblätter.

‚ Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 152.

Sonntog, den 20. December

1868.

Die Wahrheit.

Eine Erzählung.

(dortſetzung.)
„Wiſſen Sie gewiß, daß dieſe Farben nicht aus-
gehen?“ fragte eine junge Dame, die ein hübſches
Kattunmuſter betrachtete. „
„Nein, mein Fraͤulein, ich bin vielmehr über-
zeugt, daß ſie ausgehen werden!“ entgegnete der
Wahrheitsfreund.
„Aber auf der Etikette ſteht doch „echt“, —
woher wiſſen Sie dann, daß dieſe Farben aus-
gehen?“ ö ö ö
„Weil vergangene Woche eine alte Dame eine
Quantität von dieſem Stoff kaufte und einige Tage
darauf mit der Klage wiederkam, daß von einem
kleinen Stück, welches ſie zur Probe gewaſchen, die
Farbe faſt gänzlich verſchwunden ſei.“
„Dann hatte die alte Dame allerdings ein Recht,
ſich zu beklagen; aber Sie ſollten auch nicht Stoffe
als echtfarbig bezeichnen, wenn Sie nicht gewiß
wiſſen, daß dieſelben es wirklich ſind!“
„Allerdings, mein Fräulein, das ſollten wir
nicht!“ ö
„Und nun, da Sie erfahren haben, daß die
Farben ausgehen, ſollten Sie dieſen Zettel ab-
nehmen!“
„Ja, mein Fräulein, das ſollten wir!“
„Wie? Sind dieſe Zettel noch nicht beſeitigt?“

rief Herr Schulze, der älteſte Theilhaber der Firma,

indem er ſich haſtig herbeidrängte. Reißen Sie
dieſelben ſofort ab, Herr Stillfried! Wir bezeich-
nen niemals Farben als echt, von denen wir nicht
gewiß wiſſen, daß ſie es auch wirklich ſind! Womit
können wir Ihnen ſonſt dienen, mein Fräulein?“
fragte er, indem er ſich dienſtfertig zu der jungen
Dame wendete. ö
„Ich danke Ihnen, ich werde wiederkommen!“
antwortete ſie und verließ den Laden.
Nicht ſobald war ſie hinaus, ſo ward das Be-
nehmen des Principals ein ganz anderes. Sich

heftig nach Stillfried herumwendend, welcher eifrig

beſchaftigt war, die lügenhaften Etiketten von den

betreffenden Stücken abzureißen, ſagte er in un-

freundlichem Tone:
„„Laſſen Sie nur dieſe Etiketten daran, Still-
fried! Was zum Teufel fiel Ihnen ein, daß Sie

dieſer jungen Dame ſagten, dieſe Farben ſeien
nicht echt?“ ö
„Ich ſagte es, weil es wahr iſt. Die alte Ma-
dame Lämmergeier, welche vorige Woche ein Kleid
von dieſem Stoffe kaufte, brachte ein Stück davon
zurück, auf weichem durch das Waſchen die Far-
ben theils ganz verſchwunden, theils ineinander ver-
ſchwommen waren.“ ö
„Aber das brauchten Sie doch dieſer jungen
Dame nicht zu ſagen! Dieſe Erfahrung konnte ſie
ſelbſt machen, nachdem ſie das Kleid gekauft und
bezahlt hatte. ö
„Aber dann wäre es zu ſpät geweſen.“ ö
„Was geht das uns an? Wenn wir den Leu-
ten ſagen wollen, daß dieſes Stück Waare unecht
iſt, daß jenes keine Haltbarkeit hat und daß das
dritte hier und da kleine Fehler ſehen läßt, ſo thun
wir klüger, wenn wir das Geſchäft ſofort ſchließen.
Ich muß mich ſehr wundern, daß Sie, da Sie
doch ſchon ſo lange bei uns ſind, unſern Vortheil
nicht beſſer in Acht zu nehmen verſtehen. Hüten
Sie ſich ja, dergleichen Fehlgriffe wieder zu bege-
hen!“ ſagte der erzürnte Principal und verfügte
ſich nach einem andern Theile des Geſchäftslokals.
Der arme Karl! Kaum hatte er nach dieſer
Strafpredigt aufgeathmet, ſo wurden ſeine Wahr-
heitsliebe und ſein Muth abermals auf die Probe
geſtellt. ö ö ö
„Zeigen Sie mir doch einige Sorten guten,
wohlfeilen Flanell, ungefähr wie der, welcher am
Fenſter als ganz wollen für 9 Silbergroſchen die
Elle bezeichnet iſt“, ſagte eine alte Dame, indem
ſie an den Ladentiſch trat.
Mit einem Seufzer über das in Ausſicht
ſtehende Verhör und mit der innigen Hoffnung,
daß die alte Dame alles für baare Münze nehmen
und keine Frage thun möchte, holte Karl ein Stück
Flanell und rollte es vor ihr auf.
„Iſt das dieſelbe Sorte wie die am Schaufen-
ſter ausgeſtellte?“
„Ja wohl, ganz dieſelbe!“
„Und iſt ſie durch und durch wollen?“

„Nein, das allerdings nicht, Madame! Es iſt
ein wenig Baumwolle darunter.“ ö
„Baumwolle iſt darunter? An dem Fenſter

ſteht ja „ganz wollen“? Warum ſchreiben Sie
Dinge an, die nicht wahr ſind? Indeſſen, der Fla-

nell fühlt ſich ſehr ſchön und weich an und wenn
 
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