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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belleriſtiſ che Beilage zur Heidelberger Zeitung.

60.

„Sonntag, den 17. Mai

1868.

Der Ring der Bettlerin.
Aus den Erinnerungen eines Londoner Polizeibeamten.

(Fortſetzung.

„Wie kamen Sie zu dieſem Ring?“ fragte

ich ſie. ö ö
„Er lieh ihn mir, und ich wollte ihm den Ring
nicht wieder zurückgeben, obſchon er mit mir dar-
über ernſtlich böſe war. Ich verſprach ihm den-
ſelben wieder zurückzugeben, ſobald mein Kind auf
der Welt wäre; aber er war damit nicht zufrieden,
und ich glaubte zuweilen, daß er nur wegen des

Rings mir nicht mehr geſchrieben und mich nicht

mehr aufgeſucht hat.

Meinen Sie nicht auch?“
„Wohl moͤglich.

Laſſen Sie mich den Ring

näher unterſuchen; ziehen Sie ihn auf eine Minute

ab und geben Sie ihn in meine Hand.“
„Aber nicht wahr, Sie laufen mir nicht damit
davon?“ ö
„Gewiß nicht. Hier, halten Sie meinen Stock,
den ich ebenſo hoch halte, wie Sie Ihren Ring.
Dieſer Stock iſt aus einem Stück Holz von Lord
Nelſon's Admiralſchiff „Victory“.“
„Wirklich, dann muß er werthvoll ſein.“
Ich betrachtete mir den Ring ganz genau. Er
war von eigenthümlicher Arbeit, hatte die Geſtalt
eines mehrdräthigen Taues und bildete einen ganzen
Kreis von lauter ſchönen, großen Smaragden. In-
nen ſtand mit alten gothiſchen Buchſtaben: „H. S.
ihrem W. R. 1814.“ Dieſe Schrift war ganz
deutlich lesbar und — wahrſcheinlich vom beſtän-
digen Gebrauch — ganz ſchwarz geworden. Wie
ich ſo den Ring betrachtete, ſchoß mir plötzlich ein
Gedanke durch den Kopf, wie ich dem armen Mäd-
chen einen Dienſt leiſten könnte.
„Geſetzt, ich wollte Sie wieder ſprechen, Frauen-
zimmerchen, wo kann ich Sie finden?“ fragte ich.
„Wo Sie nur wollen.“ ö ö
„Nun denn, ſo kommen Sie jeden Dienſtag und
Freitag Abend um neun Uhr hieher, bis Sie mich
treffen. Vielleicht bin ich im Stande, etwas für
Sie zu thun. Wie heißen Sie 20
„Maria Morris.“
„Wohlan denn, Maria, ich hoffe Sie in Bälde
wieder zu ſehen und Ihnen einige gute Nachrichten
bringen zu können. Hier, nehmen Sie dies, es

lautete

wird Ihnen wenigſtens für einige Tage Nachtquar-
tier und ein Frühſtück verſchaffenn.
„Gott ſegne Sie, Herr! wie gut ſind Sie doch
gegen ein armes Mädchen! Alſo Dienſtags und
Freitags — gut, ich werde pünktlich kommen!«
Wir trennten uns und ich machte mich auf den
Heimweg nach meinem einſamen Stübchen, und
grübelte unterwegs über den beſten Plan, den ich
verfolgen könnte, um die arme bethörte Waiſe wie-
der in Rapport mit ihrem Verführer zu bringen.
Zwei Tage ſpäter war in der Times folgende
Anzeige zu leſen: ö
„Gefunden: Ein altväteriſcher Smaragdring mit
Anfangsbuchſtaben und der Jahreszahl 1841 auf der
innern Seite. Der Eigenthümer kann ihn wieder er-
halten gegen Einſendung einer genauen ſchriftlichen
Beſchreibung an J. F., Po ſtbureau, 186. Strand.“
Am folgenden Tage lief ein ganzer Schwarm
Briefe ein, die der Mehrzahl nach offenbar nur

bloße Speculationen waren auf die Möglichkeit, zu-

fällig mit ihrer Beſchreibung das Richtige zu tref-
fen. Doch war unter dieſem Haufen einer, der
ſich auf Thatſächliches ſtützte und folgendermaßen

„King's Bench Walk, Middle⸗Temple-
Mittwoch.
Mein Herr! Vor einigen Monaten verlor ich
einen Ring, welcher nach der von Ihnen gegebenen
Beſchreibung identiſch ſein dürfte mit dem Ringe, den
Sie gefunden haben. Der Ring, den ich verlor, iſt
getrieben wie die Stränge eines Taus und rings herum
mit zwölf großen Smaragden beſetzt. Innen ſteht in
gothiſcher Schrift: „H. 8. ihrem W. R.“ Sollte
dies mit dem Ring übereinſtimmen, den Sie gefun-
den haben, ſo werde ich es Ihnen ſehr danken, wenn
Sie mir denſelben unter der oben genannten Adreſſe
bringen oder ſchicken, worauf für die Wiederbeiſchaf-
fung eine entſprechende Belohnung gereicht werden
ſoll. Mit aller Achtung ö
Walter Roß.“

„An J. F., Poſtbureau, 186. Strand.“
Dies war's gerade, was ich haben wollte. Der
Fiſch hatte angebiſſen, und ich hoffte ihn ſicher an's
Land zu bringen. ů —1
Ich erwiederte alſo umgehend in einem höflichen
Billet, der Ring entſpreche genau der eingeſchickten
Beſchreibung, und ich betrachte ihn als den recht-
mäßigen Eigenthümer. Ferner fügte ich noch bei,
ich werde ihm am folgenden Tage, um fünf Uhr
Nachmittags, meine Aufwartung machen. ö
Am andern Tag verkleidete ich mich als ein
 
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