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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Familienblätter.

Velleriſiſce Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W.146.

Sonntag, den 6. December

JIn Feind esland.

Novelle von Adolph Müller.

(Fortſetzung.)
Meine ſchöne Nachbarin hatte nicht 10 geringſte
Ahnung davon, als mein Schützleng ſchon ruhig
bei mir in einem kühlen Zimmer lag, deſſen hübſche
Lage — hohe Kaſtanienbäume klopften an ſeine
Fenſter — ihm außerordentlich zu behagen ſchien.
Doch war der Zuſtand des Kranken ein äußerſt
bedenklicher, und mein Freund, der Arzt, zuckte die
Achſeln und ſagte: „Wenn wir die Kugel micht
aus dem Fuße ſchneiden können, muß er ſterben;
denn eine Amputation hält er bei ſeiner doppelten
Verwundung nicht aus.“
Dieſe Auskunft war für mich ſehr wenig tröſt-
lich, und ich drang in ihn, all' ſeine Kunſt anzu-
wenden, den Offizier zu erhalten. Ich hatte mit
dieſem, in Berückſichtigung ſeines Zuſtandes, noch
nicht viel geſprochen. Da ſih aber am Abend deſ-
ſelben Tages ſein Uebel auf's Heftigſte ſteigerte, ließ
er mich bitten, zu ihm zu kommen, und begann:
„Wollten Sie ein paar Worte an Iemanden für mich
ſchreiben, der zu Hauſe in Angſt um mich vergeht?“
„Ich beabſichtigte längſt, Ihnen das Anerbieten
zu ſtellen, doch wollte ich damit warten, bis Ihnen
beſſer wäre.“
„O mein Wohlthäter“, fuhr er fort, vich fühl'
es, ich werde bald ſterben!“
Ich ſprach ihm Muth zu und frug ihn, ob ich
an ſeine Eltern ſchreiben ſolle.
„Eltern! Nein, die habe ich nicht mehr. Ich
hatte eine ſehr liebe Mutter und ich bin froh, daß
ſie den Schmerz nicht mehr zu erleben braucht, mich
vielleicht als Krüppel zu ſehen. Ich bitte Sie um
die Nin naſche die in meinem Rock ſteckt.“
Als er ſie aufſchlug, ſah ich darin das photo-
graphiſche Bild einer jungen Dame, an dem ſein
Auge lang und innig hing.
„An dieſe ſollen Sie ſchreiben, an meine Braut.
Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen den Brief
diktiz Ich möchte nicht eher die Augen zuthun,
ehe ich ihr⸗ noch einmal Nachricht und ihr Wort
zurückgegeben⸗ habe. *
Sein blaues Auge bob ſich bei dieſen. Worten
und blieb an mir mit einem ſolch' bittenden Aus-
druck haften, daß ich keine Einrede wagte. Im

Stillen empfand ich die ſeltſame Analogie veſe
Falles mit der Erzählung Magdalenens. —
Ich ſchrieb den Brief, deſſen Inhalt ich mir in
die Seele prägte, da ich mir meiner Schuld gegen
Magdalena noch wohl bewußt war. Andern Tags
traf ich ſie, und ſie aczan mich ungläubig gn, als
ich ihr von meinem ſeltſamen Gaſt erzählte. „Es
iſt ein hübſcher, junger Mann“, ſchloß ich, „ja un-
gewöhnlich hübſch, und ſein Loos hat eine merk-
würdige Aehnlichkeit mit dem Ihres verſtorbenen
teplitzer Freundes. Ich muß ſogar offen ſein und

ſagen, daß ich befurchte, es könnten ſich bei unſerm

Gaſte ch die nämlichen Verhältniſſe wiederholen,

wobei ich für Sie, liebſtes Fräulein, eine nicht ge-

ringe Angſt empfinde; denn vom Mitleid iſt nur
Ein Schritt zur Liebe, und zweimal hält ein Herz
ſolch' mächtigen Anprall nicht aus.“
„Wie die Männer doch bei ſolch' ernſten Din-
gen ſcherzen koͤnnen“, entgegnete ſie und fügte dann
hinzu: „Wann wird man den Armen denn ſehen
können?“
„So ſpät als möglich, denn er hat blaue Au-
gen, vor denen man ſich in Acht nehmen muß, es
iſt ein Blau, in dem — um in einer— landläufigen
Novellenfloskel zu reden — das Feuer der Hölle
brennt.“
„Ich bitte Sie, laſſen Sie ſolche Nebenſachen
und ſagen Sie.
„Ach, meine Beſte das Auge iſt die Haupt-
ſache! Doch, wenn Sie Geduld haben, werde ich
in meinem Gedächtniß den Brief zuſammenſuchen,
den er mich an ſeine Braut ſchreiben ließ, als er
geſtern hoffnungslos und im hoͤchſten Grade. nieder-
gebeugt dalag.
Meine geliebte Elſe!
Du erhältſt dieſen Brief durch einen Wahlthi
ter, der mich, den lödilich Verwundeten, in ſein
Haus aufgenommen hat. Der Traum, den Du
mir vor dem Ausmarſch erzählteſt, wo Du Dich
im Myrtenkranz vor dem Altar ſtehen ſaheſt, wäh-
rend ich mich blutend am Boden wand, iſt, was
mich betrifft, wahr geworden. Eine Kugel hat, mich
in die Schulter getroffen, und der eine Fuß wird
mir abgenommen werden müſſen. Wenn mir Gott
auch das Leben ſchenkt, ſo werde ich doch zeitlebens
verſtümmelt ſein — Ach! der Gedanke verdoppelt
meine Leiden, Dich auch nur einen Augenblick noch
an ſolchꝰ Unglückſeligen gekettet zu wiſſen. Nimm
 
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