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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 1 - No. 14 (1. Januar - 31. Januar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V 11.

Freitag, den 24. Januar

1868.

Poste restante.
Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

(Fortſetzung.)
7. Die Fliege und die Spinne.

„Kommen Sie raſch, damit wir nicht zu ſpät
eintreffen!“ flüſterte der Detektive mir zu. Ein
raſcher Gang von etwa zehn Minuten brachte uns
an die Pforte eines großen eleganten Hauſes in
einer der vornehmen Straßen von Newyork. Die
Thür war noch offen, und Mr. Burton führte mich
treppauf. Ich ſah nirgends im Hauſe ein Licht
und machte gegen meinen Führer die Bemerkung,
daß er wahrſcheinlich die Bewohner in ihrem Schlafe
ſtören werde. Burton antwortete nur durch ein
leiſes Lachen und zog die Glocke einer Thür im
erſten Stock. Gleich darauf klopfte er an dieſelbe,
und ich konnte mich der Annahme nicht verſchließen,
daß dies ein gewiſſes Erkennungszeichen war. Die
Thür ward unmittelbar darauf geöffnet, und wir
traten in einen durch eine einzige Gasflamme matt
erhellten Vorſaal. Ein rieſiger Neger in Livrée
empfing uns mit höflicher Verbeugung. „Iſt Bag-
ley noch hier ?“ fragte Burton ihn leiſe. — „Ja,
Sir, im Bibliothekzimmer, wo Sie ihn verlaſſen
haben.“ — „Gut; Sie brauchen ihn nicht zu ſtören.
Ich habe einen jungen Freund mitgebracht, um ihn
im Hauſe einzuführen, in Ausſicht auf künftige Be-
kanntſchaft.“
Der Neger lächelte verſchmitzt, machte abermals
eine reſpektvolle Verbeugung und ließ uns in's
Empfangzimmer eintreten. Wir durchſchritten eine
Reihe elegant ausgeſtatteter, hellerleuchteter Zimmer,
welche durch innerhalb der Fenſter angebrachte Blen-
den gegen die Straße abgeſchloſſen waren. Schwere
blauſeidene Vorhänge an denſelben deuteten darauf
hin, daß auch bei Tage eine gewiſſe Abgeſchloſſen-
heit feſtgehalten ward. Dieſe Zimmer waren zwar
jetzt verlaſſen, aber der Duft von Wein und Par-⸗
füm verrieth, daß vorher Geſellſchaft in denſelben
geweſen war. Im dritten Zimmer hielt der Detek-
tive mit mir an und deutete auf den bogenförmi-
gen Eingang zu einem vierten, vor welchem ſchwere

Vorhänge angebracht waren; nur einer der Vor-
hänge war ein wenig zurückgeſchoben, und Burton
hieß mich vorſichtig und unbemerkt durch die Oeff-
nung blicken. Ich ſah ein Zimmer, reich ausge-
ſtattet, wie die übrigen, zwei ſeiner Wände mit
Büchern bedeckt, neben denſelben eine ſehr ſchöne
Marmorbüſte Shakſpeare's und ein Gemälde Taſ-
ſo's, welcher der Prinzeſſin ſeine Gedichte vorliest.
In dieſem Zimmer befanden ſich indeß vier Per-
ſonen, welche in aufregenderen Studien, als die
von Büchern, verſunken waren — ſie ſpielten, je
zwei an einem Tiſche, Karten, und einer der Spie-
ler war James Arzyll.

Mein Erſtaunen bei ſeinem Anblicke war ohne
Grenzen. Daß ich nie auf freundſchaftlichem Fuße
mit ihm geſtanden hatte, betrachtete ich zum Theil
als meinen eigenen Fehler; manche Perſonen ſind
ſo natürliche Antagoniſten, daß Freundſchaft zwi-
ſchen ihnen ein Ding der Unmöglichkeit iſt. Ich
hatte mich ſelbſt oft getadelt wegen des zwiſchen
uns obwaltenden kühlen Verhältniſſes, aber trotz
all' meines Widerwillens gegen manche ſeiner Ei-
genſchaften, z. B. ſeine undankbare Gleichgültigkeit
gegen die Guͤte ſeines Onkels, und trotz alles Ab-
ſtoßenden, welches er für mich hatte, wäre ich nicht
im Stande geweſen, ihm abſolut ſchlechte Gewohn-
heiten zuzutrauen. Ich mußte zweimal hinblicken,
um mich zu üͤberzeugen, daß keine Täuſchung vor-
lag, daß es wirklich James war, und dann konnte
ich meine Augen nicht mehr von ſeinem Antlitz
wenden, in welchem ſich die ganze Leidenſchaft des
Spiels abſpiegelte. Seine Geſichtsmuskeln waren zu
gewaltſamer Ruhe zuſammengezogen, ſeine ſonſt
dunkle Hautfarbe war bleich, ebenſo ſeine Lippen.
Die Schärfe ſeiner Naſe ſchien noch ſtärker zu ſein.
Seine Augen waren, unter den feſt und unbeweg-
lich zuſammengezogenen Brauen, halb geſchloſſen
und ſtarr auf die Karten gerichtet.

Das Spiel ging völlig ſchweigend vor ſich, au-
genſcheinlich war es das Schlußſpiel, von welchem
viel abhing — wie viel, das konnte ich aus der
zunehmenden Bläſſe und der Veränderung der Ge-
ſichtszüge des jungen Mannes nur errathen. „Ich
wünſchte wohl das Geſicht ſeines Gegners zu ſehen,“
flüſterte ich Burton zu. — „O, Sie würden nichts
ſehen, als das Geſicht eines Teufels, der ſich an
ſeiner eigenen Kaltblütigkeit amüſirt! Bagley ge-
 
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