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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 27 - No. 39 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Lamilienblätter.“

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 30.

Sonntag, den 8. März

1868.

Die Nachbarn.

Es war Anfang September 1850, als ſich einer
der kleinen Flußdampfer, nur von einem breiten
Rade an ſeinem „Stern“ getrieben, den Cumber-
landfluß hinauf arbeitete. Er kam mit Fracht und
Paſſagieren von der Mündung des Stromes in den
Ohio und war nach Naſhyille, der reichen Haupt-
ſtadt des Tenneſſee-Staates, beſtimmt.
Aus der über das ganze Boot hinlaufenden
Kajüte war ein einzelner junger Mann auf das
beſchattete Vorderdeck getreten und muſterte, behag-
lich ſeine Cigarre rauchend, die beiden Ufer, welche,
bald emporſteigend, dichte Buſchpartien in den wun-
derbarſten Schattirungen zeigten, bald einen Blick
in das Land mit ſeinen wohlkultivirten Feldern,
Landhäuſern und maleriſchen Waldſtrecken er-
laubten.
Ihm nach irat jetzt eine hohe, maſſive Geſtalt,
ganz in weißes, geſteiftes Baumwollenzeug geklei-
det, nahm den breiten Panamahut ab und trocknete
den Schweiß von dem kahlen Kopfe und dem ro-
then Geſichte. ö
„Verdammt heiß, Sir, und eine verdammt lang-
weilige Fahrt bei dieſem ſeichten Waſſer,“ begann
der Letztere; „aber ein hübſches Land hier, wird
Ihnen gefallen, Sir, wenn Sie erſt mehr davon
ſehen. Kommen expreß von Deutſchland, um den
alten Gentleman zu beſuchen, he?“
„Beinahe ſo — Sie kennen Mr. Ouentin,
Kapt'n “ gab der Jüngere in leidlichem Engliſch
zurück. ö
„Kenne ihn, Sir, kein beſſerer Mann in ſeinem
County,“ nickte der Andere, „habe oft Fracht für
ihn hinunter nach Smithland. Sind mit ihm ver-
wandt und werden erwartet, he?“
„Ich denke, Sir, daß er mich erwartet,“ erwie-
derte der junge Mann, raſch den Kopf hebend,
zindeſſen komme ich einige Tage früher, als meine
Berechnung war, und ich habe mir ſchon Gedanken
gemacht, wie ich den Weg von der Landungsſtelle
l Farm finden und mein Gepäck fortſchaffen
Können gar nicht fehlen, Sir, gehen gerade
der Straße nach in den Wald hinein und werden

nachher ſchon Jemand auf den Feldern finden, der
Sie zurechtweiſt. Mr. Quentin's Farm kennt
jeder Neger zwanzig Meilen weit. Das Gepäck
aber laſſen Sie nur ruhig an der Landung, bis
es abgeholt wird — es iſt eine Holzſtation, Sir,
und immer Jemand in der Nähe; nähme Ihnen
aber auch ohnedies kein Meuſch ein Stück davon!“
„Sie kennen Mr. Quentin's Familie, Kapt'n?“
fragte der Reiſende nach einer kurzen Pauſe.
„Familie?“ erwiederte der Angeredete nachdenk-
lich, „ich meine, es iſt nur eine einzige Tochter da,
die kaum länger als ein Jahr aus der Erziehungs-
anſtalt zurück ſein kann; die Mutter iſt wohl ſchon
an die zehn Jahre todt, konnte das Klima nicht
vertragen, Sir, und der alte Gentleman hat immer
als Junggeſelle gelebt. — Hm, hm!“ ſetzte er, wie
von einem plötzlichen Gedanken berührt, hinzu und

muſterte mit einem Seitenblicke die ſchlanken, ju-

gendlich kräftigen Formen ſeines Geſellſchafters,
„wünſche, daß Sie kein gar zu naher Verwandter
ſein mögen, Sir, ſonſt könnte es Feuer geben, wo
es nicht hingehört. Miß Loo gilt für eine Schon-
heit, Sir!“ ö
Ein leichtes Roth trat in das Geſicht des
Deutſchen. „Müſſen's riskiren, Kapt'n!“ ſagte er
lachend, „indeſſen iſt eine hübſche Couſine jeden-
falls angenehmer als eine häßliche. — Aber iſt
dort nicht eine Holzſtation?“ unterbrach er ſich, als
ſoeben eine Biegung des Fluſſes ſich aufthat und
einen Blick in die Ferne ermöglichte.
„Das iſt der Ort, Sir, und Sie haben von
da nur noch zwei kleine Meilen in's Land hinein,“
war die Antwort, mit welcher der Kapitän ſich
wieder nach dem Innern der Kajüte wandte, und
nach kurzer Zeit legte das Dampfboot an einer in
den Fluß hineingebauten rohen Plattform an, von
welcher ſich ein vielfach ausgetretener Weg das
ſteile Ufer hinauf wand. Oben ſtreckte ſich eine
lange Linie aufgeſchichteten Scheitholzes am Fluſſe
hin, und kaum hatte das Fahrzeug gehalten, als
auch, von unſichtbarer Hand bewegt, die Kloben
das Ufer herab zu hageln begannen.
„Bob!“ ſchrie der Kapitän hinauf, während ein
Neger zwei mächtige Koffer vom Boote nach der
Plattform trug und der junge Deutſche dieſen
folgte, „hier iſt ein Vetter von Mr. Quentin;
Du wirſt das Gepäck verwahren, bis es abgeholt
wird.“
 
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