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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 94.

Freitag, den 7. Auguſt

Franz Alzeyer.

Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe

ö (Fortſetzung.)
Hiervon wird fernerhin noch zu reden ſein,
wenn wir erſt eines merkwürdigen Zwiſchenfalls
gedacht haben. Um dieſe Zeit nämlich war das
verderbenſchwangere Meteor des napoleoniſchen Ruh-
mes ſo hoch über dem deutſchen Himmel aufgeſtie-
Hen, daß ſeine Strahlen ſelbſt in den verſteckten
inkel jenes weltvergeſſenen Ländchens drangen.
Der Landesfürſt hatte ſich beeilt, Frieden und
Freundſchaft des Gewaltigen zu erkaufen, und ſeine
getreuen Unterthanen blieben, Dank ihrer geogra-
phiſchen Abgeſchiedenheit, von den Schrecken und
Wirrniſſen der öſterreichiſchen Feldzüge verſchont,
einige Durchmärſche franzöſiſcher Truppen abge-
rechnet, die auf die Phantaſie der wackeren Bürger
nur mit dem Reiz eines abenteuerlichen Schauſpiels
wirkten. So oft dergleichen ſich ereignete, gerieth
Franz Alzeyer in eine fieberhafte Aufregung, die
auch nach dem Abzuge der Fremden unter vier

Augen mit Monſier Tourbillon fortloderte, bis

Mos Tages die Kunde durch die Stadt lief, der
eiſter habe Frau und Kinder im Stich gelaſſen,
am abermals ins Spaniſche hineinzuwandern und
dort unter dem größten Manne dieſes und aller
Pahrhunderte den Flecken ſeiner kleinſtädtiſchen Her-
unft mit Heldenblut von der Seele zu waſchen.
Er blieb mehrere Jahre fort und ſchrieb niemals

die Seinigen, die indeſſen ihr ruhiges Leben in
an lichteit und ohne allzu ſehnſüchtige Herzens-
lan um den verſchollenen Vater fortſetzten. Der
un ge Fritz ſaß ſchon das zweite Jahr in Prima,
nach ganglich für jeden höheren Ehrgeiz, als den,
gebet wie vor in dem Zauberkreiſe der heimlich An-
ö das eten geduldet zu werden. Seine Schweſter,
40 Atzene Käthchen, war auf das Erfreulichſte her-
fren dſch und pflog einer leidenſchaftlichen Buſen-
auf roſchaft mit der jungen Muſe, deren Verſe ſie
aus bemte Briefblätter zierlich abſchrieb und nur
7 eſonderer Gnade dann und wann dem Bru-
ohn Beltſen gab. Sie ſeloſt war ebenfalls nicht
u ein ewerber, hatte aber eine tiefverſteckte Neigung
germeift jungeren Freunde ihres Fritz, dem Bür-
meiſtersſohn, einem leichtblütigen braven Jungen

nur ſchlimmer eingeteufelt.
erfreut, ihn wiederzuſehen, und ſo war es auch.

in rothblonden Locken, mit Namen Ludwig, oder

der „rothe Lutz“ geheißen, der wiederum nur Augen
für ihre Freundin hatte, ſo daß ſich dieſe vielver-

ſchlungenen Herzensfäden am Ende gar zu einem
tragiſchen Knoten geſchürzt hatten, wenn die wind-
ſtille Luft der kleinen Stadt die Leidenſchaften nicht

gedämpft und die jugendlichen Flammen gezügelt

hätte.

Da erſchien plötzlich Allen unerwartet, da der

ſpaniſche Krieg noch fortwüthete, der verſchollene

Meiſter Franz Alzeyer wieder in der Heimath, in
gar trauriger Geſtalt, hinkend, am linken Arm ver-

ſtümmelt, über der Stirne eine breite rothe Narbe,

die tief ins Haar hineinlief, die franzöſiſche Uni-
form übel zugerichtet, bei alledem ungebrochenen

Geiſtes und an Trotz und Vaterlandsverachtung
Niemand ſchien ſehr

ihm nicht zu verdenken, daß er das alte Weſen fort-
trieb und ſeinen Nachbarn und Mitbürgern deſto
verbiſſener die Zähne zeigte, je weniger ſie ihm
ſeine ſpaniſchen Siege und Großthaten zum Ruhme
rechnen wollten. Er war alſo von Neuem auf die

Geſellſchaft des alten Friſeurs und die Lektüre eini-

ger franzöſiſcher Zeitungen angewieſen, die er aus
Frankreich mitgebracht hatte, und, da ſie von Schlach-
ten berichteten, die er ſelber mitgefochten, unermüd-
lich immer wieder von A bis Z durchſtudirte.
Die Seinigen ertrugen ihn in alter Geduld.
Die Frau, die ihn getreulich pflegte und ſeine Wun-
den mit gelinden Hausmitteln zum Heilen brachte,
ſtarb ſchon nach einem halben Jahr; darauf führte
das ſchöne Käthchen das Hausweſen, nicht ſo ſor-
genlos freilich, als es vormals geſchehen. Denn
theils hatte die Drangſal der Zeit den Flor des
edlen Handwerks beſchädigt, theils war das unſtete

ſaumſelige Weſen des Meiſters Schuld an dem ein-
reißenden Verfall. Er nahm zwar den Sohn, der

ſich diesmal dem väterlichen Machtſpruch willig
fügte, ſofort aus der Schule und übertrug ihm die
Aufſicht über die wenigen Geſellen, ließ ihm aber
nicht freie Hand und verſah es vollends durch ſei-

nen eben ſo unzweckmäßigen als unpatriotiſchen

Eifer, in zahlloſen Exemplaren den Kopf ſeines
vergötterten Kaiſers und der berühmteſten ſeiner

Feldherren in Meerſchaum ſchneiden zu laſſen, um.

wie er ſich ausdrückte, dem deutſchen Volk zu zei-

1868.
 
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