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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 52.

Mittwoch, den 29. April

1868.

Das Schloß an der Weſer.

Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.)

„Gott verzeihe Dir dies Wort, wie kann man
ſie anſchauen, wenn ein ſo frommes Engelsbild,
wie die Gertrud in der Nähe,“ antwortete ſie ganz
erſchreckt.
Seitdem ſprach er ihr gegenüber nie mehr von
Elſe. Aber wie das alte Lied ſagt:
„Und ſcheint die Sonne noch ſo ſchön,
Am End' muß ſie doch untergeh'n, ö
ſo ging auch dieſe fröhliche Zeit vorüber und der
Abſchiedstag kam. Diesmal war es ein ſchwerer
Abſchied, denn Werner wollte eine Hofmeiſterſtelle

annehmen bei einer vornehmen ruſſiſchen Familie,

mit der er ſich auf Reiſen begeben ſollte. „Da ſie
mich nicht zum Soldaten wollen, möchte ich je
weiter, je lieber fort!“ ſagte er. Erſt in zwei
Jahren durfte er auf ein Wiederſehen hoffen. Mit
Zuverſicht, wenn auch in lebhafter Aufregung, er-
wartete die Mutter, daß ihr Sohn ſich vor dieſer
Trennung ihres Lieblings verſichern werde, und
mit einem Gemiſch von Freude und Unruhe beob-
achtete ſie deßhalb von Tag zu Tag das junge
Paar. Od Gertrud auch ein bedeutungsvolles
Wort erwartete? Sie war ſcheuer, ſtiller, geſchäf-
niger als je, aber ihre Wangen brannten und ihre
Augen zeigten häufig Spuren von Thränen. Er
zog ja zum erſten Male wirklich fort! Kein Som-
mer brachte ihn wieder wie bisher! Ach, wer ihn
hätte halten dürfen! Und doch wich ſie ihm in
ſüßer Qual und holdem Bangen aus, als er ſie
ſichtlich ſuchte und erſchrak ſogar, als er ihr am
letzten Tage vor ſeiner Abreiſe begegnete, wie ſie
mit dem Körbchen am Arm, im großen Hut, aus
der Thür trat, um in den Küchengarten zu gehen
und Bohnen zu pflücken.
„Wo iſt Elſe? fragte er unruhig.
„„Die Mutter hat ſie zur Bleiche geſchickt, ich
will mich eilen, daß ich ihr nachkomme, ſie wird
bm⸗ nicht fertig ohne mich!“ ſetzte ſie lächelnd
inzu. ö
„Dann will ich Dir
nahm ihr den Korb ab.“
So gingen ſie denn im Sonnenſchein neben

helfen,“ bat er eifrig und

einander her durch den Garten die beiden jungen
Geſtalten, an den Roſenbüſchen vorbei, mit jenem

zögernden Schritt und melancholiſchen Blick, den

eben das Bewußtſein: „es iſt das letzte Mal“ bringt.
Und doch, wenn Gertrud verſtohlen aufſchauend die
düſtere Stirn und den ſchmerzlichen Zug um den
Mund ihres Gefährten gewahrte, wallte es wie
Seligkeit über ihr Herz, daß das Scheiden ihm ſo

ſchwer wurde. ö

EEůä. Du ſchreiben?“ fragte ſie endlich ganz
leiſe. ö
„Gewiß Gertrud; wirſt Du mir aber auch
ſchnell und hübſch ausführlich antworten?“
„Ach Werner, Du weißt, es wurde mir immer
ſo ſchwer — Elſe kann all' dergleichen viel beſſer.
Und Du wirſt über mich ſpotten — wir ſchreiben
ja im ganzen Jahr keinen einzigen Brief.“
„Aber was iſt daran gelegen,“ fiel er ungedul-
dig ein. „Ich will nur wiſſen, wie es Euch geht.

Du mußt mir Alles ſchreiben — jede Kleinigkeit —

hörſt Du?“
„Gewiß, wenn Du keinem Menſchen jemals
meine Briefe zeigen willſt —.“ ö
„Da haſt Du meine Hand darauf Gertrud!“
Sie legte langſam ihre Hand in die ſeine. Er
hielt die ſchlanken Finger feſt und ſo gingen ſie
weiter. Die gefangene Mädchenhand zitterte, der
junge Mann war aber viel zu tief in Gedanken
verloren, als daß er es beachtet hätte. ö
Sie waren beim Bohnenfeld angelangt; Gertrud
begann mit Eifer zu pflücken. Werner, ſtatt ihr
zu helfen, warf ſich auf eine Raſenbank, ſtützte den
Kopf in die Hand und ſchaute zerſtreut nach ihr
hin, wie ſie ſo vor ihm ſtand die anmuthige Ge-
ſtalt, das Kleid aufgeſchürzt, die hübſchen Füße in
den zierlichen Hackenſchuhen, das glühende, ſonſt ſo
ſtille Geſicht zwiſchen den blonden Flechten in un-
gewöhnlicher Erregung. Nie vorher war ihm ihr
ſchöner Wuchs aufgefallen. Die keuſche Grazie ihrer
Bewegungen ergriff ihn mit unwiderſtehlicher Ge-
walt. Da begegnete ſie ſeinen Augen, die mit einem
fremden, faſt leidenſchaftlichen Ausdruck auf ſie ge-
richtet waren. Sie lächelte. Der Korb aber ent-
fiel ihrer unſicheren Hand und rollte mit ſeinem
Inhalte zu ſeinen Füßen hin. Gertrud kniete nie-
der, der junge Mann neigte ſich vor, da geſchah es,
daß ſeine Stirn ihre heiße Wange berührte und
der ſüße Mädchenathem ihn traf. Unwillkürlich
 
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