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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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geidelberger Familienblätter.

Belleriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 47.

Freitag, den 17. April

1868.

Das Schloß an der Weſer.

(Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.“)

Auf der Hald
Viel Röslein ſteh'n,
In dem Wald
Die Rehlein geh'n. —
Ach, wie bald
Iſt's geſcheh'n
Das Verſchwinden und Verweh'n.

Viele Jahrhunderte hat es ſchon an ſich vorüber
ziehen ſehen, das alte Schloß am Fluſſe, und noch

immer ſtehen ſeine Mauern ſo trotzig da, als ob

ſie ſagen wollten: „Wir fallen nimmer.“ Ein Herzog
von Braunſchweig ſoll es im 13. Jahrhundert er-
baut haben, als Wehr- und Ritterburg, und die
Schiffer auf dem Fluſfe kannten und fürchteten das
Raubneſt. Mancher reiche Kaufherr, mancher be-
ſiegte Feind mußte ein gewaltiges Löſegeld zahlen,
oder ſeinen letzten Seufzer verhauchen in den kalten
unterirdiſchen Gefängniſſen des Schloſſes. Einen
ungeheuern „Reiſigenſtall“ hatte man ſeltſamerweiſe
hinter den Mauern des Gartens errichtet, jenem
Städtchen zu, deſſen uralte Kirche ſchon bei dem
Schloſſe Pathe geſtanden haben ſoll. Die großen
Weinkeller aber und die kleine Capelle lagen im
Schloßhofe ſelbſt. Ein zierlich in Stein gemeißel-
tes Glas in Römerform bezeichnet den Eingang zu
jener Schatzkammer, in der man ſo viel flüſſiges
Gold aufbewahrte. Mächtige Rüſter und Linden
umſtehen, wie eine treue Wächterſchaar, die Capelle;
die verfallenen Stufen ſind zu einem Mooshügel
geworden, und die Spitzbogenfenſter verhängt von
den grünen Schleiern üppigſter Schlinggewächſe.
Die Eingangsthür zum Schloſſe, mit der über-
aus feinen Steinhauerarbeit, und die kunſtvolle
maſſive Wendeltreppe, mit den ſchräg liegenden
Aunstern, entzückt noch bis zur Stunde manches
uge.
Die Thürme brach man wohl ab, ſetzte auch
noch einen Flügel an und flickte hie und da an dem
mächtigen Bau herum, als die Burg nach dem

weſtphäͤliſchen Frieden an das Kurhaus Branden-

burg gelangt war, und man für den Biſchof und
ſeine geiſtlichen Herren, die hierher ſeinen Hofhalt
verlegte, mehr Raum brauchte. ö

*) Aus Weſtermann's Monatshefte.

Regen durchläßt.

Zu jener Zeit ſtand ſchon auf der Terraſſe die
alte Linde, die man jetzt, um ſie zu halten und zu
ſtützen, mit Ketten umſchlang, und auch die Linden-
laube im Garten, deren Blätterdach kein Tröpfchen
Die wilden Roſen kletterten ohne
Zweifel ſchon wie jetzt an der Mauer in die Höhe,
untermiſcht mit den kräftigen Ranken der Jungfern-
rebe und den dunkeln Blättern des Epheu. Von
der breiten, aber niedrigen Mauer der Terraſſe ſah
man auf der einen Seite in die ſchöne Wildniß des
Gartens, auf der andern über Wieſen und Fluß
weit in's flache, aber waldige Land hinaus. Eine
bequeme Steintreppe führte in die dunkeln Laub-
gänge, breite Wege liefen nach verſchiedenen Rich-
tungen auseinander. Wie mancher hohe Würden-
träger der Kirche hat ſich dort hingeflüchtet, um in
der grünen Einſamkeit, über die Blätter heiliger
Bücher geneigt, nachzuſinnen über jene ewigen un-
gelöſten Fragen des Glaubens und Lebens. Wie

tauſend Mal ſind ſie in tiefen Geſprächen auf der

Terraſſe hin und wieder gewandelt, während aus
den Niſchen die Statuen der Himmelskönigin und
frommer Heiligen auf ſie niederſchauten, jene ern-
ſten Chorherren, forſchend und grübelnd in ihrer
Sehnſucht nach jenem ewigen Lichte, das ſie jetzt
alle umleuchtet. Und viele hohe Gäſte beherbergten
die Mauern des alten Schloſſes. Der Kurfürſt.
von Brandenburg, Friedrich Wilhelm mit ſeiner
Gemahlin Louiſe Henriette verweilten mit großem
Gefolge mehrere Tage dort, wie die Chroniken be-
richten, um ſich huldigen zu laſſen und die Stände
ihres früheren Unterthaneneides zu entbinden. Da
wimmelte es im Hofe von reich gekleideten Dienern
und ſchlanken Pagen, prächtigen Roſſen und Hun-
den, da ritten Züge der vornehmſten Cavaliere in
den nahen Wald, um ſich auf der Jagd zu ver-
gnügen, und reizende Frauen winkten ihnen bei der
Wiederkehr von der breiten Gallerie herab, die rings
um das Schloß lief, ein Willkommen zu. Im
Jahre 1654 aber traf die geniale Tochter Guſtav
Adolf's von Schweden, die Königin Chriſtine, in
Männertracht auf ihrer erſten Reiſe nach Rom,
begleitet von nur wenigen Getreuen, in dem alten
Schloſſe am Fluſſe ein, muthmaßlich, um über ihren
Uebertritt zur katholiſchen Kirche ſich mit dem Biſchof
zu berathen. Man hat ſie oft an einem der oberen
Fenſter erblickt, in großen Folianten blätternd, den
Kopf auf die Hand geſtützt, mit ihrem reichen blon-
 
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