Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M 99.
Mitiwoch, den 19. Auguſt
1868.
Frauz Alzeyer.
Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe.
(Fortſetzung.) ‚
„Es bekam ihn aber Niemand zu Geſicht, nicht
einmal der rothe Lutz, der ſich im Zwielicht in's
Haus ſchlich. Das Käthchen hatte wieder ſeinen
ſchwermüthigen Tag und ſchloß ſich haſtig vor dem
Jugendfreunde ein. Oben in dem Manſardenzim-
mer fand er den langen Fritz. Sie fielen ſich ſtumm
um den Hals, der rothe Lutz mit verbiſſenen Thra-
nen, der andere wie es ſchien ganz entſchloſſen und
abgekühlt. Verlaß dich drauf, ſagte er, ich komme
euch nach. Der Pfarrer hat gut reden; mit ſeinen
weißen Haaren wollt' ich mir auch getrauen, den
Kampf zu kämpfen, zu dem er mich ermahnt hat.
Jetzt fühl' ich nur, daß ich dabei zu Grunde gehen
würde. Ich will freilich feſthalten ob dem Geſetz.
Aber hier ſteht Ein Geſetz gegen ein anderes, das
eine iſt menſchlich, das andere unmenſchlich. Das
Unmenſchliche kann Gottes Wille nicht ſein. Geh
zu den Andern, Lutz, ſag aber Keinem, was ich dir
geſagt, ich führ's ſchon hinaus, und iſt's nicht mor-
gen, ſo dauert's doch keine drei Tage, ſo bin ich
bei euch. Auf Siegen oder Sterben, Lutz, und
„Das Vaterland ſei unſer Stern und leucht' uns
vor, wir folgen gern,“ — wie es die Molly ſo
ſchön gedichtet hat. — Kannſt ſie grüßen, Fritz, er-
wiederte bewegt der Freund. Ich gehe natürlich
ohne Abſchied von ihr.
So hatten die beiden treuen Kameraden droben
in der Dachkammer mit einander ausgemacht und
waren dann geſchieden. Aber es mußte was Un-
heilvolles dazwiſchengekommen ſein. Denn vielmal
drei Tage verſtrichen, ohne daß ſich das Wort des
Zurückgebliebenen erfüllte. Die Andern zogen unter
dem Geläut aller Glocken und vielen Thränen und
Segenswünſchen des ganzen Städtchens am Mon-
tag in der Frühe durchs Thor, langten nach einem
eiligen Marſch bei dem Bülow'ſchen Corps an und
ſchrieben nach Hauſe, welch' ein ſchlachtenfreudiger
Geiſt durch das ganze Heer wehe, und wie ſchöne
Lieder ſie ſängen, und an die Molly ſchrieb der
rothe Lutz einen langen Brief, worin nichts von
Liebe ſtand und viel vom Vaterland, und wie er
ihre Gedichte Abends beim Wachtfeuer aus ſeiner
lichen Zuſpruch zu bringen.
deum und Illumination gefeiert.
Inach dem armen Kinde zu ſuchen.
blieben ſie fort, dann hieß es, ſie ſeien zurückge-
Brieftaſche vorleſe und zwei oder drei, die auf be-
kannte Melodien paßten, würden auch geſungen,
und Keiner wollte glauben, daß ſie ein Mädchen
gedichtet habe. Ferner ſchrieb er von ſeinem Ka-
narienvogel, der ihm nachgeflogen, als ſie ausmar-
ſchirten, und immer unterwegs auf ſeiner Schulter
ſitzen geblieben ſei, des Nachts aber neben ihm auf
dem Flintenlauf bivouakire und, wenn's weiter gehe,
luſtig mit drein ſchmettre in die Regimentsmuſik.
Am Schluß fragte er nach dem langen Fritz, was
denn aus ihm geworden ſei, und ließ ihn grüßen
und an die Abrede erinnern.
Aber Gruß und Auftrag blieben unbeſtellt.
Denn ſeit jenem Sonntage war das Haus des
Meiſter Alzeyer wie ausgeſtorben, und ſelbſt die
Magd, wenn ſie zu Markte ging, die Einkäufe zu
machen, ſchwieg wie das Grab auf alle geraden
oder krummen Fragen. Die beiden Geſellen, die
der Alte noch beſchäftigt hatte, waren unter den
Freiwilligen mit ausgerückt, der Meiſter ſelbſt ließ
Niemand ein, als Monſieur Tourbillon, mit dem
er trank und Ecarte ſpielte, und wies ſogar den
Beſuch des Stadtpfarrers ab, der ſich gedrungen
fühlte, ſeinem Beichtkinde, dem langen Fritz, geiſt-
Von dieſem und ſeiner
Schweſter, dem ſchönen Käthchen, war durchaus
nichts mehr zu ſehen noch zu hoͤren.
Und ſo blieb es über den ganzen Sommer. Die
erſten Siegesnachrichten kamen und wurden mit
Jubel und Freudenſchüſſen, mit Glockengeläute, Te-
Nur Franz Al-
zeyers Haus blieb dunkel und ſtill. Im September
endlich — die Schlacht bei Dennewitz war eben
geſchlagen und die braven Jungen des Städtichens
hatten ſich Ehre und Wunden erworben und der
rothe Lutz hatte an ſeinen Vater geſchrieben, daß
er zum Lieutenant avancirt ſei, und der Molly
ſagen laſſen, wie ſich der Kanarienvogel ſo tapfer
gehalten und ſich mitten in der Schlacht auf eine
Kanone geſetzt und Kriegslieder geſungen habe —
da lief noch ein anderes Gerücht von Haus zu
Haus: Das ſchöne Käthchen werde vermißt, und
vor Tage ſchon ſei ihr Bruder mit Monſieur Tour-
billon in großer Verſtörung auf und davon gezogen,
Vier Wochen
kehrt, aber ohne eine Spur der Verlorenen gefun-
den zu haben. Es fiel jetzt erſt den mitleidigen
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M 99.
Mitiwoch, den 19. Auguſt
1868.
Frauz Alzeyer.
Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe.
(Fortſetzung.) ‚
„Es bekam ihn aber Niemand zu Geſicht, nicht
einmal der rothe Lutz, der ſich im Zwielicht in's
Haus ſchlich. Das Käthchen hatte wieder ſeinen
ſchwermüthigen Tag und ſchloß ſich haſtig vor dem
Jugendfreunde ein. Oben in dem Manſardenzim-
mer fand er den langen Fritz. Sie fielen ſich ſtumm
um den Hals, der rothe Lutz mit verbiſſenen Thra-
nen, der andere wie es ſchien ganz entſchloſſen und
abgekühlt. Verlaß dich drauf, ſagte er, ich komme
euch nach. Der Pfarrer hat gut reden; mit ſeinen
weißen Haaren wollt' ich mir auch getrauen, den
Kampf zu kämpfen, zu dem er mich ermahnt hat.
Jetzt fühl' ich nur, daß ich dabei zu Grunde gehen
würde. Ich will freilich feſthalten ob dem Geſetz.
Aber hier ſteht Ein Geſetz gegen ein anderes, das
eine iſt menſchlich, das andere unmenſchlich. Das
Unmenſchliche kann Gottes Wille nicht ſein. Geh
zu den Andern, Lutz, ſag aber Keinem, was ich dir
geſagt, ich führ's ſchon hinaus, und iſt's nicht mor-
gen, ſo dauert's doch keine drei Tage, ſo bin ich
bei euch. Auf Siegen oder Sterben, Lutz, und
„Das Vaterland ſei unſer Stern und leucht' uns
vor, wir folgen gern,“ — wie es die Molly ſo
ſchön gedichtet hat. — Kannſt ſie grüßen, Fritz, er-
wiederte bewegt der Freund. Ich gehe natürlich
ohne Abſchied von ihr.
So hatten die beiden treuen Kameraden droben
in der Dachkammer mit einander ausgemacht und
waren dann geſchieden. Aber es mußte was Un-
heilvolles dazwiſchengekommen ſein. Denn vielmal
drei Tage verſtrichen, ohne daß ſich das Wort des
Zurückgebliebenen erfüllte. Die Andern zogen unter
dem Geläut aller Glocken und vielen Thränen und
Segenswünſchen des ganzen Städtchens am Mon-
tag in der Frühe durchs Thor, langten nach einem
eiligen Marſch bei dem Bülow'ſchen Corps an und
ſchrieben nach Hauſe, welch' ein ſchlachtenfreudiger
Geiſt durch das ganze Heer wehe, und wie ſchöne
Lieder ſie ſängen, und an die Molly ſchrieb der
rothe Lutz einen langen Brief, worin nichts von
Liebe ſtand und viel vom Vaterland, und wie er
ihre Gedichte Abends beim Wachtfeuer aus ſeiner
lichen Zuſpruch zu bringen.
deum und Illumination gefeiert.
Inach dem armen Kinde zu ſuchen.
blieben ſie fort, dann hieß es, ſie ſeien zurückge-
Brieftaſche vorleſe und zwei oder drei, die auf be-
kannte Melodien paßten, würden auch geſungen,
und Keiner wollte glauben, daß ſie ein Mädchen
gedichtet habe. Ferner ſchrieb er von ſeinem Ka-
narienvogel, der ihm nachgeflogen, als ſie ausmar-
ſchirten, und immer unterwegs auf ſeiner Schulter
ſitzen geblieben ſei, des Nachts aber neben ihm auf
dem Flintenlauf bivouakire und, wenn's weiter gehe,
luſtig mit drein ſchmettre in die Regimentsmuſik.
Am Schluß fragte er nach dem langen Fritz, was
denn aus ihm geworden ſei, und ließ ihn grüßen
und an die Abrede erinnern.
Aber Gruß und Auftrag blieben unbeſtellt.
Denn ſeit jenem Sonntage war das Haus des
Meiſter Alzeyer wie ausgeſtorben, und ſelbſt die
Magd, wenn ſie zu Markte ging, die Einkäufe zu
machen, ſchwieg wie das Grab auf alle geraden
oder krummen Fragen. Die beiden Geſellen, die
der Alte noch beſchäftigt hatte, waren unter den
Freiwilligen mit ausgerückt, der Meiſter ſelbſt ließ
Niemand ein, als Monſieur Tourbillon, mit dem
er trank und Ecarte ſpielte, und wies ſogar den
Beſuch des Stadtpfarrers ab, der ſich gedrungen
fühlte, ſeinem Beichtkinde, dem langen Fritz, geiſt-
Von dieſem und ſeiner
Schweſter, dem ſchönen Käthchen, war durchaus
nichts mehr zu ſehen noch zu hoͤren.
Und ſo blieb es über den ganzen Sommer. Die
erſten Siegesnachrichten kamen und wurden mit
Jubel und Freudenſchüſſen, mit Glockengeläute, Te-
Nur Franz Al-
zeyers Haus blieb dunkel und ſtill. Im September
endlich — die Schlacht bei Dennewitz war eben
geſchlagen und die braven Jungen des Städtichens
hatten ſich Ehre und Wunden erworben und der
rothe Lutz hatte an ſeinen Vater geſchrieben, daß
er zum Lieutenant avancirt ſei, und der Molly
ſagen laſſen, wie ſich der Kanarienvogel ſo tapfer
gehalten und ſich mitten in der Schlacht auf eine
Kanone geſetzt und Kriegslieder geſungen habe —
da lief noch ein anderes Gerücht von Haus zu
Haus: Das ſchöne Käthchen werde vermißt, und
vor Tage ſchon ſei ihr Bruder mit Monſieur Tour-
billon in großer Verſtörung auf und davon gezogen,
Vier Wochen
kehrt, aber ohne eine Spur der Verlorenen gefun-
den zu haben. Es fiel jetzt erſt den mitleidigen