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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 86.

Sonntag, den 19. Juli

1868.

Eine polniſche Kloſtergeſchichte.
Aus den Papieren eines polniſchen Emiſſärs.
Fortſetzung.)

Es iſt bekannt, welchen unberechenbaren Ein-
fluß die Frauen in Polen in jeder Richtung, alſo
auch in politiſcher üben. Die polniſche Regierung
baute von jeher auf die polniſchen Frauen noch
größere Hoffnungen als etwa auf eine polniſche
Armee. So wie die Nationalregierung durch Er-
richtung von Militärſchulen in Frankreich die nö-
thigen Elemente für eine zukünftige polniſche Re-
volutionsarmee, beſonders für das Officierscorps
und die techniſchen Waffen zu bilden ſuchte, eben
ſo entfaltete ſie von jeher die großartigſten Mittel,
um die Frauen in allen ehemaligen polniſchen Land-
theilen für die revolutionären Zwecke und den Dienſt

des Vaterlandes nicht blos zu begeiſtern, ſondern

zu bilden und heranzuziehen. ö
Hier ſei nur erwähnt, daß die polniſche Regie-
rung den polniſchen Frauen durch Sendſchreiben
wiederholt das Studium fremder Sprachen, nebſt
der franzöſiſchen, vorzüglich der ruſſiſchen und

deutſchen, dringend empfahl, daß ſie ihnen die Be-

ſchäftigung mit Geſchichte und Politik an das Herz
legte, die Unterſtützung der polniſchen Literatur,
den Beſuch des polniſchen Theaters, eben ſo wie
die Führung der Waffe, vorzüglich die Uebung im
Piſtolenſchießen zur Pflicht machte. Die Pariſer
Clubs der Emigranten bildeten förmliche weibliche

Emiſſäre. ö

zugleich ſchön und klug,

thätig.
meiſt Damen des polniſchen Adels, beſonders die
höheren Würden derſelben waren durchaus mit vor-

Nur bildungsfähige Damen durften die Schule
durchmachen und als bildungsfähig, im Sinne der
polniſchen Regierung, galt nur das Weib, das
liebreizend und kaltblütig
war. ö
In demſelben Sinne waren einige Frauenklöſter
Die Ordensſchweſtern dieſer Klöſter waren

nehmen Nonnen beſetzt, welche einerſeits mit der
polniſchen Ariſtokratie und der Emigration, anderer-
ſeits mit den Regierungskreiſen die intimſten Be-

ziehungen unterhielten.
Der bigotte Zug, welcher die hohe Ariſtokratie

damals charakteriſirte, kam den frommen Damen

hiebei trefflich zu ſtatten, obwohl ſie den mißtraui-
ſchen, energiſchen, in ihrer Weltanſchauung vorwie-
gend atheiſtiſchen Ruſſen gegenüber mit ähnlichen
Mitteln nicht ſelten Fiasko machten.
Der Hauptſitz des Ordens, welcher in dieſer

Weiſe für die polniſche Sache thätig war, befand

ſich in L. Das daſelbſt befindliche Kloſter verfolgte
ſeine Zwecke in doppelter Richtung. ö
Die Damen, welche daſſelbe leiteten, ſpannen
die Ariſtokratie, welche damals überall tonangebend
war, Beamte ſo gut wie das Militär in ihre from-
men Netze ſo feſt ein, daß Generäle und Staats-
beamte wie gefangene Fliegen in denſelben hingen.
Andererſeits ſtrebten ſie die polniſchen Frauen in
eben ſo viel Agenten der Vaterlandsliebe zu ver-
wandeln. Den letzteren Zweck ſuchten ſie ſowohl
direct im lebhaften Verkehre mit jenen Damen zu
erreichen, welche damals die vornehme Geſellſchaft
Galiziens bildeten, als durch Erziehung der weib-
lichen Jugend.
Sie begnügten ſich nicht damit, die Töchter aller
vornehmen Familien des Landes in ihrem Sinne
heranzubilden, ihnen die revolutionären Ideen ge-
läufig, ſie zu Trägerinnen und Verfechterinnen der-
ſelben zu machen; ſie nahmen im Gegentheil plan-
mäßig Mädchen aus allen Ständen in ihre Schule.
Ihre Zöglinge theilten ſich in drei Klaſſen.
Jene der adeligen Klaſſe, welche nur für eine be-
deutende Summe Aufnahme fanden; jene der zah-
lenden bürgerlichen Klaſſe, und jene, welche unent⸗—
geltlich erzogen wurden. Wo der Orden nun, ſei
es bei einer armen Handwerkerfamilie oder in einer
Bauernhütte oder ſonſt wo ein auffallend wohlge-
ſtaltetes oder fähiges Mädchen entdeckte, ſofort
wurde daſſelbe unter den glänzendſten Bedingungen
den Eltern genommen. Man verſprach der be-
ſorgten Mutter das arme Mädchen, das vielleicht
beſtimmt war, Schafe zu hüten oder Boden zu rei-
ben, in das Kloſter zu nehmen, anſtändig zu klei-
den und zu ſpeiſen, in Sprachen und Wiſſenſchaf-
ten zu unterrichten, Tanzen, Klavierſpielen, Singen
lernen zu laſſen und nach einer beſtimmten Anzahl
von Jahren zu verſorgen.
Einzelne dieſer Mädchen, welche ſich zugleich,
beſonders fromm und verläßlich zeigten, nahm der
Orden als Mitglieder aufz die einfachſten, zurück-
gebliebenen als dienende Schweſtern zu den gewöhn-
lichen Verrichtungen. Die Mehrzahl wurde einfach
 
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