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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

ö Belletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W 54.

1868.

Das Schloß an der Weſer.
Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.)

War wirklich keine Gefahr da für Deinen Lieb-
ling, arme Gertrud? Sahſt Du ſie denn nicht
wachſen und emporſchießen die betäubend duftende
Blüthe der Leidenſchaft. Wachten nicht mahnende
Stimmen auf, im alten Schloſſe, deſſen Mauern
ſchon ſo vielem Liebesglück und Liebesleid zugeſchaut,
die Dir zuflüſterten: „Hüte ſie! — wache über
Dein Kleinod!“ ö
Aber Alles blieb ſtumm und ſtill und das Ver-
hängniß ging auf leiſen Sohlen ſeinen dunkeln
Weg. Vielleicht hatte das Ausſchauen nach dem
fernen Geliebten die Schweſteraugen geblendet, daß
ſie nicht die Wandlung wahrnahmen, die über Elſe
gekommen. Sie ſahen nur die leuchtende Schön-
heit des reizenden Geſchöpfs und erkannten nicht
die Urſache dieſer Schönheit. Es gibt eben eine
Art von Zauber im Blick und Weſen, den einzig
und allein die Liebe hervorruft und eben dieſer

Zauber war es, der jetzt die Erſcheinung Elſe's

umgab. Sie war ernſter geworden, ihr helles Lachen
tönte ſeltener, ſie erſchien zärtlicher gegen Eltern
und Schweſter, ſie ſuchte nicht mehr wie ſonſt die
Einſamkeit. Die Capelle ſtand verlaſſen, die Blu-

men in der Vaſe des Prinzen Louis Ferdinand ver-

trockneten. Und Er, dem all' dies Glühen und
Leuchten galt? Nun, auch er träumte den Traum
eines jungen Herzens, das zum erſten Mal ſich
unter der Hand der gewaltigſten aller Mächte beugt:
er liebte, und es gab eben keine Hinderniſſe für
dieſe ſeine Leidenſchaft. Elſe hatte vom erſten Blick
ſeine Sinne wie ſeine Seele gefangen genommen,
ſie erſchien ihm würdig eine Krone zu tragen,
ſchöner als alle Frauen der Erde. In ſeinem klei-
nen Schloß daheim dieſer beſtrickenden Geſtalt zu
Füßen ſitzen zu dürfen, unter dem verhüllten Glanz
dieſer Märchenaugen Tag für Tag zu leben, er-
ſchien ihm als das höchſte Glück der Erde! Und
dies Glück wollte und mußte er erringen! Wer
konnte es ihm entreißen!? Liebte ſein Vater ihn
nicht zärtlich und hatte doch nur ſein älterer Bru-
der für eine ſogenannte „ſtandesgemäße“ Verbin-
dung zu ſorgen 1 Waren nicht draußen in der Welt

Sonntag, den 3. Mai

wieder:

jetzt überall die wunderbarſten Dinge geſchehen, wer
ſollte ihm ſolch ſtille Seligkeit mißgönnen? Gab
es denn höhere Rückſichten als das Glück zweier
Herzen? Einen klaren Gedanken, einen beſtimmten
Plan für die Zukunft hatte er noch nicht, die holde
Gegenwart nahm ihn ſo ganz hin, aber wenn er
an die Zukunft dachte, ſo geſchah dies ohne Furcht,
er hegte die feſte Ueberzeugung, daß ſie ſich roſig
geſtalten werde. Sie mußte, denn er fühlte in
ſeinem erſten Liebesfeuer die Kraft in ſich, Elſe
einer ganzen Welt abzutrotzen.
An einem ſchönen Novembertage geſchah es, daß
er die Geliebte den Weg nach dem Fluſſe hinab-
gehen ſah, dem Vater entgegen, den ſie von M.
zurückerwartete. Sie hatte ein kleines rothes Tuch

um den Kopf geſchlagen und ging langſam durch

die Wieſen hin, hart am Rande des Fluſſes, in
träumeriſches Sinnen verloren. Und leiſe ſang ſie

„Es gehen zwei tiefe Waſſer
Wohl zwiſchen mir und Dir.“ ö
Der Prinz hatte ſie geſehen — wie ſelten war
ſie allein — und ſein geſtrenger Wächter ſpeiſte
heute wieder in M. Mit einem Satz ſprang der
Liebende die Treppe hinab, kletterte den ſteilen Weg
hinunter, watete durch den Bach und trat dem jun-
gen Mädchen plötzlich athemlos und erregt entge-
gen. Sie ſchrak zuſammen. Menſchenleer war der
Weg, Niemand konnte ſie ſehen, ein dichtes Gebüſch
verbarg ſie vor allen Blicken. Bläſſe und Gluth
jagten ſich auf ihren Wangen. „Elſe — einen
Kuß — den erſten — den einzigen,“ flüſterte er
bebend. Sie antwortete nicht, ſie machte nur eine
ſtolze, abwehrende Bewegung mit der kleinen Hand.
„Martern Sie mich nicht, ich ertrag's nicht länger,
Ihrer Liebe gewiß zu ſein und doch noch nicht das
leiſeſte Zeichen Ihrer Gunſt erfahren zu haben.
Elſe, wenn Sie ſich weigern, ſpringe ich- in's
Waſſer!“ ö ö —
Da zuckte der alte Uebermuth wie ein Lächeln
über ihr Geſicht und ſie ſagte: „So thun Sie's,
Sie würden dann doch ein Recht haben, für eine
Heldenthat irgend einen Lohn zu fordern, jetzt aber
ſind Sie ein Wegelagerer, der harmloſe Wanderer
überfällt und ihnen mit Gewalt Hab' und Gut
raubt.“ Und ſie zuckte mit einer unnachahmlichen
Miene ſchelmiſcher Coquetterie die Schultern und
zog ihr Tuch feſter um ſich. ö
 
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