Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI chapter:
No. 66 - No. 76 (3. Juni - 28. Juni)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0295

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 7.

Mittwoch, den 17. Juni

1868.

In einem Spielſaale in Callao.
(Von einem deutſchen Seemanne.)

Cortſetzung.)

Nach einer Bootfahrt von etwa einer Stunde
erreichten wir den Dampfer der „Peruvian Steam
Navigation Company“, wo ich mich mit meinen
Leuten bald häuslich einrichtete. In Callao lag
ein ſogenanntes Guano-Schiff, welches von den
Cinchas⸗Inſeln weggefahren war, mit voller Ladung,
deſſen Officiere jedoch auf der Reiſe bis Callad ge-
ſtorben waren. Die Mannſchaft hatte bei der An-
kunft des Schiffes in Callao die vorſchriftsmäßige
Meldung beim Conſul gemacht und dann das Schiff,
welches einſtweilen von der peruaniſchen Regierung
bewacht wurde, verlaſſen. Der Conſul hatte die
protokollariſche Aufnahme über den ganzen Sach-
verhalt an den Eigenthümer des Schiffes nach
Nantes gelangen laſſen, der, wie es in ſolchen Fällen
üblich iſt, eine neue Bemannung nach dem Anker-
platze des Schiffes zu ſenden hat. Da ich die Reiſe
mit Guanoſchiffen bereits einige Male gemacht hatte,
und mit dem betreffenden Schiffsrheder gut bekannt
war, ſo koſtete es mich wenig Mühe, ihn dazu zu
bewegen, mir die Expedition anzuvertrauen. Die
Bemannung des verlaſſenen Schiffes ſollte aus 28
Köpfen beſtehen, um jedoch die bedeutenden Reiſe-
koſten zu erſparen, welche von Saint⸗Nazaire bis
Callao gegen 700 Fres. per Kopf betrugen, nahm
ich nur vier tüchtige Leute mit, mich darauf ver-
laſſend, daß ich die fehlenden in Callao würde auf-
treiben koͤnnen, was nicht ſchwierig war, wie ich
von früher wußte. ö
Nachdem wir noch etwa 48 Stunden in der
Bucht von Panama gewartet hatten, wurden die
Anker gelichtet und das majeſtätiſche Schiff ſetzte
ſich in Bewegung und erreichte am Abend des drit-
ten Tages ohne weiteren Zwiſchenfall Callao. Da
der Dampfer die Poſt für Valparaiſo an Bord
hatte, ſo ſollte er nach wenigen Stunden Aufent-
halt ſeine Fahrt nach Süden fortſetzen. Ich ſchiffte
mich mit meinen Leuten aus und begab mich in
die Fonda de la California, ein Hotel unweit
vom Landungsplatze. Am folgenden Morgen war
mein erſter Gang zum franzöſiſchen Conſul, den
ich aber in ſeinem Amtslokal in Callao nicht an-

traf, ſondern in ſeiner Privatwohnung in der alten
Jeſuitenſtadt Lima aufſuchen mußte. Der Conſul
war ebenfalls der Meinung, daß ich die noch feh-
lende Mannſchaft in Callao recrutiren könne, zu
welchem Zwecke er mir das Haus eines ſogenann-
ten Schlafbaas bezeichnete, wo ſich viele dienſtloſe
Seeleute zu verſammeln pflegten. Beim Abſchied
warnte er mich aber noch: „Bei dem Menſchen
wird auch zuweilen geſpielt und dann gibt es häufig
blutige Köpfe. Wenn Sie alſo hingehen wollen,
ſo nehmen Sie jedenfalls Ihre Kameraden und
gute Waffen mit.“ ö
Ich kehrte nach Callao zurück und fand meine
Gefährten in der Fonda, wo ich ſie gelaſſen hatte.
Nachdem ich ihnen meine Unterredung mit dem
Conſul mitgetheilt hatte, beſahen ſich die wackeren
Jungen ihre derben breiten Fäuſte und meinten:
Die beſten Waffen werden doch wohl unſere Fäuſte
ſein. Ich überredete ſie, noch ein großes ſpaniſches
Meſſer mitzunehmen, und als der Abend gekommen
war, verfügten wir uns nach dem Hauſe des Schlaf-
baas, eines Amerikaners, Namens Collins. Das
Haus war bald gefunden und ſchon von außen
drang uns ein betäubender Lärm von Muſikinſtru-
menten entgegen, aus denen ich ſehr deutlich den
Ton einer Zither heraushörte. Wir traten in ein
großes, niedriges Gemach, welches von einem halben
Dutzend räucheriger Oellampen ziemlich ſchlecht be-
leuchtet war. Dieſes war das Tanzlokal, wie ſich
in beinahe jeder größeren Matroſenherberge eines
befindet, wenn daſſelbe nicht, wie in Antwerpen
oder Hamburg, in unmittelbarer Nähe des „Zee-
mans Logement“ iſt. Ich hätte übrigens nur ges“

wünſcht, einen Pariſer Sergent de Ville hier zu

ſehen, der täglich bei Mabille oder in einem ähn-
lichen Lokal den Cancan zu überwachen hat. Der
Mann hätte hier ſein blaues Wunder geſehen.
Selbſt auf O'Taheiti, bei dem berüchtigten Upa-
Upa⸗Tanz, herrſcht im Vergleich zu dieſem Cancan
noch eine gewiſſe Modeſtie. In dieſem Lokal fan-
den wir auch den würdigen Mr. Collins, dem ich
meine Abſichten mittheilte, ſowie auch den Betrag
des Monatlohnes, den ich zu bezahlen ermächtigt
wäre.
„Well, Sir“, meinte der Yankee, „ich will
Ihnen ſagen, wie es iſt. Die Vereinigten Staaten
zahlen monatlich für einen tüchtigen Matroſen bis
zu 50 Dollars und Sie bieten nur 20 Dollars.
 
Annotationen