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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

XE 90.

Mittwoch, den 29. Juli

1868.

Eine geheimnißvolle Geſchichte.

Aus dem Franzöſiſchen.“)

Zu Anfang unſeres Jahrhunderts lebte auf
einer der Faroerinſeln ein lutheriſcher Geiſtlicher,
dem wir die Ueberlieferung einer der außerordent-
lichſten Begebenheiten verdanken. Der würdige
Mynheer van Belt ſtellte der Vorſehung anheim,
die furchtbaren Ereigniſſe aufzuklären, welchen er
zum Opfer fiel, und welche tiefes Dunkel umhüllt
bis auf den heutigen Tag. ö ö
Während der Nacht vom 10. auf den 11. Mai
des Jahres 18... ward Mynheer van Belt ploͤtz-
lich aus dem Schlaf geweckt durch das Anſchlagen
einer über ſeinem Bett angebrachten Glocke, durch
welche ihm ſeine Pfarrkinder kund thaten, wenn ein
Sterbender ſeines Beiſtandes bedurfte. Er fuhr

empor, öffnere das Fenſter und ſah mehrere in weite

Mäntel gehüllte Männer unten warten.
„Wohin ſoll es gehen?“ fragte der Greis.
„Zum Dienſte Gottes! Beeilt Euch, mein
Vater!“ antwortete Einer von ihnen.
Raſch kleidete ſich der Prieſter an und ſtieg
hinab. Kaum aber hatte er die Schwelle ſeines
Hauſes überſchritten, als ſich kräftige Fäuſte ſeiner
bemächtigten, ihm die Augen verbanden, einen Knebel
in den Mund ſteckten und ihn ſo mit hinausführ-
ten in die finſtere Nacht.
Die erſten Frühlingswehen hatten einen entſetz-
lichen Orkan auf der Inſel entfeſſelt. Die Eis-
blöcke, im Hafen wuchtig aufeinander geſchleudert,
zerſchellten mit lautem Krachen. Die Wellen ſchlu-
gen toſend gegen die ſteile Felswand und mitten
unter dem Donner des Meeres pfiff der Wind ſtoß-
weiſe mit durchdringendem Ziſchen und einer fürch-
terlichen Gewalt. Der Greis, von Schreck ergriffen,
ſuchte ſich den Armen ſeiner Enkführer zu entwin-
den; er wollte um Hilfe rufen und ſuchte ſeine
Bande zu zerreißen; allein er erreichte nichts, als
daß ſich dieſelben nur feſter zuzogen und die Schritte
der Unbekannten ſich beſchleunigten. ö
Auf der Höͤhe der Felswand, einige Kilometer

) Borſtehende Erzählung iſt einem Bändchen „Contes

par A. Schneegans“, Paris, J. Hetzel, entnommen, welches
eine Reibe höchſt anziehender, in der Manier und mit der
farbenreichen Phantaſie eines E. Th. A. Hoffmann geſchrie-
bener Erzählungen des geiſtreichen Verfaſſers bringt.

ob er das Opfer einer

vom Dorfe entfernt, ſtand eine alte, verlaſſene go-
thiſche Kirche, welche, zur Zeit unſerer Geſchichte
faſt ſchon Ruine, von den wenigen Fremden, die
auf der Inſel landeten, als Sehenswürdigkeit be-
ſucht wurde. Die riſſigen Gewölbe drohten einzu-
ſtürzen, Schnee und Regen fanden ihren Weg durch
die längſt ausgebrochenen Fenſter, der Altar war
geplündert und der Wind pfiff und heulte durch
den wiederhallenden Chor. Dorthin ward der Prie-
ſter von den Unbekannten geſchleppt. Vor der halb
geöffneten Thür ſtanden mehrere Männer, in der
finſtern Kirche brannten einige ſpärliche Lichter.
Der Greis merkte, daß man anhielt und er hörte
eine Stimme zu ihm ſprechen: ö
„Es ſoll Euch nichts Böſes geſchehen, mein
Vater, ſobald Ihr getreulich ausführt „ was unſer
Meiſter Euch befiehlt. Ihre begebt Euch in die

Sakriſtei, legt die Feſtgewänder an, welche Ihr

finoen werdekz dann tretet Ihr vor den Altar und
ſegnet im Namen Eures Gottes die Verlobten ein,
welche vor Euch erſcheinen werden. Ihr braucht
Euch um nichts weiter zu kümmern, und was auch
geſchehen möge, erſchrecket nicht. So geht denn,
mein Vater.“
Bei dieſen Worten fiel die Binde von ſeinen
Augen und van Belt ward in die Kirche geſchoben,
deren Thüren ſich hinter ihm ſchloſſen.
Halbdunkel herrſchte in dem langen Schiff; de
Altar war beleuchtet wie an hohen Feſttagen; ein
goldenes Crucifix und koſtbare Gefäße glitzerten im
Licht der Wachskerzen; die Altarſtufen waren mit
prächtigen Teppichen belegt. Zwei Seitenkapellen
rechts und links vom Chor waren ebenfalls er-
leuchtet und aus einer derſelben hörte van Belt
deutlich das Schluchzen eines Weibes, dumpfes
Stöhnen und Worte der Verzweiflung; allein er
konnte nichts ſehen, weil ſchwere Draperien den
Eingang zum Heiligthum verbargen. Er ſuchte
Muth zu faſſen und, ſeine Seele befehlend, ſchritt
er der Sakriſtei zu, zweifelnd, ob er wache, oder
ſchrecklichen Sinnestäu-
ſchung ſei. ö
Wie man ihm geſagt, fand er dort die Ceremo-
nienkleider, allein er erſtaunte über die Pracht, die
Form und den Reichthum der Stoffe; man glaubte

ein biſchöfliches Ornat aus dem Mittelalter zu ſehen,

ſo ſchwer und reich waren die Vergoldungen, ſo
alt und fremdartig der Schnitt. Sobald der Prieſter
 
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