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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 55.

Mittwoch, den 6. Mai

1868.

Das Schloß an der Weſer.
Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.)

Und wäͤhrend dieſer Zeit ſaß, in weiter Ferne,
an einem offenen Fenſter in Sorrent, wo die Luft
wie Balſam hereindrang und Schalen voll Roſen
im Zimmer umherſtanden, Angeſichts des ewigen
Meeres, auf deſſen leiſen bebenden Wellen das
Mondlicht lag, Werner und ſchrieb die Schlußworte
eines Briefes nieder. ö
„Und jetzt weißt Du's, Gertrud, daß ich eine
Todſünde begangen hätte, wenn ich geſchwiegen,
daß ich zu Dir die Liebe eines Bruders bis an
mein Lebensende im Herzen tragen werde, daß aber

der Gedanke an Elſe mir Lebensluft geworden iſt.

Mit all' meiner Kraft habe ich mich gemüht, ihn
zu verſcheuchen, Dir meine Seele voll und ganz
zuzuwenden, aber wie mit Ketten reißt es mich zu
ihr, und es iſt mir, als müſſe es mein Tod ſein,
nicht mehr auf ſie hoffen zu dürfen. Es iſt viel-
leicht ein böſer Zauber, der mich gefangen hält,
wie der Zauber jener ſchöͤnen Hexe einſt den armen
Chorherrn, ſie iſt vielleicht mein Dämon, dies wun-
derſame Geſchöpf, aber ein Mittel, einen Spruch,
jenen Zauber zu löſen, habe ich noch nicht gefun-
den, denn ſelbſt ein Engel, Du meine Gertrud, ver-
mochte nicht, mich aus jenen Banden zu befreien.
Elſe ſteht vor mir, wie das Land, in dem ich jetzt
lebe, fremd, berauſchend, beglückend, ſie ſelbſt gehört
in dies Wunderland, und ich würde keine Arbeit
der Welt ſcheuen, ihr hier einen Thron zu bauen.
Aber würde ſie mich je lieben?! Dieſe Frage fällt
wie ein eiskalter Tropfen immer und immer auf
mein glühendes Herz, und diefe Marter ertrage ich
nicht länger. O, Gertrud, ich muß heimkehren zum
Chriſtfeſt, ich muß mit Dir, mit Elſe, mit Euch
Allen reden. Ein Chaos von Plänen arbeitet in
meinem fiebernden Hirn. Ich kann nicht Prediger
werden, wenn Elſe — ich wage nicht weiter zu
denken. Bewahre dieſen Brief in Deinem Herzen

bis ich bei Dir bin, rede mit Niemandem darüber,

auch nicht mit meiner Mutter. Wir beide müſſen
erſt Aug' in Auge uns Alles gebeichtet und Alles
vergeben haben. Bis dahin nur noch das eine

Wort, Getrud, theure Schweſter, behüte ſie
mir!“ ö
Es währte wohl eine halbe Stunde, ehe Elſe's
kalte thränenfeuchte Wange ſich wieder an das Ge-
ſicht der Schweſter ſchmiegte. „Ich danke Dir“,
ſagte ſie weich, „es iſt nun überſtanden. Ich will
nun ſtill auf ihn warten!“
„Auf ihn, Elſe? O, ſüße Schweſter, nur in
Märchen freien die Prinzen arme Schäferinnen!“
„Aber ich bin ja eine Prinzeſſin!“ lächelte ſie
melancholiſch. „Haſt Du mich doch ſelbſt ſo ge-
nannt. Was ſorgſt Du Dich alſo? Treue Liebe
hat ſchon Größeres vollbracht, als ſolche armſelige
Hinderniſſe überwunden. Unter die Füße damit!“
Und wie ſie jetzt den Kopf zurückwarf und,
durch das Zimmer ſchreitend, die ſchweren braunen
Flechten löſte, daß das Haar wie ein Mantel um
ſie her fiel, da erſchien ſie ſelbſt der trauernden
Schweſter wie ein Koͤnigskind. Wie ſchön ſie war!“
An den langen Wimpern noch den Thau der Thrä-
nen und in den Augen ſtrahlende Zuverſicht, Lie-
besglück und Hoffnung. Das Geſicht war bleich,
nur die fein geſchnittenen Lippen brannten im
tiefen Purpur. Der Kuß der Liebe hatte die
Knospe erſchloſſen. Die Mädchenroſe ſtand in voller
Blüthe.
Diesmal ſchlummerte Gertrud zuerſt ein. Sie
legte ihr ſchweres Herz mit all ſeinen Sorgen in
Gottes Hand. „Bete mit mir Elſe,“ bat ſie noch.
Und Elſe kniete neben ihr nieder und die Schweſter-
hände verſchlangen ſich und die Lippen ſprachen das
rührende Kindergebet: ö

„Lieber Gott, o mach' mich fromm,
Daß ich zu Dir in den Himmel komm.“

Aber ſie fuhr oft auf in dieſer Nacht aus qual-
vollen Träumen, die treue Schweſter, und dann
ſah ſie beim matten Schein der kleinen Nachtlampe
Elſe's Geſtalt noch immer aufgerichtet auf dem
Rande des Bettes ſitzen. Sie trug eine blitzende,
kleine Krone über der blaſſen Stirn und die Falten
eines Purpurmantels fielen an ihr nieder.

*
Am nächſten Morgen aber durchlief eine Schrek-
kensnachricht das alte Schloß an der Weſer: Prinz
Paul lag an den ſchwarzen Blattern. darnieder.
Die Furcht vor dieſer ſchrecklichen Krankheit
war damals eine allgemeine und entſetzliche. Eine
 
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