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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0183

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Heidelberger Kamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

44.

Freitag, den 10. April

1868.

Die Nachbarn.

(Schluß.)

„Eine ſchwere Nacht und ein ſchwer Tag waren
für Heinrich vorüber. Quentins Leiche war in
ſein Zimmer gebettet worden, während Hadley nach
Anlegung des nothdürftigſten Verbandes unter Be-
gleitung eines Schwarzen nach der Wohnung des
nächſten ſeiner Collegen geritten war, und dann
hatte der nunmehrige Beſitzer der Plantage eine
eilig geſchriebene Nachricht des Geſchehenen an
den alten Baumbach abgeſandt, vielleicht daß es
noch, möglich, die beiden Flüchtlinge zurückzurufen.
Als Antwort war der alte Farmer ſelbſt gekommen,
hatte, ehe er ein anderes Wort geſprochen, geraume
Zeit bei dem todten Nachbar geſtanden und dieſem
endlich mit einem leiſen: „Du haſt für Deinen
Irrthum ſelbſt am ſchwerſten gebüßt!“ zum Ab-
ſchied die Hand gedrückt; dann aber war im Par-
lor zwiſchen ihm und Heinrich ein langes deutſches
Geſpraäch, das ſie am beſten vor jedem Belauſcht-
werden ſchützte, erfolgt. Baumbach hatte erzählt,
daß er kurz vor dem Eintreffen von Heinrichs
Botſchaft deutlich die Pfeife des Dampfboots, auf
welches Charles gerechnet, vom Fluſſe herauf habe
klingen höͤren, daß das Paar alſo längſt den Fluß
hinab ſchwimme und daß es ſeiner Meinung nach
auch beſſer ſei, Beide hielten ſich fern von der
Aufregung in der Nachbarſchaft, welche jetzt die
Erzählungen des Doktors jedenfalls erregen würden.
Charles ſei übrigens mit dem beſtimmten Auftrage
gegangen, die Ueberſiedelung der ganzen Familie
nach einem der freien Staaten vorzubereiten; es
ſeien in der letzten Zeit einige günſtige Gebote für
ihre Farm, die beſſer kultivirt ſei als jede andere,
gethan worden, von denen jedenfalls eins ange-
nommen werden würde. Als aber Heinrich, den
es plötzlich ganz unheimlich überkommen, wenn er
ſich allein auf dem ihm jetzt zugefallenen Grund-
beſitze unter Amerikanern und Schwarzen dachte,
gefragt: ob Charles nicht jemals geäußert, daß er

ſelbſt nicht hier zu bleiben gedenke, daß er ſich vor-

genommen gehabt, ſelbſt unter den ungünſtigſten
Umſtänden ſeine bisherige Lage zu verlaſſen, —

da hatte der Alte einen tiefen, nachdenklichen Blick

in ſeine Augen geſenkt und geſagt: davon zu reden
werde die Zeit erſt kommen, ſobald er über die

traurigen Aufregungen der nächſten Tage hinaus

ſei. Wolle er aber doch einen Leitfaden für ſeine
Gedanken, die wohl nicht immer bei dem Todten
ſein würden, haben, beſonders da er jetzt das In-
tereſſe ſeiner entfernten Baſe mit vertreten müſſe,
ſo dürfe er ihm ſagen, daß es leicht ſein werde,
einen Verwalter auf die Plantage zu ſtellen, bis
ſich ein annehmbarer Kaufpreis für das lebendige
und todte Eigenthum finde. Es werde zwar nach

europäiſchen Begriffen ein Akt der Humanität ſein,

die geſammten Schwarzen freizugeben; hier aber
heiße das: dem armen Volke Brod und Heimath

zu entziehen und ihm dagegen ein Geſchenk zu

machen, mit dem es nichts anzufangen wiſſe.
Bei ſchon dämmerndem Morgen hatte Heinrich

endlich ſein Bett geſucht, aber nach wenigen Stun-

den der Ruhe war er durch die bereits eintreffen-
den Beſuche aus der Nachbarſchaft wieder aufge-
trieben worden. Und es war eine peinliche Pflicht
für ihn geweſen, allen den mehr Neugierigen als
Theilnehmenden Rede zu ſtehen, den Erkundigungen
nach Loo, über deren Abweſenheit ſich bereits die
verſchiedenſten Gerüchte verbreitet zu haben ſchie-
nen, mit einem ſtereotypen: „Sie iſt verreist und
weiß noch nichts von dem geſchehenen Unglücke!“
zu begegnen und den Leidtragenden vorzuſtellen,

wo die letzten Tage ihm nur eine vollige Abnei-

gung gegen den Verſtorbenen eingeflößt hatten.
Hierzu kamen die Vorbereitungen zum Begräbniß,
welches nach amerikaniſcher Sitte um ſo mehr ſchon
am Spätnachmittage ſtattfinden ſollte, als die un-
trüglichſten Zeichen des Todes ſich bereits an der
Leiche zu zeigen begannen. — Endlich war auch
die letzte Pflicht vollbracht, Quentin war neben

dem Grabe ſeiner Frau eingeſenkt, die Gäſte hatten

ſich entfernt, und nur der Doktor Hadley, welcher
ſich erſt gegen Abend, ſeine mit Zwirn und Heft-
pflaſter wieder vereinigte Backe durch ein Tuch ver-
deckt, eingeſtellt hatte, war ihm nach dem Hauſe
gefolgt; Heinrich aber fühlte, daß es ihm jetzt
ebenſo unmöglich ſei, den Abend in dieſen oͤden
Räumen zu verbringen, als ſeine Empfindungen
gegen den Mann, welcher ihm Quentins böſer
Geiſt geweſen zu ſein ſchien, zu verbergen. Die
erſten Worte des Doktors indeſſen belehrten ihn
 
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