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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

40.

Mittwoch, den 1. April

1868.

Die Nachbarn.

CFortſetzung.)
Heinrich ſaß einige Sekunden lang ſchweigend
da; ein kurzer Kampf ſeiner Ehrlichkeit gegen Quen-
tin mit der Theilnahme für das Mädchen und ſei-

ner übrigen Gefühlswelt hatte ſich in ihm entſpon-

nen. Er empfand nur zu gut, daß es wirklich
allein der ausgeprägte Egoismus des Alten war,
welcher das unglückliche Zerwürfniß herbeigeführt,
und dem auch ſeine liebſten Wünſche zum Opfer
fallen ſollten, und faſt unwillkürlich ſchloß er mit
ſich ſelbſt ein Uebereinkommen: er wollte Quentins
Gefühle in jeder möglichen Art ſchonen, aber ſich
nicht zum thatſächlichen Sklaven der unvernünfti-
gen Laune desſelben machen; er wollte ihm ſeine
Theilnahme für die Baumbachs ſammt ſeiner Liebe
möglichſt lange verbergen, aber im Entſcheidungs-
falle lieber ſeine Eriſtenz opfern als ſeine wahren
Empfindungen verläugnen — war er doch kein
bindendes Verſprechen irgend einer Art gegen ſei-
nen jetzigen Adoptivvater eingegangen. „Ich werde
gehen, Loo,“ ſagte er, ſich langſam erhebend; „iſt
es noch etwas Beſonderes, was ich auszurichten
hätte?“ ö
„Nichts, Henry, aber ſprechen Sie ſich mit
Charles aus; er iſt mehr Ihr Freund, als Sie es
vielleicht ſelbſt wiſſen, und vergeſſen Sie nicht, daß
übermorgen für mich der Tag der letzten Entſchei-
dung iſt, den ich jedenfalls erwarten werde, für
den ich aber auch völlig vorbereitet ſein muß,“ er-
wiederte ſie, ſich gleichfalls erhebend. „Ihre Worte
werden morgen früh für mich die von Charles ſein!“
Und wie eine Erſcheinung ſchlüpfte ſie durch das
Halbdunkel nach der Thür, dieſe geräuſchlos öffnend
und dann dahinter verſchwindend.
Fünf Minuten ſpäter hatte Heinrich durch die
unverſchloſſene Hinterthür das Freie erreicht, hielt
ſich vorſichtig im Schatten der hohen Zierbüſche,
welche den abwärts leitenden Pfad begleiteten, und
hatte bald den Bach, welcher ihm zum Wegweiſer
bis nach dem Walde diente, erreicht. Die Luft lag
trotz des ſpaͤten Septembers warm und weich über

der Landſchaft ringsum wisperte und ſäuſelte es,

als ſei jeder Grashalm lebendig geworden, leuch-

tende Inſekten flogen auf und verſchwanden, aus
der Ferne klang der ſägende Laut des Locuſts durch
die Nachtſtille, während das Mondlicht, gänzlich
ſeines kalten Charakters beraubt, wunderliche Schat-
tengeſtalten zwiſchen den Büſchen und Einzäunun-
gen hervorrief. Der Wanderer fühlte bald voll
den ungewohnten Reiz des nächtlichen ſüͤdlichen
Naturlebens auf ſich wirken; je weiter er ſchritt,
je mächtiger hoben ſich die halb unterdrückten Re-
gungen ſeines Herzens in ihm; er fühlte in ganzer
Kraft, daß ſie, deren Wohnung er jetzt zuſtrebte,
durch nichts in der Welt für ihn aufgewogen wer-
den konnte; es kam ihm wie ein Verbrechen, um
das er ſich hätte verachten moͤgen, vor, daß er es
über ſich vermocht, länger als eine Woche ſie nicht

wie derzuſehen; er begann zu grübeln, ob er ſich

nicht im ſchlimmſten Falle eine Exiſtenz eröffnen
könne, die ihn von Quentin unabhängig mache,
und erſt als er in das Dunkel des Waldes ein-
trat, das ſeine volle Aufmerkſamkeit zur Erkennung
des Pfades verlangte, ließ er ſeine wachen Träu-
mereien fahren. ö
In möglichſt raſchem Schritte die Waldſtrecke
durchſchneidend, ſah er nach kurzer Zeit Baumbachs
Haus im tiefen Schatten der es umgebenden Bäume
vor ſich liegen; aber erſt als er das Gatterthor
der Einzäunung öffnete, entſann er ſich, daß Loo
ihm nicht mitgetheilt, auf welche Weiſe er dem jun-
gen Farmer ſeine Anweſenheit kund thun ſollte.
Kein Lichtſchein ließ ſich in den Fenſtern, hinter
denen augenſcheinlich Alles ſchlief, entdecken, und
eine kurze Weile, nachdem er die Raſenfläche vor
dem Hauſe betreten, ſtand er unſchlüſſig, ob er
ſich dem Hauſe zuwenden oder durch irgend ein
auffälliges Geräuſch die Aufmerkſamkeit des jun-
gen Baumbach, falls dieſer überhaupt wachte, er-
regen ſolle.
Da erhob ſich in der Mitte des Platzes der
mächtige ſchwarze Hund, welcher bei Heinrichs letz-
ter Anweſenheit wie ein Ehrenwächter immer an
Mary's Seite geweſen war, aus dem Graſe, ſchien
den Eingetretenen einen Augenblick genau zu be-
trachten und ging dann mit hochgehaltenem Kopfe
langſam auf ihn zu. Er umkreiste ihn ſchnüffelnd,
begann dann aber mit ſeiner prachtvollen Fahne
leiſe zu wedeln, und wandte ſich hierauf nach einem
der Fliedergebüſche, an deſſen Eingange ſtehen blei-
bend und mit einem erneuten Wedeln nach dem
 
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