Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M. 64.
Freitag, den 29. Mai
1868.
Ein Freiſchütz⸗Abenteuer im Auslande.
Von Ernſt Pasqué.
(Schluß.)
Der Maſchiniſt gab ſich nicht ſo leicht gefangen,
ſein Kunſtwerk noch lange nicht verloren und im-
mer wieder erneuerte er durch ſtärkeres Ziehen den
Verſuch, den allzu ſteifen rechten Arm, gleich dem
linken, in die Höhe zu bringen. Und bei jedem
neuen Ruck ſenkte und hob ſich der willige Arm
nur allzu willig mit, wodurch die gewaltige dämo-
niſche Figur einen urkomiſchen Anſtrich erhielt, zu
einem echten, rieſigen Nürnberger Hampel⸗ und
Zappelmann wurde.
Das ging über alle Möglichkeiten und Director
R. machte ein Geſicht, als ob er mit Goethes Zau-
berlehrling hätte ausrufen wollen: „— die Noth
iſt groß! Die ich rief, die Geiſter, werd' ich nun
nicht los!“
Und die Noth war in der That groß, wurde
immer größer, denn der Geiſterkoloß war mit
Feuerwerk vollgeſpickt. In jeder Hand hielt er eine
Rakete, zwiſchen den Zähnen eine, als ob's eine
echte Havannah geweſen wäre, ſeine Horner waren
Raketen und die Zündfädchen, welche die feuer-
ſpeienden Hülſen entzünden ſollten, waren bald ab-
gebrannt. Im nächſten Augenblicke mußte es los-
gehen und wohin das Feuer der eingeklemmten,
böswilligen Hand hinſprühen würde, war nicht vor-
auszuſehen, wohl aber irgend ein kleines, vielleicht
ſogar ein recht großes Unglück.
Ein letzter,‚ verzweifelter Ruck des Maſchinen-
künſtlers und der linke Arm des Rieſen hob ſich
zum letzten Male, während ſein bockbeiniger rechter
College unbeweglich und bockſteif blieb wie vorher.
Der Meiſter gab ſeinen Schlußeffect verloren und
der Director war in Verzweiflung, daß er in ſeiner
Verblendung zum Schluß der Wolfsſchlucht das
größte „Viech“ das nur im Theater zu finden, auf
die Scene citirt. Die Angſt übermannte ihn, denn
jede Secunde konnte etwas Fürchterliches geſchehen.
Er fühlte die Wichtigkeit des Augenblickes, wußte
was auf dem Spiele ſtand.
nicht länger. In ſeinem durchaus nicht modernen
Ueberrock ſtürzte der kleine Mann mit einer wahren
Todesverachtung ſich mitten in die Wolfsſchlucht,
ſcheinung zu wirken.
Da hielt es den Wackern
um den rebelliſchen Arm loszuneſteln — und alſo,
ohne es eigentlich zu wollen, als letzte Zauberer-
Doch er hatte den Koloß
kaum erreicht, als die Feuerkörper ſich entzündeten
und ihren ſprühenden Funkenregen nach allen Rich-
tungen hin ſandten.
Welch ein merkwürdiges Tableau ſtellte ſich nun
den überraſchten jubelnden Zuſchauern dar?!
Der Kopf des Rieſen ſpie Feuer, ſeiner linken
Hand entquollen farbige Funkengarben und gerade-
aus, in das Orcheſter hinein. Doch die Rakete
der Rechten hatte ſich andere, hochſt eigenthümliche
Bahnen geſucht. An dem freien dreieckigen Raum,
durch das Podium der Bühne und die beiden aus-
einandergeſpreizten Rieſenbeine des hölliſchen Un-
geheuers gebildet, juſt da, wo das gewaltige Dreieck
in einen ſpitzen Winkel zulief, drang das Sprüh-
feuer hervor, und ſcheinbar mitten in dieſem Funken-
meer erblickte das vor toller Luſt ſchier brüllende
Publikum den Herrn Director, der ſtarr vor Schrecken
wie angenagelt daſtand und — auch ganz gemüth-
lich ſtehen blieb!
Eingerahmt von den Beinen des Dämons, im
Brillantfeuer, ſah der kleine runde Mann mit ſei-
nen komiſch verzerrten Zügen wirklich aus wie ein
Kobold, als ob er zur Wolfsſchlucht gehöre, als
ob ſeine Erſcheinung das große Werk zu krönen
habe, — genau nach ſeinem eigenen directorialen
Befehl!!
Doch das war noch nicht Alles; bis auf die
Hefen mußte der Kelch geleert werden.
Die Sprühteufel ſandten ihre Funken mit allzu
großer Vehemenz in das Orcheſter, die Rakete des
rebelliſchen Armes hatte es beſonders auf den Ka-
pellmeiſter abgeſehen, den er förmlich mit Feuer-
garben beſchoß. Dieſer ließ Pult und Partitur,
Wolfsſchlucht, Sänger und Orcheſter im Stich und
floh. Die gleich hartbedrohten Geiger und Bläſer
nahmen ebenfalls Reißaus und der zweite Akt, die
Wolfsſchlucht, ſchloß mit einer Muſik, die durchaus
nicht von Weber war und dabei vom Publikum
executirt wurde, bei welcher aber glücklicher Weiſe
die kleinen Pfeifen und Trommeln nicht vertreten
waren, obgleich ſie wohl ein Recht gehabt hätten,
ſich hören zu laſſen.
Der Vorhang fiel.
Alles lachte. ö
Im Hauſe jubelte man in einem fort, auf der
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M. 64.
Freitag, den 29. Mai
1868.
Ein Freiſchütz⸗Abenteuer im Auslande.
Von Ernſt Pasqué.
(Schluß.)
Der Maſchiniſt gab ſich nicht ſo leicht gefangen,
ſein Kunſtwerk noch lange nicht verloren und im-
mer wieder erneuerte er durch ſtärkeres Ziehen den
Verſuch, den allzu ſteifen rechten Arm, gleich dem
linken, in die Höhe zu bringen. Und bei jedem
neuen Ruck ſenkte und hob ſich der willige Arm
nur allzu willig mit, wodurch die gewaltige dämo-
niſche Figur einen urkomiſchen Anſtrich erhielt, zu
einem echten, rieſigen Nürnberger Hampel⸗ und
Zappelmann wurde.
Das ging über alle Möglichkeiten und Director
R. machte ein Geſicht, als ob er mit Goethes Zau-
berlehrling hätte ausrufen wollen: „— die Noth
iſt groß! Die ich rief, die Geiſter, werd' ich nun
nicht los!“
Und die Noth war in der That groß, wurde
immer größer, denn der Geiſterkoloß war mit
Feuerwerk vollgeſpickt. In jeder Hand hielt er eine
Rakete, zwiſchen den Zähnen eine, als ob's eine
echte Havannah geweſen wäre, ſeine Horner waren
Raketen und die Zündfädchen, welche die feuer-
ſpeienden Hülſen entzünden ſollten, waren bald ab-
gebrannt. Im nächſten Augenblicke mußte es los-
gehen und wohin das Feuer der eingeklemmten,
böswilligen Hand hinſprühen würde, war nicht vor-
auszuſehen, wohl aber irgend ein kleines, vielleicht
ſogar ein recht großes Unglück.
Ein letzter,‚ verzweifelter Ruck des Maſchinen-
künſtlers und der linke Arm des Rieſen hob ſich
zum letzten Male, während ſein bockbeiniger rechter
College unbeweglich und bockſteif blieb wie vorher.
Der Meiſter gab ſeinen Schlußeffect verloren und
der Director war in Verzweiflung, daß er in ſeiner
Verblendung zum Schluß der Wolfsſchlucht das
größte „Viech“ das nur im Theater zu finden, auf
die Scene citirt. Die Angſt übermannte ihn, denn
jede Secunde konnte etwas Fürchterliches geſchehen.
Er fühlte die Wichtigkeit des Augenblickes, wußte
was auf dem Spiele ſtand.
nicht länger. In ſeinem durchaus nicht modernen
Ueberrock ſtürzte der kleine Mann mit einer wahren
Todesverachtung ſich mitten in die Wolfsſchlucht,
ſcheinung zu wirken.
Da hielt es den Wackern
um den rebelliſchen Arm loszuneſteln — und alſo,
ohne es eigentlich zu wollen, als letzte Zauberer-
Doch er hatte den Koloß
kaum erreicht, als die Feuerkörper ſich entzündeten
und ihren ſprühenden Funkenregen nach allen Rich-
tungen hin ſandten.
Welch ein merkwürdiges Tableau ſtellte ſich nun
den überraſchten jubelnden Zuſchauern dar?!
Der Kopf des Rieſen ſpie Feuer, ſeiner linken
Hand entquollen farbige Funkengarben und gerade-
aus, in das Orcheſter hinein. Doch die Rakete
der Rechten hatte ſich andere, hochſt eigenthümliche
Bahnen geſucht. An dem freien dreieckigen Raum,
durch das Podium der Bühne und die beiden aus-
einandergeſpreizten Rieſenbeine des hölliſchen Un-
geheuers gebildet, juſt da, wo das gewaltige Dreieck
in einen ſpitzen Winkel zulief, drang das Sprüh-
feuer hervor, und ſcheinbar mitten in dieſem Funken-
meer erblickte das vor toller Luſt ſchier brüllende
Publikum den Herrn Director, der ſtarr vor Schrecken
wie angenagelt daſtand und — auch ganz gemüth-
lich ſtehen blieb!
Eingerahmt von den Beinen des Dämons, im
Brillantfeuer, ſah der kleine runde Mann mit ſei-
nen komiſch verzerrten Zügen wirklich aus wie ein
Kobold, als ob er zur Wolfsſchlucht gehöre, als
ob ſeine Erſcheinung das große Werk zu krönen
habe, — genau nach ſeinem eigenen directorialen
Befehl!!
Doch das war noch nicht Alles; bis auf die
Hefen mußte der Kelch geleert werden.
Die Sprühteufel ſandten ihre Funken mit allzu
großer Vehemenz in das Orcheſter, die Rakete des
rebelliſchen Armes hatte es beſonders auf den Ka-
pellmeiſter abgeſehen, den er förmlich mit Feuer-
garben beſchoß. Dieſer ließ Pult und Partitur,
Wolfsſchlucht, Sänger und Orcheſter im Stich und
floh. Die gleich hartbedrohten Geiger und Bläſer
nahmen ebenfalls Reißaus und der zweite Akt, die
Wolfsſchlucht, ſchloß mit einer Muſik, die durchaus
nicht von Weber war und dabei vom Publikum
executirt wurde, bei welcher aber glücklicher Weiſe
die kleinen Pfeifen und Trommeln nicht vertreten
waren, obgleich ſie wohl ein Recht gehabt hätten,
ſich hören zu laſſen.
Der Vorhang fiel.
Alles lachte. ö
Im Hauſe jubelte man in einem fort, auf der