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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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Heidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

144.

Mittwoch, den 2. December

1868.

In Feindesland.

Novelle von Adolph Müller.

(Fortſetzung.)
Als ich ſie jetzt bei meiner Rückkehr von Wei-
tem auf der Bank ſitzen ſah und mir mein Ver-
ſprechen einfiel, konnte ich mir nicht verhehlen, daß
ich vorläufig wenig Data gefunden hatte. Doch
vermochte ich mich von dem Bild des Blonden nicht
loszureißen, und unvermuthet trat es mir immer
von Neuem aus dem Spiegel meiner Gedanken ent-
gegen. „Ich werde täglich hinübergehen“, ſagte ich
zu mir, „und den Zuſtand des Kranken überwa-
chen, vielleicht vermag ich ihn zu lindern. Sobald
er Kraft zum Reden hat, werde ich ihn über ſein
Lo os befragen.“ ö
Indem ich den blonden Leidenden auf dieſe Weiſe
unbewußt als den Helden eines dunkel geahnten
Romans in der Seele hielt, beſchloß ich raſch, bei
dem Begegnen mit Magdalenen von dieſer Haupt-
perſon vorläufig zu ſchweigen und nur der Ande-
ren Erwähnung zu thun. „Den Unterofficier möchte
ich ſehen!“ rief ſie bei dieſer Stelle meiner Erzäh-
lung aus. „Wer ſo zart die Blumen frägt, muß
eben kein roher Menſch ſein. Können Sie ihn
nicht einmal mitbringen?“
Durch dieſe letzten Worte ließ das ſchöne Kind,
ohne daß ſie's wußte, einen Plan in mir reifen,

den ich plötzlich wie eine gute Eingebung erfaßte.

„Ich werde ſehen“, dachte ich, „den leidenden Blon-
den zu mir zu nehmen und zu verpflegen.“ Ich
freute mich über dieſen Entſchluß, der am andern
Tag ausgeführt werden ſollte. ö ö

III.

Indeſſen bewog ich Magdalena, die Muße des
herrlichen Sommerabends zu benützen und mir die
ſchuldige Erzählung von dem teplitzer Offizier nicht
länger mehr vorzuenthalten.
Sie lächelte und ſagte: „Vergeſſen Sie aber
nicht, daß Sie freiwillig die nämliche Schuld auf
ſich geladen und ſelbſt Ihren Forſcherernſt geprie-
ſen haben, der bis jetzt ſogar in Ihren eigenen
Augen den gehegten Erwartungen ſchwerlich ent-
ſprechen kann.“

„Urtheilen Sie nicht zu früh“, entgegnete ich

bedeutungsvoll, „es gibt Dinge in der Welt, deren

Fäden ſich ſo loſe und leiſe ſchlingen, daß erſt eine
gewiſſe Zeit hingehen muß, ehe wir ſie entwirren
können.“
„Sie wollen mich auf die Folter der Neugierde
ſpannen“, antwortete ſie; „doch ſehe ich ſeit einiger
Zeit ſtrenge auf mich, um mir dieſe läſtige Mäd-
chenuntugend abzugewöhnen. Ich warte alſo gedul-
dig, bis die Faͤden Ihres Romans faßbar werden
— hören Sie indeſſen eine Leidensgeſchichte, gegen
die ſelbſt Werther's Leiden verblaſſen“
Ich rückte der ſchönen Erzählerin, die bei ihrer
Erzählung den ſelbſt für einen Goethe ſchwer er-
reichbaren Vorzug beſaß, durch die Blicke ihres
wunderbaren Auges ihren Roman zu beleuchten,
näher zur Seite und aus ihrem feinen, roſigen
Mund floſſen die Worte:
„Mein Leidender hatte ſeine Mutter bei ſich,
eine liebenswerthe gebildete Frau, voll größter Zärt-
lichkeit zu ihrem unglücklichen Sohn. Sie hatte
zwar noch einen zweiten, der auch zum Militär ge-
gangen war; doch weil er auf des Bruders Un-
glück hin dieſer unüberwindlichen Neigung der Mut-
ter zu Liebe nicht entſagte, hing ſie mit ihrem gan-
zen Herzen an dem Andern. Ich kann wohl ſagen,
daß ſie mich wie eine Art höheres Weſen verehrte;
denn ich fand das größte Vergnügen darin, mich
mit ihrem Liebling zu unterhalten. Ich hatte da-
mals, ſo jung ich war, nicht das Läppiſche, das
ſonſt das Maͤdchenalter, in dem ich damals ſtand,
charakteriſirt. Ich hatte einen gewiſſen Ernſt, der
nach der Tiefe zog und mich in einer Hinſicht von
den Jugendgeſpielen iſolirte, während er mich mit
Leuten, an denen ich wirklich Gefallen fand, mit
den innigſten Banden, die ſich fühlen laſſen, ver-
einigte. Der Officier war mir in mehr als einer
Hinſicht intereſſant, zunächſt dadurch, daß er un-
glücklich war und eines reichen Maßes von Liebe
bedurfte, um das Jammervolle ſeines Zuſtandes
zu vergeſſen. War ich bei ihm, rang ich mich ab
nach witzigen Einfällen, heiteren, anregenden Be-
merkungen — ach! doch gelang es mir nicht immer,
ihn zu zerſtreuen, und einmal, als der Schmerz zu
ſehr bei ihm überwog und er ſeine Vergangenheit

mir ſelbſt erzählte, vermochte ich erſt in die ganze

Größe ſeines Unglücks hineinzuſehen. Wie manche
heiße Thräne habe ich um ihn, um ſein Elend, ge-
weint! Lächeln Sie jetzt nicht — ich glaube, ich

könnte Ihnen ſonſt ewig unverſöhnlich zürnen —
 
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