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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

BVelletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

42.

Sonntag, den 5. April

1868.

Die Nachbarn. ö

(Fortſetzung.)

Sie hatte den Kopf nach ihm gedreht und ein
Ausdruck von tiefer Traurigkeit war in ihr Auge,
das feſt in dem ſeinen ruhte, getreten. „Und ſiehſt

Du denn noch nicht, Vater, wie weit ein fremder

Haß Dich bereits getrieben?“ fragte ſie. „Galten
Dir denn nicht Baumbachs als treue, liebe Nach-
barn, ehe der Mann hier in unſer Haus trat?
Kannſt Du ihnen denn das geringſte Unliebe in
Wort oder Handlung gegen Dich nachweiſen —
und doch willſt Du die Geburt Deines Kindes ver-
wünſchen, nur weil es an ſeinen früheren Empfin-
dungen feſtgehalten? — Aber ſolche Worte helfen
ja doch nichts mehr!“ fuhr ſie fort, als es in

Quentins Geſicht wie eine Regung von Ungeduld

aufſtieg, „und ich muß deßhalb klar und beſtimmt
reden. Sieh, Vater, Du hatteſt um der Mutter
willen Dein altes Vaterland mit ihr verlaſſen, das
Wort, das Du ihr gegeben, galt Dir mehr als
Heimath und Verwandte. Ich aber, Vater, bin
Deine ächte Tochter, und das Wort, das Charles
längſt von mir erhalten hat, werde ich wahr machen,
ſollte auch aller Haß gegen die ſchuldloſe Familie
gegen mich ſelbſt aufſtehen, ſollte ich auch wie Du
das Nächſte und Liebſte darum verlaſſen müſſen;
— die Folgen deſſen aber würden auf Die fallen,
denen ein unvernünftiger Haß mehr war als ein

Glück in Frieden und Liebe, die ſelbſt das Leid ge-

ſaet haben, das ihnen als Ernte erwachſen muß.
Einmal mußte das geſagt werden, Vater, und da

iſt es! — Jetzt verfahre mit mir, wie Du es glaubſt

verantworten zu können!“ ö

Quentins Geſicht hatte längſt ſeinen weichen
Ausdruck verloren und ſich während des letzten

Theils der Rede höher und höher gefärbt; die

Adern an ſeiner Stirn begannen ſtark hervorzu-

treten, während ſeine Augen eine eigenthümlich-
drohende Starrheit annahmen, und Heinrich, wel-

cher den Verhandlungen mit ſtets wechſelnden Em-
pfindungen gefolgt, ſah einen der plötzlichen Wuth-
ausbrüche voraus, wie ſie Hadley durch die „zehn
Teufel“, welche der Alte im Leibe haben könne,

angedeutet, und deren Vorkommen der junge Baum-

bach durch ſeine eingehenderen Mittheilungen be-

ſtätigt hatte. Unwillkürlich machte ſich der junge
Mann fertig, zum Schutze ſeiner Baſe einzuſtehen.
Da faßte der Dokter mit einem eindringlichen:
„Mr. Quentin — ſie iſt krank!“ den Arm des
Alten, und nach einem kurzen, ſichtlichen Kampfe
gegen ſein erregtes, ſchweres Blut wandte dieſer
ſich ab, nahm langſam ſeinen Platz hinter dem
Tiſche wieder ein und bedeckte, die Ellbogen auf
den Tiſch ſtützend, das Geſicht mit beiden Händen.
Als er nach einer kurzen Weile, in welcher Loo
den Blick nicht von ihm gelaſſen, den Kopf wieder
hob, war er bleich, ſeine Augen blickten matt, und
mit eigenthümlich veränderter, ruhiger Stimme be-
gann er: „Ich hatte vergeſſen, daß ich nur Mit-
leid mit einem Kinde, deſſen Geiſt augenſcheinlich
geſtört iſt, haben und mich nicht von den Aeuße-
rungen ſeiner Verirrung aufregen laſſen ſollte.
Wenn Du noch einen klaren Gedanken in dieſer
unglücklichen Angelegenheit faſſen kannſt, meine
Tochter, ſo wirſt Du einſehen, daß das ganze
County das Recht hätte, mich für wahnſinnig zu
halten, wenn ich Dir länger Gelegenheit zum of-
fenen oder heimlichen Verkehr mit einer Familie
geſtattete, die, anerkannt einer firen Idee verfallen,
nächſter Tage als gemeinſchädlich den Staat wird
räumen müſſen und bereitg ihren perderblichen Ein-
fluß auf Dich ausgeübt hat. Ich hoffe noch, daß
eine Entfernung von dieſem Einfluſſe und eine paſ-
ſende Umgebung Dich dem klaren Denkvermögen
wieder zurückgeben werden; — inzwiſchen aber werde
ich ſorgen, daß jede Gefahr für ähnliche Rückfälle
in unſerer Nachdarſchaft beſeitigt wird. Und ſo
wirſt Du morgen früh zu einer befreundeten Fa-
milie unſeres Doktors in der Nähe von Naſhyille
reiſen und dort vorläufig Deinen Wohnſitz nehmen.
Zugleich wirſt Du gut thun, Dich dieſer krankhaf-
ten Antipathie gegen einen Mann zu entſchlagen,
der uns, die wir noch immer als halbe Fremde
unter den geſammten Familien in unſerer Gegend
ſtehen, allein ein wirklicher und ausdauernder
Freund geworden iſt. Sollteſt Du indeſſen gegen
den einzigen Weg, den Du mir für Dein Heil ge-
laſſen haſt, Dich ſträuben wollen, ſo mag Dir
Deine noch übrig gebliebene Vernunft ſagen, daß
für krankhafte Ideen, wie die Deinige, ſich keine
Unterſtützung findet, ſo weit der Süden reicht,
 
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