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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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heidelberger Familienbläͤtter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W 134.

Sonntag, den 8. NRovember

1868.

Post Festun.
Humoreske aus dem bürgerlichen Leben von Ernſt Cloß.

(Schluß.)
Unvergeßlich ſind mir die erſten Weihnachts-
feiertage, die ich als Ehegatte verlebte. Es war
dies eine Zeit, reich an überraſchenden Erfahrun-
gen. Ich erfuhr, daß um dieſe Zeit unſere Gat-

tinnen eine ganz eigenthümliche Gemüthskrankheit.

ergreift. Ich möchte dieſelbe das Meß- oder Weih-
nachtsfieber nennen. Dieſes Fieber äußert ſich in
der unklaren Vorſtellung von einer Maſſe von Ge-
genſtänden, die gerade jetzt, in der Woche vor dem

Chriſtfeſt, auf der Weihnachtsmeſſe gekauft werden

müſſen, ſowie in Aufzählung einer Menge von Per-
ſonen, deren Beſchenken zu Weihnachten angeblich
nicht zu umgehen iſt.
unerträglicher Durſt nach Geld, eine kaum zu ſät-
tigende Gier nach Zehnguldenſcheinen und eine er-

ſchreckende Taubheit gegen die beſten Vernunft-

gründe. Ich habe qualvolle Nachmittage durchge-
macht, wenn ich meine Frau mit Einkäufen zu
Weihnachten außer dem Hauſe beſchäftigt wußte.
Ich habe mich bei Bekannten nach dem Geſundheits-
zuſtand ihrer Frauen erkundigt und meine eigenen
Erfahrungen beſtätigt gefunden. Nicht ein einziger
Fall von Beſſerung vor dem 26. December iſt mir
je vorgekommen. Mit dieſem Tag tritt eine Cri-
sis bona ein, worauf ſich der Gatte erſchöpft in
ſein Sopha wirft und um einen Gehaltsvorſchuß
nachſucht. Wie gut iſt's doch, daß von all' den
mit glänzenden Gaben oft bis zum Brechen gefüll-
ten Weihnachtstiſchen nicht einer von der Fieber-
hitze der Hausfrau, von den Heilverſuchen des Man-
nes, von den mediciniſchen Conſultationen mit dem
Gelsdbeutel, den ſtürmiſchen Auftritten beim Eintritt
der Fieberekſtaſe ꝛc. erzählen kann!
Ich möchte darauf wetten, daß von all' Denen,

welche von dem „Hüttchen auf grüner Flur“ träu-

men und von dem Raum, der dort „für ein glück-
lich kiebend Paar“ ſich finde, nicht ein Zehntel daran
denkt, daß in dieſer Hütte kein Duett, ſondern min-
deſtens ein Terzeit aufgeführt wird, inſoferne „die
Gehülfin“, die man dem Manune nach den Worten
der Schrift gab, ihrerſeits wieder eine Untergehül-
fin braucht, und daß dieſe Untergehülfin, das Dienſt-
mädchen nämlich, uns das Leben oft höchſt uner-

Symptome ſind ferner: ein

quicklich machen kann. Mein erſtes Dienſtmädchen
war ein kleines, mageres, unanſehnliches, graues
Geſchöpf mit einem mißwollenden, ſchiefen ſchielen-
den Blick. Es hieße vielleicht meine Frau und meine

uyverehrungswürdige Frau Schwiegermutter verleum-

den und mich ſelbſt in ein falſches Licht ſetzen,
wenn ich behaupten wollte, die genannten Damen
hätten ein ſo widriges Geſchöpf abſichtlich unter
den Töchtern des Landes ausgeſucht. Aber, ſei es
nun Zufall oder Abſicht, ſo viel iſt ſicher, daß ich
dem „Wurm“, wie ich das Dienſtmädchen nannte,
möͤglichſt auswich und von ihm eine Dienſtleiſtung
nur dann annahm, wenn es nicht anders ſein konnte.

Trotzdem hatte der „Wurm“ in den Augen meiner

Damen große Vorzüge, und man wurde nicht müde,
mir dieſelben in's gehörige Licht zu ſtellen. Bald
aber änderte ſich die Scene. Durch eine intri-
guante Köchin im Hauſe wurde es aufgedeckt, daß
der „Wurm“ naſche, und daß er manchmal beim
Zuckerbäcker in der Nähe angetroffen werde, wo er
große Quantitäſen von Kuchen in ſeinen unförm-
lichen Mund ſtoͤpfe. Der „Wurm“ hatte natürlich
ein ſcharfes Examen zu beſtehen, zeigte aber weder
Reue, noch Luſt zum Geſtändniß, ſondern ſah hung-
riger und leckerhafter als je aus. Von nun an
war es klar, daß der „Wurm“ auf ſchlechten We-
gen krieche. Auch zerbrach es alles Zerbrechliche,
was ihm unter die Hände kam, und wenn ich das
Abziehen des Werthes der ruinirten Gegenſtände
am Lohn geduldet hätte, ſo hätte der „Wurm“ am
Ende des Quartals nicht nur nichts Baares be-
kommen, ſondern noch herauszahlen müſſen. Die
Tage der Ruhe waren zu Ende. Man ſah dem
„Wurm“ näher auf die Finger, und der Differen-
zen und der Conflicte wurden es immer mehr. Ich
verhielt mich natürlich vollſtändig neutral und gab
mir den Anſchein, als merke ich von der heranna-
henden Kriſis nichts. Eines Tages platzten die
Geiſter wegen eines zu Ungunſten des Haushal-
tungsbudgets unrichtig gewechſelten Thalers wieder
aufeinander. Meine Gattin verallgemeinerte den
Spezialfall, zog unliebſame Conſequenzen und ge-
berdete ſich überhaupt, als ſei die ſichere Exiſtenz
unſerer Familie durch derlei enorme Verletzungen
in Frage geſtellt. Der „Wurm“, welcher ſeine
Stellung in unſerem Phalanſtere wanken fühlte,
wollte mit einem Sprung ſich günſtiger plaziren
und wagte einen Hauptſchlag: er bot ſeine Demiſ-
 
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