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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0535

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hHeidelberger Familienblätter.

Belletriſtiche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M132.

Mittwoch, den 4. November —

1868.

Von Dreien Eine.
Eine Erzählung.

(Schluß.)
Als Lieutenant von Rohrbach die Remonten mit
ihren Reitern aus der Bahn entlaſſen hatte und
nun leichten Herzens die Klingel an des Ban-
quiers Wohnung zog, berichtete ihm das alte

Dienſtmädchen mit ſonderbar verſtörten und ver-

legenen Blicken, Fräulein Nina ſei plötzlich ſo un-
wohl geworden, daß ſie ihren Bräutigam nicht
einmal empfangen könne, und der Herr Banquier
ſei in wichtigen Geſchäften ausgegangen. Dem
Lieutenant kam die Sache verdächtig vor, aber er
war doch noch weit entfernt davon, die Wahrheit
zu ahnen.
Brummend ſtieg er die Treppe wieder hinab:
„So ſind ſie alle, dieſe Frauenzimmer! Launiſch,
mp findſam, kränklich, wenn es ihnen gerade ſo
paßt! Was nur Nina wieder fehlen mag! — zu
dem Rittergute ſcheint ſie auch keine rechte Luſt zu
haben. Ich hätte am Ende doch die Sanftenbach
nehmen ſollen; wenn ſie auch alle Augenblicke ohn-
mächtig wird, ſo pflegt ſich doch ſo etwas nach der
Hochzeit zu geben.“
Der Lieutenant war verdrießlich, aber ſeine
Stirn zog ſich doch in bedeutend tiefere Falten,
als er Nachmittags einen Brief von dem Banquier
erhielt, der ihm zu ſeiner großen Ueberraſchung
in der allerhöflichſten Form mittheilte, Nina habe
ſich einer Täuſchung über ihr zukünftiges Lebens-
glück hingegeben, ſie habe in Erfahrung gebracht,
daß der Lieutenant bereits eine andere Verpflich-
tung eingegangen ſei, Papa werde ſich nie mit der
Idee von einem Rittergute befreunden können ꝛc.,
kurz Tochter und Vater gäben mit beiderſeitigem
Bedauern dem Herrn von Rohrbach ſein Wort

zurück. Als ſtummer Vorwurf und deutliche Er-

klärung dieſes nicht mehr ganz außergewöhnlichen
Schrittes lag des Lieutenants irabrieirte V.
lobungskarte in dem Briefe.
Rohrbach rieb ſich die Augen wie ein Träumen-
der, als er den verhängnißvollen Zettel erblickte;
man möchte ſagen: Alles wurde ihm klar, denn
er wußte wohl noch, daß er den Zettel beſchrie-
ben, aber keineswegs mehr, wo er ihn damals ge-
laſſen habe. ö

ſelbſtfabricirte Ver-

War der Brief des Banquiers auch noch ſo
höflich, ſo fühlte er ſich dennoch dadurch beleidigt,
und wäre die unglückliche Verlobungskarte nicht
geweſen, ſo würde er vielleicht noch andere Schritte
in der Sache gethan haben, aber dieſes Zettelchen
von ſeiner eigenen Hand ließ ſich ebenſo wenig
fortläugnen, als mit Glaubwürdigkeit für eine bloße
Spielerei ausgeben. Darüber ſchweigen war das
Räthlichſte, und dann, wenn einmal doch nichts
aus dem Rittergute werden ſollte — —!
Rohrbach tröſtete ſich alſo, wie'alle großen Cha-
raktere, über das Unvermeidliche und Unabänder-
liche, nur wollte es ihm nicht aus dem Kopfe, wie
ſeine erſte verfrühte Verlobungskarte in des Ban-
quiers Hand gekommen ſei. Letzterem ſchrieb er,

daß er bitter verkannt worden, daß er mit ge-

brochenem Herzen Nina ein letztes Lebewohl zu-
rufe, u. ſ. w. ö
„Es ſollte alſo einmal Mathilde von Sanften-
bach ſein!“ ſagte er ſich dann und erhob ſich wie-
der an dieſer Ueberzeugung. „Wer weiß auch,
wozu es gut iſt? Verlieren wir nicht den Muth
und halten wir um ſie an; ich glaube, ſie liebt
mich zu ſehr, als daß ich ſelbſt jetzts noch eine Fehl-
bitte bei ihr zu thun brauchte. Verbrennen wir
zunächſt dieſen ominöſen Zettel, der mich Dreißig-
tauſend baar und dann noch, was ſie ſpäter ein-
mal bekommen hätte, koſtet.“ —
Und er ſteckte den Zettel in den Pfeifenkopf.
„Den wird Mathilde wenigſtens nicht mehr zu
Geſichte bekommen,“ ſagte er ſich tröſtend, — „und
fehlt einmal das Corpus delicti, ſo legen wir uns
auf das Leugnen. Mit ſechshundert Thaler jähr-
licher Zulage und ein Bischen Liebe muß man recht
glücklich leben können. Aber ich will doch einmal
Fataliſt bleiben! Spindelmeyer!“
Der Gerufene erſchien. —
„Spindelmeyer, wo haſt Du Deine Stall-
mütze ?“ ö
„Zu Befehlen, Herr Lieutenant, die liegt oben
auf dem Futterboden.“
„Dann hole ſie einmal ſchnell.“
Rohrbach ſchnitt von dem Reſte des gelben
Conceptbogens einen viereckigen Zettel ab, ſchrieb
darauf „Mathilde von Sanftenbach“, wickelte ihn
wie ehemals zuſammen und legte ihn behutſam in
die Mütze, die ihm Spindelmeyer dieſes Mal ſchon
ohne weiteren Befehl hinhielt. Als er ſich umge-
 
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