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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 62.

Sonntag, den 24. Mai

— — —
1868.

Ein Freiſchütz⸗Abenteuer im Auslande.
Von Ernſt Pasqué.
(Omnibus.)

Durch eine Reihe Jollrnale und Zeitſchrifien
verſchiedenſten Inhalts ging vor einiger Zeit die
Mittheilung, daß die Franzoſen unſern „Freiſchütz“
in einer Ueberſetzung aufführten, in welcher Fürſt
Ottokar den ehrwürdigen Eremit mit „bon Jour,
Monsieur, comment vous portez-vous?“ anſinge.
Wenn dieſe Anekdote nun auch weiter nichts iſt,
als eine Ente, und noch dazu eine aus Meidingers
Nachlaß aufgewärmte, ſo hat unſer deutſcher Frei-
ſchütz ſich doch allerlei ſonderbare Uebertragungen
gefallen laſſen müſſen, die ſtellenweiſe ſogar höchſt
originell ſind. Beſchwört doch in der holländiſchen
Ueberſetzung Caſpar den Beherrſcher der Unterwekt
mit den Worten: „Samiel komm boven!““ wor-
auf Seine hölliſche Majeſtät mit allem üblichen
Teufelsſpuk erſcheint und ganz gemüthlich entgeg-
net: „As you believ, Mynheer?“ Auch andere
und recht ſeltſame Abenteuer hat unſer deutſches
Meiſterwerk ſchon im Auslande und durch Aus-

länder erlebt, und ein ſolches will ich den Leſern

erzählen, was ich um ſo beſſer und gewiſſenhafter
kann, als ich es miterlebte.
Es war im Jahre 1844, da führte ein kecker
Theaterdirector, den ich nur mit dem Anfangsbuch-
ſtaben ſeines Namens R. nennen will, und der bis
dorthin einem rheiniſchen Muſentempel als „Prine
cipal“ vorgeſtanden, eine deutſche Oper nach Bel-
gien und zuerſt nach einer alten Handelsſtadt.
Conradin Kreuzer war muſikaliſcher Dirigent; mit
ſeinem „Nachtlager“ wurde natürlich begonnen und
die deutſche Saiſon auch in beſter Weiſe eroͤffnet
und eingeweiht. Eine der nächſten Vorſtellungen
ſollte der Freiſchütz ſein. R., welcher die Regie
führte, das heißt, Alles gehen ließ, wie es eben
ging, und auf jede Frage die hübſche Antwort hatte:
„Macht's wie Ihr's gewohnt ſeid, Kinder, es wird
ſchon recht ſein,“ gerieth in einige Verlegenheit,
denn dieſe ſeine Zauberformel koͤnnte er dem Manne
gegenüber, dem die Ausführung der Wolfsſchlucht
oblag, aus mancherlei Urſachen nicht gebrauchen:
der franzöſiſche Maſchiniſt verſtand kein Deutſch
und der deutſche Director kein Franzöſiſch. Wäre
diefer Uebelſtand auch nicht vorhanden geweſen, ſo
würde der Franzoſe dennoch den Freiſchütz mit ſei-

Sprache.

ner Wolfsſchlucht nicht verſtanden haben, die Jenem

wirkliche böhmiſche Dörfer waren. Auch hätte es
dem Manne vollſtändig an Zeit gefehlt, ſich näher

mit ſeiner Aufgabe bekannt zu machen, denn die

decorativen Details der Oper kamen durch R's
Sorgloſigkeit erſt am Tage der Aufführung zur
Unſer Director wußte aber bald einen
Ausweg, der vollſtändig im Einklang ſiand mit
ſeinem bisherigen gemüthlichen Verfahren. Ein
junges Mitglied der Geſellſchaft, ein Neuling auf
der Bühne, wie im deutſchen Opernweſen, doch der
franzöſiſchen Sprache machtig, wurde erſucht, die
Wolfsſchluchtangelegenheit bei dem Maſchiniſten zu
vermitteln. Auf einige zaghafte Bemerkungen des

improviſirten Wolfsſchlucht-Regiſſeurs, ſo wie die

Bitte um die nöthigen Inſtructionen, entgegnete R.
in ſeiner gewöhnlichen Weiſe und mit ſeinem un-
erſchütterlichen Gleichmuth. „Sagen's nur dem
Maſchiniſten, daß er alle Geiſter und Ungeheuer
losläßt, die er in ſeinem Vorrath hat; je mehr und
grauslicher, je beſſer. Eine Eule und eine wilde
Sau, ſo wie der feurige Wagen werden ſich gewiß

in ſeiner Rumpelkammer finden und für das wilde

Heer will ich mit meinen Choriſten ſchon ſorgen,
die ſind darauf dreſſirt.

Der Mann ſoll mit ſei-
nem Spuk hübſch klein und beſcheiden anfangen,

wenn der Caſpar „Eins“ ruft, mit der wilden San,
und bei „Sieben“ das größte Viech loslaſſen, das

nur im Theater aufzutreiben iſt. Uebrigens iſt es

ja Nacht und da nimmt ſich Alles gut aus. Das

Feuerwerk aber ſoll er mir nicht ſparen, dennohne
Raketen iſt die Wolfsſchlucht nix, keinen Heller
werth!“
Nachdem der Herr Director dieſe lange und
ſchöne Rede gehalten, rieb er ſich vergnügt und zu-
frieden die Hände, als ob er die herrlichſte Ein-
richtung für ſeine Vorſtellung getroffen und ver-
fügte ſich dann in die Caſſe, um nachzuſehen, ob
der Vorverkauf der Billets für den Abend ein volles
Haus verſpreche. Der Dolmetſcher der directoriaken.
Wolfsſchlucht aber und der franzöſiſche Maſchiniſt
hatten eine lange Conferenz mit einander, in wel-
cher der Letztere verſprach, für den Abend les quatre-
cent diables, oder wie man zu ſagen pflegt, alle
Hunde loszulaſſen. Die ungeheuerlichſten Decora-
tionsſtücke, die er nur in ſeinem Magazin hatte,
ſollten nacheinander und bei den ſieben Stichwör-

tern, die er ſich mit franzöſiſchen Buchſtaben auf-
 
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