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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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geidelberger Samilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M104.

Sonntag, den 30. Auguſt

1868.

Doppelt gerettet.

Aus einem Briefe an die Redaction des Familienjournals.

Es drängt mich, die Feder anzuſetzen, obſchon
ich ſie mit ganz anderen Werkzeugen, mit den Werk-
zeugen des ſchlichten Arbeiters vertauſcht habe. Nicht,
als ob ich mich gern gedruckt ſehen mochte, denn
ſeitdem ich mich der Heimſuchung Gottes erfreue,
habe ich die Eitelkeit von mir gethan. Aber ich
möchte mich an Viele wenden, vor Allen an meine
Freunde, die Unglücklichen, die Dulder der Zeit;“
und eine innere Stimme flüſtert mir zu: vielleicht
hilft es auch Andern, zu ſagen, wie Dir geholfen
worden. ö
Iſt es ſchon ſo tröſtend, ſein Herz oͤffnen zu
können, wenn Kummer es drückt, ſo iſt es doch
weit beſeligender, das von Freude und Gluͤck über-
ſtrömende ausſchütten zu können. Freilich von einem
Glücke eigener Art: von einem Glück in tiefſter
Armuth, aber das, dünkt mich, iſt oft mehr werth,
als jenes Glück der Reichen, das den Seckel füllt
und die Seele leer läßt.
Geſtatten Sie mir in kurzen Umriſſen meine
Geſchichte zu erzählen. Ich verlebte eine zie mlich
ſorgenfreie Jugend. Es fehlte mir nicht an Bil-
dungsmitteln gewöhnlicher Art, aber an ſtrenger
Aufſicht, weil mein Vater frühzeitig geſtorben war.
Der Hang zur Genußſucht entwickelte ſich in mir
ſehr früh und eine nur zu gutmüthige Mutter
opferte ſich auf, dieſen Hang, ſo weit es ſich nach
ihrer Meinung um Erlaubtes handelte, zu befrie-
digen. Während ich als Schreiber bei einem hohen
Beamten eintrat, in deſſen Departement ſonſt mein
Vater gearbeitet hatte, verſah mich die Mutter mit
Taſchengeld, obſchon ſie ſelbſt von ihrer Hände Ar-
beit ſich ernähren mußte. Von Sparſamkeit wußte
ich nichts. An Vergnügungen, die meine geringen
Mittel mir irgend zugänglich machten, nahm ich
leidenſchaftlich Theil, namentlich an ſolchen, die
über meinen Stand hinauslagen oder ſich damit
nicht verrrugen.
Ein Hauptzug in meinem Weſen war Phanta-
ſtit. So ward ich eifriges Mitglied eines Lieb-

habertheaters, das meine Zeit, mein Denken und

mein karges Geld mehr als nützlich war, in An-
ſpruch nahm. Je älter ich ward, deſto lebhafter
erfaßte mich dieſe romantiſche Thätigkeit. Ich bil-

dete mir alles Ernſtes ein, daß ich bei Vergnügungs-
unternehmungen für ganze Geſellſchaften eine un-
entbehrliche Perſönlichkeit ſei. Beifall und Anhäng-
lichkeit Einzelner beſtachen mich.
Mein Principal war immer gütig gegen mich
und ließ mich nach mehreren Jahren zu ſeinem
Privatſecretär aufrücken, obſchon er öfter Gelegen-
heit nahm, mir wegen gewiſſer Dinge Vorhalt zu
machen. Ich nahm ſeine Mahnungen wohl eine
Zeit lang ruhig hin, denn es fehlte mir an innerm
Muth wie an innerm Halt, aber in meiner Vor-
ſtellung gab ich ihm nie Recht. Im Gegentheil,
ich hielt ihn für einen engherzigen Alten, der der
lebensluſtigen Jugend nicht gönnte, was ihr zukam.
Ich ſpottete und höhnte ſein im Stillen und hielt

mich für weiſer als ihn ſelbſt.

Er war vermögend — haätte ich ſein Geld,
dachte ich, welch einen ganz andern Gebrauch wollte
ich davon machen! Warum war ich nicht reich, ich,
der doch den Luxus liebte und nach meiner Neigung
eigentlich Reichthum beſitzen mußte? Warum hatte
doch die Vorſehung die Glücksgüter ſo unpraktiſch
und — ungerecht vertheilt? Warum mußte ich
mich hinter dem Schreibpulte abquälen? Dieſe
Fragen durchzuckten mich oft, wenn ich nach durch-
ſchwärmten Nächten mit ſchwerem, mürriſchen Kopfe
mühſam einen Bericht oder eine Berechnung zu-
ſammenſtellte. ö
Inmittels lernte ich in unſerm Liebhabertheater
ein gutes ſittſames Mädchen kennen, die Tochter
unbemittelter, rechtſchaffener Leute, und heirathete
ſie, obſchon mein Gehalt nicht bedeutend war.
Der wirthſchaftliche Sinn meiner Frau half
über viele Schwierigkeiten hinweg. Nur hätte ich
jetzt auf manche Vergnügungen und damit zuſam-
menhängende Beſchäftigungen verzichten müſſen und
that es nicht! Meine gute Helene ſprach dagegen,
mit mildem Ernſt, der ihre Art war, aber ich
gewöhnte ſie, mir zu gehorchen. Ich tyranni-
ſirte ſie!
Unſer erſtes Kind, unſer blühendes, liebliches
Röschen, ſtarb als es faſt zwei Jahre zählte. Das

griff mich an, aber ich änderte mich nicht. Schlim-

mer noch: um den Mangel an Reichthum zu er-
ſetzen ergab ich mich dem Spiel. Ich ſpielte ganze
Nächte hindurch und kehrte ſtets verdroſſener zur
Arbeit zurück. Nur ein ſo nachſichtiger Principal,
wie der meine, konnte Jahre verſtreichen laſſen,
 
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