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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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hHeidelberger Familienblätter.

„GBeleetiſiſche Beilage zu Heielberger Zeitnng.

M154.

Die Wahrheit.

Eine Erzählung.

(Fortſetzung.)
Jetzt lachte Louiſe nicht. Sie ermaß ſofort den
pecuniären Nachtheil, welchen ſie als Karl's Gat-
tin durch den Verluſt dieſer Erbſchaft erleiden würde.
Die Röthe des Mißvergnügens überzog ihre Wan-
gen und ſie nahm den Ton berechtigten Zornes
an, indem ſie antwortete:
„Das iſt dir ganz recht! Es war auch wirk-
lich abſcheulich lieblos, grauſam und unnatürlich
von dir, deinem Onkel und deiner Tante ſo etwas
zu ſagen — noch dazu einem ſo reichen Onkel,
deſſen einziger Neffe du biſt! Ich begreife nicht,
was auf einmal in dich gefahren ſein muß. Warum
ſagteſt du nur ſo etwas?“ ö
„Weil ich gefragt ward und die Wahrheit ant-
worten mußte, wie ich dir ſchon vorhin ſagte.“
„Und wie ich dir ſchon vorhin ſagte: man darf
die Wahrheit nicht immer ſprechen! In dem vor-
liegenden Falle war es geradezu ſchlecht, die Wahr-
heit zu ſagen — beſonders einem ſo reichen Ver-
wandten. Wenn meine Tante zu mir ſagte: „Ach,
Louiſe, liebes Kind, was würdeſt du wohl beginnen,
wenn du mich verlöreſt?“ Dann antworte ich
nicht etwa: „Ich würde mich ohne dich weit beſſer
befinden, Tante, weil dann das ganze Geſchäft mir
gehoͤrte“ — obſchon dies die Wahrheit waͤre —
denn wenn ich ſo etwas ſagte, ſo würfe ſie mich
ſofort zur Thüre hinaus und es geſchähe mir daran
auch ganz recht. Nein, ich antworte vielmehr: „Ach,
Tante, ſprich doch nicht davon!
das Herz! Wenn du ſtürbeſt, ſo weinte ich mir
die Augen aus und härmte mich binnen wenig
Wochen zu Tode!“
„Und glaubte ſie das?“?
„Sie glaubt, daß ich wenigſtens dies denke und
daß meine Worte vollkommen aufrichtig gemeint
ſeien. Deswegen gewinnt ſie mich immer lieber
und ſcharrt immer mehr zuſammen, um es mir
einmal zu hinterlaſſen.“ ö
Louiſe, deine Worte ſetzen mich in Erſtaunen!
Ich hätte nicht geglaubt, daß du ſo gefühllos und
falſch ſein könnteſt“, ſagte der junge Mann in ent-
ſchiedenem Tone.
„Es iſt nicht Falſchheit, ſondern Klugheit und

Freitag, den 25. December

Du brichſt mir

1868.

gutmüthige Rückſicht gegen Verwandte. So ſchlecht
ich aber auch ſein mag, mein lieber Tugendheld,
ſo bin ich doch nicht ſo ſchlecht, daß ich Perſonen,
die mich erzogen und die für mich geſorgt, aufs
bitterſte kränken ſollte, wie ein gewiſſer Jemand
gethan hat“, bemerkte Louiſe in gereizteſtem Tone.
„Es wird am beſten ſein, wenn ich dir gleich
alles mittheile, Louiſe, denn der Bruch mit mei-
nem Onkel iſt nicht das einzige Unglück, welches
mich heute ereilt hat“, ſagte der junge Mann
zaghaft. ö ö
„Nun, was gibt es denn ſonſt noch? Nach
ſagt was ich ſchon gehört, bin ich auf alles ge-
aßt!“
Karl erzählte ihr die Ereigniſſe des Morgens
in ſeinem Geſchäftslokal und ſchloß mit den Worten:
„Auf dieſe Weiſe, Louiſe, habe ich blos des-
wegen, weil ich die an mich geſtellten Fragen der
Wahrheit gemäß beantwortete, meine Stelle ver-
loren.“ ö
„Und das iſt dir doppelt recht! Ich glaube,
du haſt den Verſtand verloren!“ rief Louiſe. „Hat-
teſt du denn die Abſicht, das Geſchäft deiner Prin-
cipale geradezu zu ruiniren? Ich für meine Per-
ſon würde es ihnen durchaus nicht verdenken, wenn
ſie dich wegen Verleumdung und Geſchäftsbeein-
trächtigung gerichtlich belangten. Was willſt du
denn nun beginnen?“
„Das weiß Gott! Ich weiß es nicht.“
„Und ich“, bemerkte Louiſe, „weiß nur ſo viel,
daß du, wenn du nur die mindeſte Rückſicht auf
mich nähmſt, gewiß nicht auf eine Weiſe gehan-
delt haben würdeſt, welche dich innerhalb vier
Wochen vor unſerer Vermählung an den Bettel-
ſtab bringt.“
T„Ladelſt du mich, daß ich die Wahrheit ge-
ſprochen?“
„Die Wahrheit!“ rief Louiſe im höchſten Grade
aufgebracht und ergrimmt. „Ja wohl tadle ich
dich deswegen! Es war reiner Wahnſinn von dir,
den Kunden die Wahrheit zu ſagen! Ich glaube
gar nicht, daß dieſelben das Recht haben, die Wahr-
heit zu erfahren. Wenn ich unſern Kunden die
Wahrheit ſagen wollte, ſo könnten wir morgen in
Gottes Namen unſern Bankrott anmelden. Die
Wahrheit! Dieſen Hut, den ich hier fertige, ver-
kaufe ich für das Doppelte, was er werth iſt, in
dem ich ſage, es ſei ein Pariſer, und er iſt au
 
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