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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

138.

Mittwoch, den 18. November

1868.

Die letzte Montanini,

Eine italieniſche Geſchichte, nach alten Papieren erzählt
von
Berthold Rödiger.
——

(Fortſetzung.)
Allen Dreien ſchien es angemeſſen, daß die

Vermählung in der Stille gefeiert werde, und man

begab ſich zu dieſem Zwecke in die Kapelle des hei-
ligen Luca, welche, wohl drei Miglien weit von
Siena, in einer Thalſchlucht verſteckt liegt, und in
welcher ein einſam lebender Bruder Franziskaner
das heilige Amt verwaltete. Die Verlobten waren
ſehr überraſcht, als ſie an den Altar der leeren Ka-
pelle traten und ihnen der Bruder der Gaetano
erklärte, daß er ihnen den ehelichen Segen nicht
geben wolle. Borſo warf einen Beutel voll Gold
auf den Altar; aber der Bruder ſchob ihn mit dem
Rücken ſeiner Hand vom heiligen Tiſche, daß er
auf den Boden fiel, und beharrte auf ſeiner Weige-
rung, ohne auf das Dringen Borſo's irgend eine
Erklärung abgeben zu wollen. Als dieſer mit ſei-
ner Braut am Arme zornig die Kapelle verließ,

in's Ohr: Ich bin der Beichtvater Lorenzo's, Dei-
nes Geliebten. Pia war über dieſes Wort, daß
Lorenzo ihr Geliebter ſein ſolle, ſo entrüſtet, daß
ſie, die bisher nur betroffen geweſen, die Kapelle
eben ſo zornig verließ, wie ihr Bruder.
Borſo wandte ſich nun an eine andere Kirche,

aber es erging ihm da, wie in der Kapelle des,

heiligen Luca, und ſo erging es ihm in einer zwei-
ten und dritten Kirche und endlich in allen Kirchen
und Kapellen der Stadt und Gegend von Siena
— überall wurde ſeiner Ehe der Segen der Kirche
verſagt, und dem Fräulein von Saligny wurde es
furchtſam zu Muthe, ja es war ihr, als ſollte ſie
mit dieſer Heirath ein Verbrechen begehen, da die
Kirche ſo hartnäckig ihren Segen verſagte. Aber

ſie wagte keine Frage mehr, ſo ſehr war ſie ſchon

von Pia, die trotz aller dieſer Mißhelligkeiten im-
mer ruhig blieb, beherrſcht und eingeſchüchtert.
Es war der armen Anna, als wäre ſie ver-
flucht, da man ſich endlich aufmachte, um in einem
weiten Umkreiſe um Siena einen Prieſter aufzu-
ſuchen, der den ehelichen Segen ertheilte, da man
ſelbſt in groͤßern Entfernungen von der Stadt auf

Eeinrichten.
zupfte der Mönch Pia am Kleide und flüſterte ihr

dieſelbe Weiſe zurückgewieſen wurde. Endlich brachte
Pia die Suchenden bis in die Mitte des giftigen
Sumpflandes der Maremnen, wo ſelbſt in den hei-
ßen Monaten, da Alles, was leben will, aus der
Gegend flieht, ein einziger büßender Bruder Kapu-
ziner aushält, um in der Einſamkeit für die See-
len derjenigen, die hier am Fieber zu Grunde ge-
gangen, täglich eine Meſſe zu leſen. Von dieſem
Bruder in dieſem Lande wurde endlich Anna dem
Borſo Montanini als ſein eheliches Weib ange-
traut. ö
Trotz dieſer traurigen Einleitung, die nichts
weniger als Glück verſprach, trat das junge Ehe-
paar doch in glückliche Flitterwochen. „Die Hinder-

niſſe, die ſich ihm noch an der Schwelle ſeines

Glückes entgegengeſtellt, ſteigerten Borſo's Leiden-
ſchaft, und Anna fühlte ſich in ſeiner Liebe über
Vieles getröſtet, was ſie in der letzten Zeit beun-
ruhigte. Pia war es, als hätte ſie für jetzt ähre
Sendung erfüllt, da ſie den Bruder im Beſitze ſei
ner Geliebten ſah, und um das junge Ehepaar in
ſeinem Glücke nicht zu ſtören, wollte ſie ſich in
einem entfernten und ſtillen Winkel des Palaſtes
So kam ſie in die Stube, in welcher
Herr von Saligny ſeine Forſchungen betrieben und
den Stein der Weiſen geſucht hatte. Der Dunſt
dieſes Gemaches, die vielen großen und alten Bü-
cher, die ſonderbar geformten Gefäße, die Tigel und
Oefen, die Zahlen und Zeichen auf verſchiedenen
ſchwarzen Tafeln, die unbekannten Stoffe, Mine-
rale und Flüͤſſigkeiten jeder Farbe — Alles, was
ſie da vorfand, erſchreckte ſie anfangs, zog ſie aber
bald auf unwiderſtehliche Weiſe an und ſie lachte
vor Freude auf, als ſie in eines der Bücher, das
noch aufgeſchlagen dalag, wie es Herr von Saligny
gelaſſen hatte, hineinblickte und ſich überzeugte, daß
es italieniſch geſchrieben und ihr verſtändlich war.
Viele der hier aufgehäuften Bücher waren in
italieniſcher Sprache geſchrieben, aber auch die fran-
zöſiſchen erſchreckten ſie nicht, da ſie im Laufe der
letzten Monate dieſe Sprache im Umgange mit
Anna ziemlich gut erlernt hatte. Und als ſie auch
lateiniſche Bücher und Handſchriften entdeckte, war

ihr Eifer, in die Geheimniſſe dieſer ſie umgebenden

Welt zu dringen, ſchon ſo entflammt, daß ſie be-
ſchloß, ſich auch die lateiniſche Sprache anzueignen.
Ihr beſtändiger Aufenthalt, ihre Heimath war jetzt
das Laboratorium des Herrn von Saligny; ſelbſt
 
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