gen.
Heidelberger Familienblaͤtter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M.45.
Freitag, den 4. December
1868.
In Feindesland.
Novelle von Adolph Müller.
(Fortſetzung.)
„In jener Stunde“, fuhr ſie fort, „als die al-
ten Erinnerungen mit der Macht der hellſten Ge-
genwart auf ihn einſtürmten — ach! ich werde
dieſe Stunde nie vergeſſen, es war in hereinbre-
chender Nacht und die Sterne ſahen ſo groß und
ſchauerlich aus dem Himmel herab — in jener
Stunde, da die Eltern uns hatten allein im Gar-
ten ſitzen laſſen, ſprach er von ſeinen geſunden
Tagen. Ausgerüſtet mit Allem, was einen jungen
Mann ſchmücken kann, Geiſt, Herz, Schönheit und
Reichthum, ward er in eine der angeſehendſten Fa-
milien in Wien eingeführt und errang die Gunſt
Giſela's, der gefeierten Tochter des Hauſes, um
die ſeine Standesgenoſſen ihn alle beneideten. Er
liebte ſie zärtlich, das konnt' ich nur zu deutlich
ſehen; denn die hellen Thränen rannen ihm über
die Wangen, als er ihren Namen nannte, und ich
ſehe noch, wie dieſe Thränen gleich Diamanten in
dem Sternenlicht flimmerten. Dieſe Thränen fie-
len mir brennend auf's Herz; ich fürchtete die
große Aufregung, in die ihn ſeine Erzählung ver-
ſetzen mußte, und ſuchte ihn daher voll Angſt davon
abzuhalten. Vergebens! Er mußte ſeinem Herzen
einmal gegen Jemand, den er ſo liebte wie mich,
Luft machen, das merkt' ich wohl und ließ ihn zu-
letzt gewähren. Als ich fortzog in's Feld, ſagte er,
fiel ſie mir um den Hals mit dem heiligen Schwur
unverbrüchlicher Treue! — Ihre Verlobung ward
vor dem Ausmarſch gefeiert, und vom Gott der
Liebe Muth im Buſen ging er dem Feinde entge-
Welch' ein, frohes Wiederſehn, wenn der
Bräutigam mit Ruhm gekrönt zurückkehrt! — Ach,
mein armer Freund! In der erſten Schlacht machte
eine unbarmherzige Kanonenkugel das ganze Glück
des Hoffenden zu nichte! Leblos ſchleppte man ihn
nach dem Lazareth, die beiden Beine mußten am-
putirt werden, und das ſchöne Gebaͤude ward zur
Ruine. Wie mag dieſe Nachricht die arme Mutter
getroffen haben, und noch mehr die Braut, werden
ſie fragen? — Mir fehlen die Worte, Ihnen zu
ſagen, was geſchah. Genug, ſobald es ſein Zu-
ſtand erlaubte, ſchrieb er an ſeine Verlobte, daß er
ihr das gegebene Wort zurückgebe, da es ſeinem
Gefühl widerſtreite, ſie unter ſolch' unglücklichen
Verhältniſſen daran zu binden. Gewiß, es war
edel von ihm, und er that es mit ſchwerem Herzen
— glauben Sie aber, er habe es wirklich in der
Meinung gethan, daß es angenommen werde? —
Dazu hatte er ſie zu lieb und mußte ſich ſchon zu
viel durch das unverſchuldete Unglück ſelbſt belaſtet
fühlen, wo ihm eine liebende Hand doppelt nöthig
war. Er ſtockte, als er daran kam, die Antwort
ſeiner Braut zu erzählen; es ſchien mir, als ſtockte
ſelbſt der Schlag ſeines Herzens. Sie nahm ihr
Wort zurück, ſagte er, ihre Verwandten werden ſie
dazu beredet haben; denn daß ſie ohne fremden
Einfluß, aus freiem, eigenem Antriebe es gethan
und mich verlaſſen hätte, dieſen Gedanken mͤchte
ich nicht mit mir in's Grab nehmen!“
„Es trat eine Pauſe ein und ich weiß nur noch,
daß ich alle Troſtgründe in meiner Seele zuſam-
menraffte, ihn zu beruhigen. Niemals erſchien mir
ein Menſch in einer gleich bejammernswerthen Lage
als er, der ſo gut war, der Geliebten ſelbſt die
gänzliche Vernichtung ſeines Lebens zu vergeben.
Ich ſehe ſein Geſicht noch vor mir, wie es zuckte
unter Thränen! Wenn nur die Sterne nicht ſo
drohend hereingeblickt hätten: es ließ mir keine
Ruhe mehr, ich ſprang fort und holte die Eltern.
Meine Angſt war prophetiſch geweſen! Nach zwei
Tagen war der Arme todt, und dieſelben Sterne,
die mich hatten warnen wollen, ihn ſeinem Schmerz
ſo ſehr zu überlaſſen, ſahen jetzt ruhig und gleich-
gültig auf ſeine Gruft herab.
ſpät mit ſeiner Mutter auf ſeinem Grab, von dem
die arme Frau kaum mehr zu trennen war. Mein
Herz bedurfte all' ſeiner Kraft, um bei ihrem Jam-
mer nicht zu brechen. Sie folgte bald dem Sohne
nach, es war ihr glühendſter Wunſch, den der Him-
mel auch erhörte.“ ö
Magdalena brach ab. Indem ſie ſich mit der
ganzen Lebhaftigkeit ihrer Natur in die alten Er-
innerungen hineinlebte, that ich bei dieſem Anlaß
einen tiefen Blick in des Mädchens reine, theilnahms-⸗
volle Bruſt und ſchätzte im Stillen Den glücklich,
der in dieſes feſte Herz dereinſt ſollte für ewig ge-
ſchloſſen werden.
IV.
Mein Erſtes am andern Tag war, zu dem
Kranken hinüberzugehen und mich bei dem Aufſeher
Einmal war ich noch
Heidelberger Familienblaͤtter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M.45.
Freitag, den 4. December
1868.
In Feindesland.
Novelle von Adolph Müller.
(Fortſetzung.)
„In jener Stunde“, fuhr ſie fort, „als die al-
ten Erinnerungen mit der Macht der hellſten Ge-
genwart auf ihn einſtürmten — ach! ich werde
dieſe Stunde nie vergeſſen, es war in hereinbre-
chender Nacht und die Sterne ſahen ſo groß und
ſchauerlich aus dem Himmel herab — in jener
Stunde, da die Eltern uns hatten allein im Gar-
ten ſitzen laſſen, ſprach er von ſeinen geſunden
Tagen. Ausgerüſtet mit Allem, was einen jungen
Mann ſchmücken kann, Geiſt, Herz, Schönheit und
Reichthum, ward er in eine der angeſehendſten Fa-
milien in Wien eingeführt und errang die Gunſt
Giſela's, der gefeierten Tochter des Hauſes, um
die ſeine Standesgenoſſen ihn alle beneideten. Er
liebte ſie zärtlich, das konnt' ich nur zu deutlich
ſehen; denn die hellen Thränen rannen ihm über
die Wangen, als er ihren Namen nannte, und ich
ſehe noch, wie dieſe Thränen gleich Diamanten in
dem Sternenlicht flimmerten. Dieſe Thränen fie-
len mir brennend auf's Herz; ich fürchtete die
große Aufregung, in die ihn ſeine Erzählung ver-
ſetzen mußte, und ſuchte ihn daher voll Angſt davon
abzuhalten. Vergebens! Er mußte ſeinem Herzen
einmal gegen Jemand, den er ſo liebte wie mich,
Luft machen, das merkt' ich wohl und ließ ihn zu-
letzt gewähren. Als ich fortzog in's Feld, ſagte er,
fiel ſie mir um den Hals mit dem heiligen Schwur
unverbrüchlicher Treue! — Ihre Verlobung ward
vor dem Ausmarſch gefeiert, und vom Gott der
Liebe Muth im Buſen ging er dem Feinde entge-
Welch' ein, frohes Wiederſehn, wenn der
Bräutigam mit Ruhm gekrönt zurückkehrt! — Ach,
mein armer Freund! In der erſten Schlacht machte
eine unbarmherzige Kanonenkugel das ganze Glück
des Hoffenden zu nichte! Leblos ſchleppte man ihn
nach dem Lazareth, die beiden Beine mußten am-
putirt werden, und das ſchöne Gebaͤude ward zur
Ruine. Wie mag dieſe Nachricht die arme Mutter
getroffen haben, und noch mehr die Braut, werden
ſie fragen? — Mir fehlen die Worte, Ihnen zu
ſagen, was geſchah. Genug, ſobald es ſein Zu-
ſtand erlaubte, ſchrieb er an ſeine Verlobte, daß er
ihr das gegebene Wort zurückgebe, da es ſeinem
Gefühl widerſtreite, ſie unter ſolch' unglücklichen
Verhältniſſen daran zu binden. Gewiß, es war
edel von ihm, und er that es mit ſchwerem Herzen
— glauben Sie aber, er habe es wirklich in der
Meinung gethan, daß es angenommen werde? —
Dazu hatte er ſie zu lieb und mußte ſich ſchon zu
viel durch das unverſchuldete Unglück ſelbſt belaſtet
fühlen, wo ihm eine liebende Hand doppelt nöthig
war. Er ſtockte, als er daran kam, die Antwort
ſeiner Braut zu erzählen; es ſchien mir, als ſtockte
ſelbſt der Schlag ſeines Herzens. Sie nahm ihr
Wort zurück, ſagte er, ihre Verwandten werden ſie
dazu beredet haben; denn daß ſie ohne fremden
Einfluß, aus freiem, eigenem Antriebe es gethan
und mich verlaſſen hätte, dieſen Gedanken mͤchte
ich nicht mit mir in's Grab nehmen!“
„Es trat eine Pauſe ein und ich weiß nur noch,
daß ich alle Troſtgründe in meiner Seele zuſam-
menraffte, ihn zu beruhigen. Niemals erſchien mir
ein Menſch in einer gleich bejammernswerthen Lage
als er, der ſo gut war, der Geliebten ſelbſt die
gänzliche Vernichtung ſeines Lebens zu vergeben.
Ich ſehe ſein Geſicht noch vor mir, wie es zuckte
unter Thränen! Wenn nur die Sterne nicht ſo
drohend hereingeblickt hätten: es ließ mir keine
Ruhe mehr, ich ſprang fort und holte die Eltern.
Meine Angſt war prophetiſch geweſen! Nach zwei
Tagen war der Arme todt, und dieſelben Sterne,
die mich hatten warnen wollen, ihn ſeinem Schmerz
ſo ſehr zu überlaſſen, ſahen jetzt ruhig und gleich-
gültig auf ſeine Gruft herab.
ſpät mit ſeiner Mutter auf ſeinem Grab, von dem
die arme Frau kaum mehr zu trennen war. Mein
Herz bedurfte all' ſeiner Kraft, um bei ihrem Jam-
mer nicht zu brechen. Sie folgte bald dem Sohne
nach, es war ihr glühendſter Wunſch, den der Him-
mel auch erhörte.“ ö
Magdalena brach ab. Indem ſie ſich mit der
ganzen Lebhaftigkeit ihrer Natur in die alten Er-
innerungen hineinlebte, that ich bei dieſem Anlaß
einen tiefen Blick in des Mädchens reine, theilnahms-⸗
volle Bruſt und ſchätzte im Stillen Den glücklich,
der in dieſes feſte Herz dereinſt ſollte für ewig ge-
ſchloſſen werden.
IV.
Mein Erſtes am andern Tag war, zu dem
Kranken hinüberzugehen und mich bei dem Aufſeher
Einmal war ich noch