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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

WI41. Mittwoch, den

25. November

1868.

Rothſchild.

Eine hiſtoriſch⸗biographiſche Skizze.

Wer von den Leſern kennt nicht den Namen
„Rothſchild?“ wer hat nicht ſchon den mehr als
fürſtlichen Reichthum der glücklichen Träger dieſes
Namens preiſen hören? Die Meiſten aber wiſſen
vielleicht nicht, wann und wie der Grund zu die-
ſem koloſſalen Vermögen gelegt worden iſt, und
dieſen will ich es erzählen. Es war Ende Sep-
tember 1793. Die große franzöſiſche Revolution
hatte anſteckend auf die anderen Staaten Europas
gewirkt und die Völker verſuchten faſt überall das
Joch der Tyrannen-⸗Herrſchaft von ſich zu wälzen.
Dex Convent warf eine Armee von 300,000
Mann mach Deutſchland, welche dort ſeine revolu-

tionären Doktrinen mit den Weffen in der Hand

predigen ſollte. Die armen Despoten, groß und
klein, mächtig und ſchwach, ergriffen beim Anblick
dieſer gefürchteten „Horden“ die Flucht und nahmen
ſich kaum ſo viel Zeit, ihren Kogffer zu packen und
ihre Schätze zu retten. Ein deutſcher Fürſt indeſ-
ſen, der Landgraf von Heſſen⸗Kaſſel, der in ſeinen
Staaten die Revolution triumphiren ſah, hatte noch
ſo viel Muth und Kaltblütigkeit, ſich nicht mit lee-
rer Taſche aus dem Staube zu machen. Er packte
ſeine Diamanten und zwei bis drei Millionen
Füchſe ein und nahm den Weg nach Frankfurt,
wo er ſein Vermögen in Sicherheit zu bringen ge-
dachte.
In der alten kaiſerlichen Stadt angekommen,
beeilte er ſich einen Juden aufzuſuchen, Namens
Meyer Rothſchild, der faſt mehr Kinder alssTha-
ler hatte. Derſelbe war aber ein tüchtiger Numis-
matiker und ſeit mehren Jahren der Lieferant für
den Landgrafen von Heſſen⸗Kaſſel, der als großer
Freund von Antiquitäten galt. Meyer Roihſchild
ſtand mit dem Fürſten in fleißiger Correſpondenz,
und der Letztere hatte ſich nie über einen unehr-
lichen Verkauf oder über einen Betrug von Seite
ſeines jüdiſchen Münzlieferanten zu beklagen.
„„Meyer“, ſagte der Landgraf, indem er ihm die
mit Geld beladene Kaſſette einhändigte, „ich weiß,
daß Du ehrlich und gewiſſenhaft biſt. Hier iſt
Alles, was ich in meinem Vermögen habe. Be-
wahre es als Depot. Du wirſt es mir in beſſeren
Zeiten wiedergeben.“ ö

„Ein ſolches Vertrauen gereicht mir zur hohen
Ehre, Hoheit!“ antwortete der Jude. „Aber ver-
geßt Ihr denn, daß die republikaniſche Armee in
vielleicht weniger als acht Tagen in unſern Mauern
ſein wird?“
„Du glaubſt, Meyer ?“
„In der Weiſe, wie ſie marſchirt, iſt es leider
mehr als wahrſcheinlich. Und dann iſt Plünde-
rung ihr erſtes Loſungswort.“
„Nun denn, Meyer, dann ſtelle ich's unſerm
Gott anheim. Ich verlange keine Empfangsbeſtäti-
gung von Dir.“
Der Fürſt ſtieg nach dieſen Worten in ſeine

Poſtkutſche, ohne auf die neuen Vorſtellungen des

Juden zu achten. Er ließ ihm die Kaſſette zurück
und reiſte ab. ö
Was Meyer Rothſchild vorausgeſehen hatte, war
genau eingetroffen. ö
Noch vor Ende der Woche übergab ſich Frank-
furt den franzöſiſchen Truppen, und der jüdiſche
Numismatiker — als ſchlechter Patriot bezeichnet,
der zu Tyrannen in Beziehungen ſtände — ſah
ſeine Wohnung und ſeine Caſſa total ausplündern.
Meyer Rothſchild war gänzlich ruinirt.
Aber ſeit des ſeligen Moſes Zeiten verzweifeln
die Juden nie in ähnlichen Fällen. Es handelt
ſich für ſie nur um die zwei erſten Thaler, und
mit dieſen arbeiten ſie ſo lange, bis ſich dieſelben
vermehrt haben wie der Sand am Meere.
Nachdem die feindlichen Truppen die Stadt
Frankfurt geräumt hatten, fing Meyer Rothſchild
wieder an Geſchäfte zu machen, und er fand bald
wieder den alten Credit, anfangs bei ſeinen Glau-

bensgenoſſen, ſpäter bei aller Welt, was Nieman-

manden in Verwunderung ſetzte.
Der Numismatiker machte nun auch noch Bank-
geſchäfte und wurde bald ein reicher Mann. Im
Jahre 1802 galt er bereits für einen der ſolideſten
Bankiers in Deutſchland. ö
Um dieſe Zeit fing die Sonne wieder an über“
die gekrönten Häupter zu ſcheinen. Die Fürſten
des deutſchen Bundes befanden ſich nolens volens
unter der hohen Vormundſchaft des galliſchen Cäſars.
Der Landgraf von Heſſen⸗Caſſel erlebte die
große Ehre, von Napoleon zum Curfürſten avan-

cirt zu werden, und erhielt die Erlaubniß, ſeine

Staaten wieder aufzuſuchen.

Unterwegs paſſirte er
Frankfurt. ö
 
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