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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0572

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— 560 —

Aus den Zeitungen hatte er ſchon lange von
der Plünderung des Hauſes Meyer vernommen.
Der Ruin des Juden bei Gelegenheit der republi-
kaniſchen Invaſion war mehr als authentiſch, und
der Fürſt glaubte ſeine Kaſſette längſt im Beſitze
der Jakobiner.
Nichtsdeſtoweniger ſuchte er ſeinen alten Liefe-
ranten auf, um ihn zu verſichern, daß er nichts
an ſeiner Achtung und ſeinem Vertrauen einge-
büßt habe.
5Grüß' Gott, Meyer, grüß' Gott!“ ſagte der
Kurfürſt, indem er ihm mit der deutſchen Naturen
eigenen Herzlichkeit die Hand drückte. „Endlich
haben wir einmal wieder den Frieden im Lande.
Teufel! er kommt uns theuer. Du ſiehſt vor Dir

einen unglücklichen Fürſten, der ebenſo arm iſt,

wie Hiob.“ ö
„Ihr ſeid arm, Hoheit?“
„Donnerwetter! ich denke wohl, nachdem dieſe
vermaledeiten Sanskulotten meine Thaler mit den
Deinen geſtohlen haben. Ich möchte Dich bitten,
Meyer, wenn es Dich nicht genirt, mir eine kleine
Summe vorzuſtrecken, bis mir die Entſchädigung
ausbezahlt wird, die ich in Caſſel erhalten ſoll.“
„Ihr habt bei Gott nicht nthig zu einer An-
leihe Zuflucht zu nehmen, Hoheit. Euer mir an-
vertrautes Depot iſt noch unverſehrt bei mir. Kein
rother Heller fehlt.“
„Wie, was?“ rief der Fürſt erſtaunt aus, „Du
biſt alſo nicht geplündert worden?“
„Verzeiht, Hoheit! Ja wohl bin ich geplündert
worden, und wie haben ſie mich geplündert! Nicht
das Schwarze unter dem Nagel haben ſie mir ge-
laſſen. Ich habe mich aber auch nicht im min-
deſten geſträubt oder gewehrt, um ſie nicht zu reizen.
Sie hätten ſonſt genaue Unterſuchungen in meinem
Keller angeſtellt, wo Eure Diamanten und Euer
Geld verſteckt waren.“ ö
WWie? es wäre möglich ....“
„Wie heißt, ob es möglich wäͤre? Gewiß, Ho-
heit! Die Fügung in mein Schickſal war eine Liſt,
und ſie haben das Verſteck nicht gefunden.“

„Unglaublich!“ murmelte der Fürſt, vom Er-

ſtaunen ganz überwältigt.
„Um mich für. den Verluſt meiner eigenen Tha-
ler zu entſchädigen, habe ich mir erlaubt, Hoheit,
mit Euren Thalern Geld zu machen. Gelobt ſei
der Ewige — geprieſen iſt ſein Name — meine
Bankoperationen ſind glücklich von ſtatten gegangen,
und ich kann Euch, Hoheit, die ganze Summe mit
den Zinſen von 5 pCt. zurückgeben.“ —
Und der Fürſt, überwältigt von einer ſo edlen
Handlungsweiſe überließ ihm die freie Verwaltung
ſeines ganzen Vermögens. — ö
Auf dieſe Weiſe wurde Meyer Rothſchild Erz-
millionär.
Er ſtarb 1812.

Bevor er den letzten Seufzer aushauchte, ließ
er ſeine fünf Söhne: Anſelm, Salomon, Nathan,
Carl und James ans Sterbebett treten. Er gab
ihnen ſeinen Segen und beſchwor ſie, dem jüdiſchen
Glauben treu zu bleiben, ſich nie, unter keinem
Vorwande, zu entzweien, und nichts zu unterneh-
men, ohne vorher ihre Mutter um Rath befragt
zu haben.
„Wenn Ihr dieſe drei Punkte befolgt“, ſagte
der Sterbende, „werdet Ihr bald die Reichſten un-
ter den Reichſten ſein, und die Welt wird Euch
gehören.“
Der alte Rothſchild war Prophet.
Bald organiſirte ſich über ſeinem Grabe eine
finanzielle Pentarchie, die in fünf Hauptſtädten Eu-
ropas, in Frankfurt, Wien, Neapel, London und
Paris thronte. ö
Das Depot des Landgrafen von Heſſen-⸗Caſſel
vermehrte ſich immer mehr und mehr in den Caſſen
von Meyer Rothſchilds Erben.
Im Jahre 1814, bei Gelegenheit der Wiener
Conferenzen, erzählte der Kurfürſt den Souverai-
nen die Geſchichte von der Plünderung, und von
der Ehrlichkeit des alten Juden.
Sofort erhielt das Frankfurter Haus die Kund-
ſchaft der heiligen Allianz.
Es wurde mit allen um dieſe Zeit kontrahirten

Anlehen von den Kaiſer von Rußland und Oeſter-

reich, von den Königen von Preußen, England,
Dänemark, Neapel und Sardinien beauftragt. Bei
dieſen großen Finanzoperationen waren alle fünf
Roilhſchilde betheiligt.
Ueber ungeheure Capitalien verfügend, errichte-

ten die fünf Brüder in allen Ecken und Enden

von Europa Correſpondenzbureaus. Sie waren
von den geringſten Fluktuationen der offentlichen
Fonds auf den vorſchiedeneu Handelsplätzen unter-
richtet. Sie machten ihre Operationen faſt immer
mit Ausſicht auf Gewinn, und ihre Transaktionen
blieben das größte Geheimniß für alle Andern.
Auf dieſe Weiſe floß das Geld unaufhörlich in ihre
Caſſen. ö
Ihr Name wurde gleich dem des Plutus bei

den Griechen das Symbol für glücklichen Mate-

rialismus, für unerhörten Reichthum. Kaiſer und

Könige überhäuften ſie mit Ehrenbezeugungen al-

ler Art.
Der öſterreichiſche Hof erhob die Rothſchilde und
ihre Nachkommen in den Baronſtand, der König
von Preußen und der Großherzog von Heſſen-
Darmſtadt machten ſie zu ihren Hofräthen.
Alle Orden, alle Bänder, alle Kreuze nahmen
ihren Weg zu dieſen Kindern Jôraels, und ſelbſt
der ſtolze Autokrat des Nordens blieb mit ſeinen
Gunſtbezeugungen nicht hinter den anderen Souve-
rainen zurück. ö ö
Von den Söhnen des alten Rothſchild war es
 
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