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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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Heidelberger Tamilienblätter.

Belletriſtiſce Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 95.

Sonntag, den 9. Auguſt

1868.

Franz Alzeyer.

Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe.

Gortſehung.)
Man hatte droben die lachendſte Ausſicht über

den Wall und die nahen Hügel und ein Stück der

fruchtbaren Ebene, und in gewöhnlichen Zeiten
hauſte hier der lange Fritz, der einen Hang zur
Beſchaulichkeit und landſchaftlichen Romantik hatte.

Das Käthchen ſaß minder gern auf dieſer hohen

Warte. Es war voll weiblicher Tugenden, liebte
die Wirthin zu machen und zugleich einen neugie-
rigen Blick in das rege Treiben der fremden Sol-
dateska zu thun, und mußte ſich nun dafklt be-

gnügen, das Ohr an die geſchloſſene Thür zu leh-

nen und in das Haus hinunterzulauſchen, wo der
Vater mit ſeinen Gäſten trank und parlirte und
das eigene Kind ſtandhaft verleugnete. Bei Nacht
ſtahl ſich der Bruder hinauf, brachte ihr zu eſſen,
zuweilen auch ein Briefchen ihrer Freundin Molly,
die das Käthchen glücklich pries, daß ſie dem An-
blick der welſchen Zwingherren entrückt blieb, da
ſie ſelbſt ihrem Vater, dem Rector, die Laſt der
Fremdherrſchaft tragen helfen und die Feinde der

deutſchen Freiheit bedienen mußte. Der lange Fritz:

ſchien an dieſen Briefen, zumal wenn ſie in Ver-
ſen geſchrieben waren, ein weit größeres Gefallen

zu finden, als die gefangene Schweſter. Er blieb

ſehr einſilbig, wenn ſie ihn nach Namen und Rang

der Einquartierung ausfragte, und eilte nur, ſich

der koſtbaren Muſenbriefe unter einem Vorwande
zu bemächtigen und die Schweſter zur Beantwor-
tung anzutreiben, da er dann ſelbſt natürlich den
Boten machen und die geliebten Räume des Lyceums
wieder einmal betreten durfte. Es war beiden Ge-
ſchwiſtern ſehr verſchieden ergangen. Die wilde
wechſelvolle Zeit hatte in dem nunmehr einund-
zwanzigjährigen Bruder die kindiſche Neigung ſeiner
Schuljahre nur noch befeſtigt, während die Schwe-
ſter ihren Jugendfreund, den rothen Lutz, der ſeit
einigen Jahren auf Univerſitäten abweſend war,
wie aus den Augen, ſo auch aus dem Sinn ver-
loren zu haben ſchien. ö
So ſtanden die Sachen, als die Nachricht von
dem verhängnißvollen Winterfeldzug und dem Brande

Moskau's die Welt erſchütterte und bald darauf

die vorüberfluthenden Trümmer der großen Armada
auch unſerer kleinen Reſidenz das geſcheiterte Kriegs⸗—
glück des Weltkaiſers vor die Augen brachten.
Franz Alzeyer, ſo tief der Schlag ihn traf, blieb
doch ſeiner Ueberzeugung von der Unüberwindlich-
keit des Corſen treu, ſprach von der Verſchwörung
aller Elemente gegen die Heldengröße des Einen
Mannes und nahm ſich der Unglücklichen, die in
ſtumpfſinniger Verzweiflung die Straßen zurück-
gingen, auf der ſie voll Uebermuth hinausgezogen
waren, mit verdoppelter Hingebung an. Den gan-
zen December, Januar und Februar pflegte er un-
ter ſeinem Dache zwei arme junge Mutterſöhne,
einen Lieutenant und einen Sergeanten, die vor
ſeiner Thüre zuſammengebrochen waren und zuletzt
friſch und fröhlich wieder abzogen. Diesmal war
es auch wohl nicht thunlich geweſen, das Käthchen
auf die Manſardenkammer zu conſigniren. Er
brauchte ſie allzu nöthig im Hauſe, hielt aber ein
ſcharfes Auge auf ſie, und die jungen Reconvales-⸗
centen betrugen ſich auch ſo wohlgeſittet, daß er,
als er ſie endlich getroſten Muthes entlaſſen konnte,
ſie zärtlicher als die eigenen Kinder umarmte und
jedem eine vollſtändige Pfeife, Prachtſtücke ſeiner
Nationalgallerie, mit ſchwerem ſilbernen Beſchlag
mit auf den Weg gab.

*


Fritz war ihnen in der ganzen Zeit nicht eben
hold geweſen, athmete auf, als ſie fort waren, und
ſchalt die Schweſter, die einen Tag mit rothgewein-
ten Augen und viele folgende ſehr niedergeſchlagen
herumging. Aber all dieſen Dingen nachzuhängen
verwehrte die Zeit, die nun mit ungeſtümer Mah-
nung an Thür und Herz jedes guten Deutſchen
anpochte und aufforderte, mit Menſchenkraft und
Mannesmuth das Werk zu vollenden, das die Ele-
mente ſo gewaltig begonnen hatten. Dem 16. Mäͤrz,
der Preußens Kriegserklärung an Frankreich brachte,
folgte jener ſiebzehnte, der des Königs Aufruf an
ſein Volk verkündete, und es konnte nicht fehlen,
daß die hohe Bewegung der Geiſter ſich auch in
die Nachbargebiete fortpflanzte und die Jugend un-
ſorth 5. Städichens in heller Begeiſterung mit
ortriß.
Es war eines Sonnabends, als ein preußiſcher Offi-

cſer durch das Thor der Reſidenzſtadt hereinſprengte,
 
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